Tragisches Kammerspiel
Daisy Johnson schreibt mit „Die Schwestern“ (Juli 2024, btb) eine seltsame verworrene Gothic Novel über die unzertrennlichen Schwestern Juli und September und deren Mum Sheela.
Die Mädchen, innerhalb eines Jahres geboren, teilen sich alles. Doch als Juli sich für einen Jungen aus der Schule interessiert, gerät die eigene kleine Welt der Schwestern ins Wanken. Juli hat Schwierigkeiten und die ältere September beschützt sie. Was dann geschieht, verschwindet im strömenden Regen. Was taten Juli und September, dass ihre Mutter nicht mehr mit ihnen spricht?
Juli weiß nur, dass sie deswegen in das verfallene Cottage von Ursa, der Schwester ihres toten Vaters, am Rand der North York Moors, gleich an der englischen Küste, gefahren sind. Während ihre Mutter in eine schwere Depression fällt, gepaart mit Zorn und Trauer, sind die Schwestern mehr oder weniger auf sich allein gestellt.
Die Autorin erschafft eine klaustrophobische, düstere Welt, die eine grausame Dominanz von September über Juli offenbart. Der Leser – er sollte literarische Experimente mögen - ist sich nie sicher, was real ist und was nicht.
Spooky und befremdlich.
(JT Okt. 2024)
… und dann sind alle tot!
Bella Mackie schreibt mit dem Roman „how to kill your family“ (Okt. 2023, Heyne) über einen Rachefeldzug einer jungen Frau gegen ihre Familie, die gar nicht weiß, dass sie Familie ist!
Grace Bernard sitzt im Gefängnis, weil sie die Verlobte ihres besten Freundes Jimmy vom Balkon gestoßen haben soll, woraufhin diese starb. Grace beharrt darauf, unschuldig zu sein - und ist es in diesem Fall tatsächlich. Sie ist nämlich eine Serienmörderin und sie mordet aus gutem Grund.
In ihrem Tagebuch beschreibt sie, wie sie sich von ihren Großeltern bis hin zu ihrer Halbschwester Bryony durch die Familie Artemis mordete. Grace rächt sich bei ihnen. Dafür dass sie beiseitegeschoben wurde, weil sie unehelich ist. Dafür dass sie nicht reingepasst hat in die feine, reiche Familie ihres Vaters. Aber noch mehr rächt Grace ihre Mutter Marie, die es nie verkraftet hat, zuerst vom superreichen Simon Artemis verführt und dann schäbig vergessen worden zu sein. Marie stirbt früh und Grace wird in der Familie von Jimmy aufgenommen.
Sie ist intelligent, urkomisch, zynisch und es wird von Mackie mit sarkastischem Humor beschrieben, wie sie ihren perfiden Rachefeldzug plant und durchzieht.
Der Leser sitzt quasi in der ersten Reihe
fußfrei, wenn Grace ihre Taten an den durchaus ekligen Verwandten begeht. Sie arbeitet ihren Plan Punkt für Punkt ab.
Mehr kann man gar nicht über das Buch erzählen, man würde spoilern, speziell das Ende hat einen Twist, mit dem niemand rechnen konnte, das kann man nicht erraten!
Leise im Hinterkopf stellt sich die Frage, ob es auch in Wirklichkeit Grace Bernards gibt …!
(JT Sep. 2024)
Inspektor Jacket – Aufstieg und Fall eines Arroganzlings
Chefinspektor Johann „Jacket“ Winkler von der LKA-Abteilung Leib-Leben, ist ein echtes Wiener Original, ein Aushängeschild der Stadt. Für das Volk ist er ein Star-Ermittler, aber die Kollegen halten ihn für eine Witzfigur. Sie sehen in ihm nur einen „Showbullen“, einen zahnlosen Tiger.
Vor ein paar Jahren rettete Jacket ein kleines Mädchen – Beany - aus den Fängen eines Organhändler-Rings. Seitdem ist er der Held der Nation, allerdings hat er sich bei der Abteilung Leib und Leben durch seine arrogante Art keine Freunde gemacht. Im Grunde ist Jacket ziemlich kaputt und hält sich nur dank der Psychiaterin Dr. Nora Laska, bei der auch Beany lebt, und den Medikamenten, die sie ihm gibt, aufrecht.
Henri Faber schildert in „Gestehe“ (Feb. 2024, dtv) sarkastisch die Geschichte eines berühmten Ermittlers, der durch einen brutalen Serienkiller ins Out gelangt, weil die einzigen Spuren zu ihm selbst als Täter führen. Jacket selbst erkennt die Tatorte und die Vorgangsweisen aus seinem eigenen unveröffentlichten Romanskript, das noch niemand gelesen hat. Es trägt den Titel „Gestehe“.
Das bringt seine Welt ins Wanken.
Ausgerechnet Bezirksinspektor Mohammad „Mo“ Moghaddam, der ihn nicht leiden kann, wird sein Verbündeter. Mo, der immer als Momo bezeichnet wird, hat als Jahrgangsbester der Polizeischule mit neununddreißig immer noch keine Führungsposition. Er ist Wiener, hat aber eben den falschen Namen, die falsche Hautfarbe und für seine Umgebung auch den falschen Beruf.
Als das erste Mordopfer aufgefunden wird, reißt Jacket die Ermittlungen an sich, sehr zum Leidwesen von Mo, der zum ersten Mal einen Fall bearbeiten darf.
Jacket und Mo erzählen die Geschichte jeweils aus ihrer Sichtweise. Faber schreibt aber noch eine dritte gruselige Perspektive - "Er".
Wien mit seinem besonderen Flair ist der Schauplatz des Thrillers mit einem verwickelten, sehr rasanten Plot und einer Lösung, auf die man nie kommt!
(JT Sep. 2024)
Gingerbread Man
Im neuesten Psychothriller „Eulenschrei“ von Max Bentow (Juli 2024, Goldmann) geht es zwar um Lebkuchen, aber mit einem herzigen Weihnachtsbuch hat der Krimi nichts am Hut.
Wer „Der Federmann“ kennt von Bentow, weiß das!
Profilerin Carlotta Weiss und Kommissar Nils Trojan bekommen es mit einem Serienmörder zu tun,
der nicht und nicht zu durchschauen ist.
Eines Morgens findet ein zwölfjähriges Mädchen in ihrem Baumhaus ihre ermordete Mutter, und zwar mit abgetrennten Händen. Bei dem Opfer wird ein Lebkuchenmann mit eingebackenen Haaren hinterlassen. Das ist der erste Mord. In rascher Abfolge kommt es danach zu weiteren Morden, bei denen den Opfern Körperteile entfernt werden.
Die Ermittler tappen im Dunklen. Welche Beziehung besteht zwischen diesen Menschen? Einen ersten Hinweis erhalten sie, als der Maler Robert Lumen gewaltsam ums Leben kommt, Auf dem Speicher seines Hauses ist das Bildnis einer mysteriösen jungen Frau mit einer Eule versteckt. Ist sie das Bindeglied zwischen den Opfern?
Als Carlotta, die sich in die Psyche des Täters ebenso hineinversetzen wie wie in die Tatabläufe,
sich wie die Porträtierte kleidet und ein zwielichtiges Etablissement aufsucht, das Lumen und die Frau möglicherweise verbunden hat, kommt sie dem Täter gefährlich nahe.
Der Autor legt geschickt Fährten aus für die Leser, indem er auch eine zweite Geschichte erzählt über einen Jungen, der sich nur mit Lebkuchen trösten kann ob seiner misslichen Lage mit einer Mutter,
die prinzipiell die falschen Männer trifft.
Spannend, theatralisch, mysteriös, clownesk.
(JT Sep. 2024)
Die Liebe in Zeiten des Korea-Krieges
Es ist immer wieder schön, wenn so Kleinode von Büchern aufpoppen, von denen man im ersten Augenblick gar nicht denkt, wie hervorragend sie sind!
„Der Friedhofswärter“ von Ron Rash (Mai 2024, Ars Vivendi, aus dem amerikanischen Englisch von Sigrun Arenz) ist eine atmosphärisch ganz dichte Geschichte über Freundschaft, Liebe und Verrat,
die man unbedingt lesen sollte.
Der Roman spielt in Blowing Rock, North Carolina, zu Beginn der 1950er Jahre.
Der junge Blackburn Gant, seit seiner Kindheit von einer PolioErkrankung durch leichtes Hinken und
ein entstelltes Gesicht gezeichnet, arbeitet als Friedhofswärter der kleinen Stadt in den Appalachen.
Sein Leben mit den Toten passt gut zu seiner zurückhaltenden Art. Sein einziger Freund ist Jacob, der Sohn der wohlhabenden Familie Hampton.
Als Jacob die sechzehnjährige, mittellose Naomi, die im Hotel im Ort als Zimmermädchen arbeitet,
sieht, ist es um ihn geschehen. Er heiratet sie gegen den Willen seiner wirklich schrecklichen Eltern
und zieht sich damit auch gleich die Feindschaft des ganzen Ortes zu. Sie werden wie Blackburn zu Ausgestoßenen in Blowing Rock.
Naomi wird rasch schwanger und als Jacob für den Koreakrieg eingezogen wird und seine Eltern
Naomi jede Unterstützung verweigern, bekommt Blackburn die Aufgabe, sich um die schwangere Frau zu kümmern. Kurz vor ihrer Entbindung gibt es einen schrecklichen Zwischenfall mit Jacob’s Vater,
der Naomi schwer demütigt. Blackburn bringt sie daraufhin zu ihrem Vater, Mr. Clarke, einem armen Farmer nach Tennessee.
Im Krieg wird Jabob schwer verwundet, die bitteren Folgen werden das Leben von vielen Menschen erschüttern.
Mehr sei nicht
verraten.
Die Geschichte wird aus der Sicht von Blackburn, Naomi und Jacob erzählt. Sie ist nicht kitschig und ohne Klischees, sondern einfach nur gut.
(JT Aug. 2024)
Aeryn - Verschollen in Wien
Wien war 2007 noch eine der sichersten Städte der Welt, wie kann es also sein, dass am 29. Oktober dieses Jahres bei winterlichem Wetter ein splitterfasernackter Mann spurlos verschwand?
Dieser Frage geht Walter Weinberg in seinem Buch „Was geschah wirklich mit Aeryn Gillern. War es Mord?“ (Feb. 2024, epubli) nach und versucht Licht ins Dunkel dieses mysteriösen Falles zu bringen.
Wie kann also ein junger Amerikaner völlig unbekleidet aus der Herrensauna Kaiserbründl flüchten und nie mehr wieder auftauchen? Wer hat diesem schwulen Mann in einer Schwulensauna einen solchen Schrecken eingejagt, dass ihm Kälte und Blöße egal war? Warum hat er nicht nach Hilfe gerufen? Wurde er von rechtsextremen Burschenschaftern angegriffen, die Aeryns sexuelle Orientierung als unwertes Leben ansahen? Warum wurde er von niemandem mehr gesehen? Es ist ja – auch heute - nicht üblich, dass ein komplett nackter Mann durch die Stadt rennt. Wurde er in ein Auto gezerrt oder hat er es bis zum Donaukanal geschafft und ist ertrunken? Wo wäre aber seine Leiche?
Wer war Aeryn eigentlich? Er führte ein Doppelleben und hatte seine Identitätskrisen als Sohn einer irischstämmigen Mutter und eines farbigen Vaters, den er nicht kannte. Er lief weg vom Alltagsrassismus in den USA und ging nach Österreich, wo er seinen Nachnamen von Gilleran in Gillerns änderte, und eine Priesterausbildung in Graz begann. Homosexualität sah die katholische Kirche aber als schwere Sünde an. Er brach das Priesterstudium ab und ging nach Wien, wo er seine sexuelle Neigung voll auslebte, quasi zum Weißen mutierte und 2002 erster Mister Gay Austria wurde. Aber Aeryn, geprägt durch den amerikanischen Rassismus seiner Kindheit, war nicht nur religiös, sondern auch rechts gesinnt und als Mitglied einer Münchener Burschenschaft ein Neo-Nazi.
Weltweit erregte der Fall Aeryn Gillern
Aufsehen, weil seine Mutter Kathryn Gilleran keine Mühen scheute um für Aufklärung und gegen die homophoben Äußerungen der Polizei zu kämpfen.
Die Polizeibeamten verweigerten jegliche Ermittlung, vermuteten einen spontanen Selbstmord, die Staatsanwaltschaft stellte aus Mangel an Beweisen alles ein, daher sah sich Kathryn, eine
US-Polizistin, gezwungen, notgedrungen selbst zu ermitteln.
Der Fall landete schließlich im österreichischen Parlament und auf dem Schreibtisch von Hillary Clinton. Erst dadurch erfolgten weitere Ermittlungen, allerdings Jahre nach Aeryns Verschwinden,
aber Aeryn Gillern ist in Österreich bis heute nicht mehr aufgetaucht.
Walter Weinberg der den Verschwundenen kannte, schließt nicht aus, dass es sich hier um einen hinterhältigen Mord gehandelt haben dürfte und schreibt ein sehr spannendes Buch über einen Mann mit vielen Facetten.
(JT Aug. 2024)
Was geschah wirklich mit Mattias?
„Den Tod belauscht man nicht“ von Ninni Schulmann (Juli 2024, Hoffmann und Campe, aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann) ist ein richtig guter Schwedenkrimi.
Schweden im Sommer 1983. Die frühere Polizistin Ingrid Wolt versucht nach einer Haftstrafe, sie hat ihren gewalttätigen Mann angegriffen, fern der schwedischen Hauptstadt Stockholm in der Kleinstadt Våmhus einen Neuanfang. Um ihre Tochter Anna, die bei einer Pflegefamilie lebt, zu sich nehmen zu können, muss sie ein geregeltes Einkommen haben, aber ihre Bemühungen um einen Job bleiben erfolglos. So wird sie zur Privatermittlerin.
Die Idylle in Våmhus ist getrübt, überschattet durch das unaufgeklärte Verschwinden eines 12-jährigen Jungens, Mattias. Die örtliche Polizei ist überzeugt davon, dass der Junge ertrunken ist, obwohl dieser als wasserscheu galt. Das Fahrrad und die Kleidung von Mattias wurden am Ufer eines Gewässers gefunden, seine Leiche jedoch nicht.
Solveig, die Mutter des Jungen, kann sich nicht mit dem etwaigen Tod ihres Kindes abfinden und engagiert Ingrid für Nachforschungen.
Die Handlung wird auf zwei Zeitebenen präsentiert. Auf der einen Seite finden sich Ingrid’s Geschichte und ihre Ermittlungen. Der zweite Handlungsstrang ist im Sommer 1982 angesiedelt und schildert die Ereignisse, die dem Verschwinden des Jungen vorausgingen – hier wird aus der Perspektive von Mattias erzählt. Er, der noch ein wenig kindisch erscheint, war gerne mit seinem besten Freund Kaj mit seinem Kassettenrekorder und Mikrofon unterwegs, sie spielten Reporter und bespitzelten die Erwachsenen. Kaj und die anderen Freunde waren ihm in ihrer Entwicklung voraus, und bald wurde er zum gemobbten Außenseiter, der allein durch die Gegend streift.
Ingrid erkennt bald, dass so mancher Dorfbewohner etwas zu verbergen hat im Zusammenhang mit Mattias’ Verschwinden.
Zufällig trifft sie ihren Ex-Freund und Ex-Partner bei der Polizei, Benny, wieder, der aufs Land zu seiner Verlobten gezogen ist. Er hilft ihr bei ihrer Detektivarbeit mit Details aus den alten Polizeiakten und schließlich findet der Durchbruch bei dem Vermisstenfall statt.
Schulmann gelingt eine spannende Story – mit einem ziemlichen Cliffhanger am Ende.
(JT Aug. 2024)
Geheimnisse
Jodi Picoult und Jennifer Finney Boylan haben mit „Wildhonig“ (Mai 2024, C. Bertelsmann) einen Roman über die verborgenen Identitäten und Geheimnisse von Menschen geschrieben.
Olivia McAfee hätte nie gedacht, je wieder in ihre verschlafene Heimatstadt Adams in New Hampshire zurückzukehren, in das Haus ihrer Kindheit, zu den Bienen ihres toten Vaters, einem Hobby-Imker. Doch als ihr Mann, Braden Fields, der als Chirurg arbeitet, seine dunkle Seite offenbarte und sie schlug, war die Flucht dorthin für sie und ihren Sohn Asher die einzige Wahl. Sie fassen in Adams schnell Fuß, Olivia übernimmt den Imkereibetrieb und der impulsive Asher verliebt sich in Lily, die wie er neu an der Schule ist. Lily erwidert seine intensive Liebe, allerdings hütet sie ein Geheimnis und ist sich nicht sicher, ob sie Ash wirklich alles anvertrauen kann. Er versteht nämlich nicht, wenn Lily manchmal Abstand braucht und es kommt zum Streit, weil er ihre Grenzen nicht anerkennt.
Eines Tages bekommt Olivia einen Anruf von
Asher, dass er von der Polizei verhört wird, weil er Lily tot aufgefunden hat. Sie wurde brutal ermordet. Olivia ist von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt. Aber in Ash schlummern auch
Eigenschaften seines Vaters. Als sich der Verdacht gegen ihn verhärtet, merkt sie, dass er etwas verbirgt.
Die Autorinnen haben die Geschichte auf mehreren Zeitebenen angelegt. Olivia’s Sicht nach dem Tod von Lily wird von Jodi Picoult und Lily’s Sicht über ihre Vergangenheit von Jennifer Finney Boylan erzählt.
Die Leser müssen sich gut konzentrieren um nicht den Faden zu verlieren, springen die Kapitel doch zwischen Vergangenheit und Gegenwart herum und sind nicht linear.
Man erfährt, dass Olivia sich als Bienenkönigin fühlt und nach der Trennung von Braden keine Beziehung mehr führen konnte, dass sie ihm aber verziehen hat, obwohl er ihr Leid zufügte. Und dass die tote Lily alles andere als ein unbeschwertes Mädchen, sondern suizidal war und mit dem Sex mit Asher nicht zurecht kam.
Berührend.
(JT Juli 2024)
Tristane und die Liebe
Amélie Nothomb beweist einmal mehr, welch großartige Autorin sie ist. Mit ihrer sehr klaren, knappen, überspitzten Sprache ist jedes Buch ein „Leckerbissen“.
So auch der neue Roman „Das Buch der Schwestern“ (Juni 2024, Diogenes. Aus dem Französischen von Brigitte Große). Es ist ein Buch über die Liebe oder Nicht-Liebe.
Nora und Florent erleben eine nicht enden wollende leidenschaftliche Liebe, bei der in ihrem Herzen kein Platz mehr für andere Menschen übrig ist. Auch nicht für ihre erste Tochter, Tristane.
Das Baby muss ganz schnell erkennen, dass es auf sich allein gestellt ist, im Leben der egozentrischen Eltern ist es nur eine Randfigur, um die man sich eigentlich nicht kümmern will. Tristane verhält sich einfach ruhig, bringt sich selbst alles bei, was man braucht, aber wird ihr Leben lang an dieser emotionalen Vernachlässigung leiden und gilt in ihrer Umgebung als graue Maus, die zwar supergescheit, aber fast unsichtbar ist.
Zuwendung erfährt sie nur durch ihre Tante Bobette und ihre Cousine Cosette.
Als Nora und Florent ein zweites Kind erwarten, das sie quasi Tristane zum Geschenk machen, ist diese überglücklich, wird aber bis zur Geburt einfach ins häusliche Chaos der Tante abgeschoben. Alles ist vergessen, als Laetitia geboren wird. Die Schwesternliebe ist übergroß, bedingungslos.
Das Verhalten der Eltern entsetzt den Leser, Tristane tut einem sehr leid und man wundert sich, dass sie und auch ihre Schwester diesen Rabeneltern noch so etwas wie Liebe und Verständnis entgegenbringen können, obwohl die ihnen keinerlei Aufmerksamkeit schenken. Das ist verstörend und aufwühlend.
Das Buch hallt lange nach.
(JT Juli 2024)
Tick, tack …
Andreas Winkelmann versteht es, auch mit seinem neuen Thriller „Hast du Zeit?“ (Juni 2024, Rowohlt Taschenbuch) Spannung zu erzeugen und aufzuzeigen, dass wir Zeit einfach verschwenden oder sie uns gestohlen wird. Und es Menschen gibt, die für Zeit töten.
Weil andere Menschen ihnen rücksichtslos kostbare Zeit genommen haben und nun gejagt werden müssen um für diesen Frevel zu bezahlen – mit ihrem Leben. Dumm nur, dass die nix davon wissen, dass ihre Zeit abläuft, wenn sie die Frage „Hast du Zeit?“ gestellt bekommen von jemanden, der an einem Weltschmerz epischen Ausmaßes leidet.
Als Krankenschwester Conny Goldmann sich durch einen Stalker bedroht fühlt und von der Polizei nicht ernst genommen wird, bittet ihre Kollegin Michelle ihren Vater, den früheren Bundestagspolizisten Lars Erik Grotheer darum, ein Auge auf Conny zu haben. Allerdings wird Grotheer selbst für den Stalker gehalten und zum Verhör mitgenommen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt schlägt der Täter zu und ermordet Conny. Grotheer beginnt nun, auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei trifft er auf die Fotografin Lilly, deren Lebensgefährtin Felicitas, eine Schornsteigfegerin, vor kurzem aus ihrem eigenen Fahrzeug entführt wurde, während sie mit ihr telefonierte. Gemeinsam stoßen sie auf immer mehr Entführungsopfer.
Es gibt viele Verdächtige, viele Opfer, wenig
Polizeiarbeit, viele Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird, viele offenen Fragen, was den Täter anbelangt, vieles, was zunächst keinen Sinn macht, vieles zum Nachdenken, was das
Thema Zeit betrifft.
Zeit ist ein kostbares Gut, spätestens nach der Lektüre um leere Sanduhren versteht man das hoffentlich!
(JT Juli 2024)
Nix mit Bullerbü
Vera Buck schreibt mit „Das Baumhaus“ (Mai 2024, Rowohlt Polaris) einen Thriller, der speziell bei Eltern ein Albtraum-Gefühl auslösen wird. Denen werden sich bei diesem Gänsehaut-Trhiller die Haare aufstellen.
Der Schriftsteller Henrik und Nora, um deren Ehe es nicht mehr ganz so gut bestellt ist, fahren mit ihrem fünfjährigen Sohn Fynn ins schwedische Västernorrland, in das von Hendriks Familie ererbte Holzhaus. Sie erwarten sich einen idyllischen Urlaub mit langen Sommerabenden, viel Ruhe und Natur. Das Haus am See liegt sehr abgeschieden und ist von einem großen Wald umgeben – See und Wald sind speziell für Henrik schon Brutstätten für Ängste aller Art. Bereits bei der Ankunft spürt das Paar, dass die verlassene Ferienhütte etwas Bedrohliches umgibt.
Der Eindruck bestätigt sich, als ein jahrzehntealtes Kinderskelett von der promovierten Forensikerin Rosa Lundqvist gefunden wird. Sie hat ein außergewöhnliches Gespür für den Tod, eine Nase für Kadaver, und betreibt heimlich Studien im Wald. Mit den Lebenden hat sie es nicht so.
Plötzlich verschwindet Fynn. Rosa Lundqvist wird zu den Ermittlungen hinzugezogen, ob es einen Zusammenhang zwischen Fynns Verschwinden und dem toten Kind gibt. Mit Henrik geht wieder seine Fantasie durch, keiner, und schon gar nicht Nora, glaubt ihm. Nora verdächtigt ihren Stalker, Fynn entführt zu haben. Und was hat eigentlich diese Marla mit allem zu tun?
Buck’s Thriller hat alles, was ein skandinavischer Krimi haben muss: eine vermeintlich idyllische Umgebung, eine kaputte Ehe, eine Schauergeschichte und seltsame, sehr schräge Protagonisten.
(JT Juni 2024)
Bizarre Leichen
Die für ihre Vorgesetzten durchaus unbequemen Ermittler Art Meyer und Nele Tschaikowski werden zu einer bizarr arrangierten Leiche im Berliner Königswald gerufen und sie stellen fest, dass es sich bei der Frau um die bekannte und beliebte Charlotte Tempel handelt, die gerade für einen wichtigen Medienpreis nominiert worden war.
Die Tote, deren Leiche halb Mensch, halb Tier ist, war eine gefeierte Wohltäterin.
Schnell gerät die verlogene, rebellische Tochter der Ermordeten, Leo, die ihre Mutter hasste, unter Mordverdacht. Sie erweist sich als ziemlich unberechenbar, aber Art zweifelt an ihrer Schuld. Ist sie selbst ein Opfer oder doch die Täterin?
Als eine zweite Frau aus dem Kreis der Nominierten stirbt, deren Leiche ebenfalls mit einem Geweih drapiert wurde, stellen sich den Ermittlern ganz neue Fragen.
Bestsellerautor Marc Raabe veröffentlicht mit „Die Dämmerung“ (März 2024, Ullstein) den zweiten Band seiner Serie um Mayer, der gerade den Kopf in der Schlinge hat durch seine Affäre mit der Bundeskanzler-Gattin, und Nele, die hochschwanger ist und ganz schön damit hadert, bald Mutter zu werden. Der neue Fall ist zwar in sich geschlossen, aber es ist ratsam auch den ersten Fall
„Der Morgen“ zu lesen, man kennt sich einfach besser aus bei all den privaten Verwicklungen der Ermittler.
Im Thriller gibt es noch einen zweiten Erzählstrang, bei dem sich eine gewisse Bell mit einer Botschaft an ihr noch ungeborenes Kind wendet. Sie erzählt darin ihre Geschichte mit Bo. Was sich
dahinter verbirgt und was das alles mit den beiden Morden zu tun hat, zeigt sich erst ganz zum Schluss und macht das temporeiche Buch mit seinen Twists so extrem spannend.
(JT Juni 2024)
Prügeleien in Venedig
Pünktlich für den Lesesommer kommt „Feuerprobe – Commissario Brunettis dreiundreißgster Fall“ von Donna Leon (Mai 2024, Diogenes. Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Schmitz) auf den Markt.
Zwei rivalisierende JugendGangs sind auf der Piazza San Marco aneinandergeraten, mitten in der Nacht. Während seine Kollegin Commissario Griffoni herauszubekommen versucht, wie ein Teenager in den Sog eines Flashmobs geraten konnte, nutzt Brunetti seine eigenen Beziehungen beim Ermitteln und stellt sich der Frage, wer verantwortlich ist – die Freunde, die Eltern, die Gesellschaft?
Außerdem hat ihm Vice-Questore Patta Brunetti wieder etwas „umgehängt“. Er soll einer gewissen Marylou Wilson beim Heimischwerden in der Lagunenstadt behilflich sein.
Wie schon üblich beschreibt Donna Leon neben dem Kriminalfall wieder die Veränderungen in der italienischen Gesellschaft und der Serenissima.
(JT Juni 2024)
Vidar Jörgensson ermittelt
Der dritte Halland-Krimi (jeder ist eigenständig und kann unabhängig voneinander gelesen werden) des Kriminologen und Autors Christoffer Carlsson schafft mit seinem sehr spannend erzählten Roman „Wenn die Nacht endet“ (Juni 2024, Kindler) eine Geschichte über Schuld, Trennung und Vergebung - ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis 2023.
An einem kalten Wintermorgen 1999 wird im kleinen halländischen Skavböke der 18-jährige Mikael Söderström erschlagen aufgefunden. Mit seinen Freunden war er in der Nacht zuvor auf einer Party.
Bei den Ermittlungen stößt die Polizei immer wieder auf zwei Namen: Killian Persson und Sander Eriksson. Doch nachweisen kann man dem Gespann, das seit der Kindheit unzertrennlich ist, nichts.
Als 20 Jahre später Mikaels jüngerer Bruder Filip in Skavböke ermordet wird, übernimmt Vidar Jörgensson von der Polizei Halmstad den Fall. Seine Ermittlungen führen zurück zu den Ereignissen von damals. Kann der Polizist jetzt endlich Licht ins Dunkel bringen?
Wer ist Opfer, wer ist Täter in diesem wendungsreichen Plot rund um Freundschaften und Schuld.
Der Krimi – ein echter Pageturner - ist mit all seinen Verstrickungen von Jugendlichen, die erwachsen werden, nicht nur sehr gut geschrieben, sondern hat auch ein schlüssiges und doch überraschendes Ende – was für viele Leser wichtig ist!
(JT Juni 2024)
Die Gefahren der Erlösung
Der Roman „Der Einfall der Geister“ von Randall Kenan (Sep. 2022, Suhrkamp) ist eine Entdeckung, ja ein Meisterwerk für fortgeschrittene Leser, denn Kenan macht es ihnen nicht einfach, den verschiedenen Erzählsträngen zu folgen – mangels eines durchgängigen Leseflusses, verschiedener Zeitebenen und diverser Cliffhanger.
Das Thema des Romans – erstmals 1919 erschienen - ist leider zeitlos. Der Protagonist Horace Thomas Cross kommt aus einer gläubigen Baptistenfamilie und er ist schwul. Horace ist nicht nur schwul, er ist auch fromm.
Der Haupterzählstrang dreht sich um ihn, einen Musterschüler der Highschool von Tims Creek in North Carolina. Am 29. April 1984 um 11.30 Uhr fasst Horace den Entschluss, sich in ein Tier zu verwandeln. Er will eine Gestalt annehmen, die ihm Freiheit beschert, er will kein Mensch mehr sein. Ein Ritual soll Horace befreien - von den Erwartungen, die seine Familie an ihn und seine Begabung stellt, von dem rasenden Begehren seiner Homosexualität. Die Befreiung missglückt.
Der Einfall der Geister im Titel des Romans meint nicht nur den Dämon, der Horace befällt, als er versucht, sich in einen Vogel zu verwandeln. Die Geister sind überall. Es sind die Geister der Geschichte, die Geister der Sklaverei.
Neben der Geschichte von Horace, werden noch andere erzählt. Im Jahr 1985 ist die Hauptfigur dann Jimmy, ein Priester und einer der Vettern von Horace.
Der Roman von Kenan ist außergewöhnlich, zwar traurig, aber beeindruckend.
(JT Mai 2024)
Mensch gegen Maschine
Wer schon beim Gedanken an einen Escape Room Platzangst und kalte Schweißausbrüche bekommt und KI als nicht kontrollierbare Bedrohung ansieht, für den ist der Nervenkitzel, dem uns Ursula Poznanski in ihrem Thriller „Die Burg“ (Feb. 2024, Knaur) aussetzt, der direkte Weg zum Nägelbeißen!
Der Milliardär Nevio hat die halbverfallene Burg Greiffenau instandsetzen lassen und um Unsummen Geld mit modernster Technik zu einer grandiosen Escape-Welt ausgebaut. Die Räume der Burg können durch KI und LED-Wänden alles werden, was eine Spielergruppe will – mit allen Schwierigkeitsgraden.
Bevor es losgeht mit den Spielen, hat Nevio eine Gruppe von Experten zum Testen eingeladen, die er für ihre Expertise reichlichst bezahlt.
Maxim Ascher ist selbst Besitzer mehrerer Escape Rooms, die man in ihrer Einfachheit nicht mit Greiffenau vergleichen kann. Für seine Kette bedeutet die Burg das vermutliche Ende. Ebenso sind die Influencerin Yvonne, Petra, Historiker Lothar und ein C-Promi namens Emil beim Test mit von der Partie.
Das Spiel beginnt, doch schon bald ist Schluss mit dem Spaß. Denn die KI spielt ihr eigenes Spiel und entscheidet über das Schicksal der Gruppe. Nevio, der beim Test mitmacht, ist außer sich vor Wut, dass die KI sich nicht beherrschen lässt und tobt herum ob des nicht vorhersehbaren Gruselfaktors für die Gruppe.
Poznaski’s spannender, sehr temporeicher Roman macht atemlos, sie bringt die düstere und beklemmende Atmosphäre der Fantasywelt auf den Punkt.
Wer noch nicht Angst hatte vor Escape Rooms und Künstlicher Intelligenz, der bekommt sie garantiert jetzt!
(JT April 2024)
Cold Case als Streaming-Serie
Zugegeben, man liest ja viele Krimis, aber „Murder in the Family“ von Cara Hunter (Feb. 2024, dtv)
ist nicht nur ein Thriller, sondern ist aufgezogen wie eine TV-Show mit Drehbüchern,
Regieanweisungen, Forenbeiträgen, Zeitungsartikeln, Lebensläufen, Steckbriefen und jeder Menge Cliffhangern nach jeder Folge der Streaming-Serie „Infamous“, die sich mit dem Mord an Luke Ryder
von vor 20 Jahren beschäftigt.
Es war ein Fall, der die ganze Nation bewegte und doch
nie aufgeklärt wurde. Im Dezember 2003 wird Luke ermordet im Garten des Familienhauses Dorney Place in London aufgefunden. Er hinterlässt seine wohlhabende ältere Witwe Caroline und drei Stiefkinder - Guy, Maura und Amelie Howard. Niemand hat angeblich etwas gesehen.
Eine Gruppe von Experten untersucht im Auftrag von Guy Howard in der True-Crime-Show erneut die Beweise. Und der Leser ist da hautnah dabei und kann miträtseln.
Verdächtig sind bald alle, die Witwe, die Stiefkinder, die Ermittler, die Leute, die hinter „Infamous“ stehen. Man stellt Vermutungen an und ist doch immer wieder auf der falschen Spur.
Die Autorin geht da sehr gewieft vor und baut eine außergewöhnliche Geschichte auf - mit einer durchaus neuen Präsentationsart.
Als Leser muss man da aber – und es fällt leicht durch die spannende Story – dranbleiben, weil sonst verliert man den Überblick mit all den Schauplätzen, den Involvierten und den Namen.
Fast wie ein Theaterstück!
(JT April 2024)
Yoga und Meditation im täglichen Leben
Die Yoga-Akademie Austria präsentiert eine Kollektion von Büchern rund um das Thema Yoga und Spiritualität, verfasst vom Geschäftsführer Autor Arjuna P. Nathschläger.
Die Bücher gewähren einen tiefen Einblick in die jahrhundertealte Wissenschaft des Yoga, und machen den Nutzen von Yoga und Meditation im täglichen Leben greifbar, indem Nathschläger den Lesern praktische Hilfestellungen für ihren Alltag bietet.
„Yoga fürs Leben“ gibt es als Taschenbuch und fasst in einfacher, klarer und vor allem praxisnaher Weise die gesamte Botschaft des Yoga zusammen. Es wird eine große Anzahl von Techniken beschrieben, die man sofort im eigenen Leben, in Beruf und Freizeit einsetzen kann. Detailliert und leicht verständlich werden Theorie und Praxis der fünf Schätze des Yoga für den Alltag beschrieben.
Das Taschenbuch „Handbuch Meditation“ bietet eine Gesamtschau aller theoretischen und praktischen Aspekte der Meditation. Mit großer Klarheit und mit stetem Alltagsbezug führt der Autor zum Ziel dieses Buches, nämlich die Leser zur eigenen Meditationspraxis anzuregen und zu helfen, den vollen persönlichen Nutzen aus der Meditation zu ziehen.
„Die spirituelle Schatzkiste“ trägt über 100 Geschichten zusammen, Juwelen der Weisheit aus verschiedenen Traditionen und Zeitaltern. Sie sind Nahrung und Medizin für die Seele. Sie führen uns durch die Welt der persönlich-spirituellen Entfaltung, zu einer tieferen Schau unserer selbst, unserer Welt und der zugrunde liegenden geistigen Gesetze.
Lassen Sie sich von der Welt des Yoga fürs Leben begeistern.
Bestellbar sind alle Bücher unter www.yogaakademieaustria.com/bibliothek/yoga-bücher
(JT März 2024)
Der Liebeswahn der Muna Appelius
Die hübsche Muna ist ein junges Mädchen aus Jüris in der DDR. Ihre Mutter, zu der sie ein Leben lang eigentlich keine Bindung aufbauen kann, ist eine alkoholkranke, abgetakelte Provinzschauspielerin. Zum Theater will Muna nicht, ihr liegt das Schreiben, die Literatur.
So jobt sie neben der Schule bei einem Magazin – und dort trifft sie ihr Schicksal. Sie begegnet dem für sie schönsten Mann, Magnus Otto, Französischlehrer und Fotograf. Während sie sich nach ihm verzehrt, ihn sogar stalkt, ignoriert er sie. Bis es ihr gelingt, ihn nach ihrer Matura-Feier im Verlag zu verführen. Am nächsten Tag geht er auf eine Reise und verschwindet für lange Zeit aus ihrem Leben.
Was aber die Amour fou nicht enden lässt.
Muna ist diesem Mann verfallen und als sie ihn Jahre später, sie studiert in Wien, wieder trifft, setzt sie die toxische Liebesbeziehung fort. Doch Magnus ist ein männlicher Eisbrocken und was Muna für ihn ist, weiß man eigentlich nicht. Wahrscheinlich nur eine Frau für seinen psychischen und später auch physischen Missbrauch. Er hat einfach Macht über sie. Überall, wo er hingeht, ob Berlin oder Island oder Basel, Muna folgt ihm. Seine Unberechenbarkeit, seine Kälte, selbst beim Sex, bleibt. Aber Muna kann ohne ihn nicht leben. Und setzt auch immer wieder ihre ohnehin prekäre Existenz - sie zieht zwar immer wieder ein paar kleinere Projekte an Land, mit denen sie sich finanziell über Wasser hält - aufs Spiel. Als Magnus ihr sagt, dass es endgültig aus ist zwischen ihnen, erleidet sie einen kompletten Zusammenbruch.
„Muna oder Die Hälfte des Lebens“ von Terézia Mora (Aug. 2023, Luchterhand) zeigt, wie eine Liebe das Leben zur Hölle machen kann.
Mit der Figur der Muna wird man als Leser eigentlich nicht warm, sie nervt mit ihrer eingebildeten Beziehung zu Magnus, weil sie einfach nicht mitbekommen will, dass Magnus im Grunde ein Psychopath ist und sie nur sein Opfer. Sie bekommt in ihrem Liebeswahn nichts auf die Reihe, weder Job noch Studium noch Beziehungen zu Freunden und Bekannten. Es gelingt der Autorin nicht wirklich, dass man Mitgefühl mit ihrer Protagonistin entwickelt.
(JT Feb. 2024)
Ein Befreiungsversuch
Es ist noch nicht so lange her, dass homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern kriminalisiert wurden und man aufgrund von Gesetzen und Moralvorstellungen wegen der Veröffentlichung von Büchern über Homosexualität mit Gefängnisstrafen rechnen musste.
„Das Neue Leben“ (Okt. 2023, Insel Verlag) ist der Debütroman von Tom Crewe – und es ist eines der besten queeren Bücher der letzten Jahre. Durchaus eine Tragödie voll Lust, Kämpfen und Selbstakzeptanz. Crewes Roman über seine Protagonisten John Addington und Henry Ellis sprüht nur so von der Leichtigkeit seines fulminanten Erzählstils.
Das mutige Buch, ein moderner historischer, fiktionaler Roman, spiel in der Viktorianischen Epoche um 1900 mit ihren starren, finsteren Sittlichkeitsvorstellungen. Weit weg von avantgardistischen Moderne-Strömungen.
John und Henry wollen ein Buch über Homosexualität schreiben, über neue Liebes- und Lebensformen – die auch heute noch keine Selbstverständlichkeit oder Normalität sind. Beide Männer sehnen sich nach Fortschritt, nach einem Schritt ins Freie. John lässt sich mit einem hübschen jungen Mann ein und demontiert seine bürgerliche Existenz, während Henry einsehen muss, dass seiner Frau weit mehr an ihrer besten Freundin als an ihm liegt.
Die beiden Männer stoßen bei ihrem Buch-Vorhaben auf so manche Widrigkeiten.
Und der Leser auf so manch heftige SexSzenen.
Eine prickelnde und spannende Lektüre über Engstirnigkeiten und Lust als bleischweres Gewicht.
(JT Feb. 2024)
Skurrilitäten
In der Kürze liegt die Würze - das hat sich wohl Eva Salvarani gedacht, als sie ihre mikrokurzen Geschichten über Absurditäten des Lebens geschrieben hat.
Mit feiner Ironie und scharfer Klinge schreibt sie in „Eine vergnügliche Reise durch den Lebensdschungel“ (Nov. 2023, novum) über Bankangestellte, die im Schnecktempo Belege ordnen, wie der Frühling schmeckt oder über Kaffeeautomaten, die keinen Kaffee ausspucken.
Sie nimmt in ihrem ganz dünnen Buch, das sich für eine LesePause zwischendurch bestens eignet, so manche AlltagsProbleme aufs Korn.
Im Mittelpunkt steht eine Figur namens Sarkasti, die oft nicht glauben kann, was sie sieht.
Besonders gut passen auch die Illustrationen des Karikaturisten „Geronimo“ zu den Stories.
(JT Feb. 2024)
Stalker sind einfach fies
Überaus spannend webt Ivar Leon Menger in seinem Psychothriller „Angst“ (August 2023, dtv) eine dichte Geschichte über das leider aktuelle Thema Stalking. Der Roman, der in der coolen KreuzbergSzene von Berlin spielt, hat es ziemlich in sich und bringt so manche überraschende Wendung mit sich.
Der Stalker ist süchtig nach der jungen toughen NachwuchsSchauspielerin Mia Richter, er klebt wie ein Schatten an ihr.
Mia, die im Odenwald bei ihren Großeltern aufgewachsen ist und in Berlin Schauspiel studiert hat, macht sich Hoffnung auf die weibliche Hauptrolle in einem Film über Caspar David Friedrich.
Sie spürt aber eine gewisse Beunruhigung in ihrer Umgebung durch den reichen, charmanten und durchaus großzügigen Viktor Engel, den sie einmal gedatet hat und den sie eigentlich nicht mehr treffen möchte. Er aber schiebt sich in ihr Leben und es gibt so manchen befremdlichen Vorfall. Mit der Zeit kriegt sie es mit der Angst zu tun. Ihre Schlüssel sind weg, ihr Flirt mit David, in den sie sich wirklich ziemlich verliebt hat, nimmt ein jähes Ende, als dieser ermordet wird.
Ihre WG-Mitbewohnerin Yvonne ist hingegen von Viktor hingerissen. Philipp, ein Assistenzarzt in der Charité, der ebenfalls ein Zimmer in der WG hat, verhält sich auch komisch, aber auf ihn kann sich Mia verlassen, denn sie will sich ihr Leben nicht stehlen und sich einschüchtern lassen, sondern beschließt, den Spieß umzudrehen und den Stalker zu stellen, sprich Viktor eine Falle zu stellen.
Menger beschreibt in Rückblenden das Leben des durchaus grausamen Stalkers. Und schickt seine Leser durch so manche filmreife Szene, er beschreibt die Ohnmacht von Stalking-Opfern detailliert,
die Zweifel, die Unsicherheit. Bevor dann das Ende kommt, das man so nicht erwartet.
(JT Jan. 2024)
Ausflug zu den dunklen Winkeln der menschlichen Seele
Der neue Psychothriller von Bestseller-Autor Arno Strobel führt wieder in die seelischen Abgründe eines Serienmörders – „Der Trip“ (Aug. 2023, Fischer Taschenbuch) zeigt einen guten Spannungsbogen, auch wenn sich diesmal im Krimi vielleicht ein paar Längen eingeschlichen haben und man nicht mit jedem Protagonisten warm wird. Strobel-Fans wird das nicht stören!
Als auf verschiedenen Campingplätzen im Norden Deutschlands Menschen getötet werden und die Ermittler in Oldenburg vor einem Rätsel stehen, weil die scheinbar wahllosen Morde, die immer nachts geschehen, keine Zusammenhänge aufweisen, wird die forensische Psychologin Evelyn Jancke zugezogen um bei der Aufklärung mitzuarbeiten.
Jancke hat aber selbst schwere Probleme, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, seit ihr Bruder Fabian
und dessen Frau zwei Jahre zuvor auf einem Wohnmobil-Trip spurlos
verschwunden sind. Es gibt kein Lebenszeichen von ihnen, die Ermittlungen in diesem Fall wurden eingestellt.
Allein ihre Arbeit hält Evelyn aufrecht. Und
ihre nächtlichen Streifzüge in Bars, wo sie Männer für einen One-Night-Stand aufreisst, was besonders ihren früheren Freund, Kriminalhauptkommissar Gerhard Tillmann, den Ermittler in den Fällen
des „Campers“, beunruhigt.
Schließlich wird der Serienkiller von einem Mann
beobachtet, und die Polizei erstellt mit Hilfe eines Phantombildzeichners ein Foto. Als Evelyn dieses Bild sieht, zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg, denn sie glaubt, Fabian darauf zu
erkennen.
Tillmann kümmert sich danach rührend um Evelyn, man merkt, dass er noch schwer in sie verliebt ist und nie über die Trennung hinweggekommen ist.
Evelyn, die eigentlich nichts mehr von Tillmann will, begibt sich schließlich mit ihm auf eine Reise voller Gefahren. Sie sind auf der Suche nach dem Killer, wobei sie in erster Linie aber ihren Bruder finden will.
In einer zweiten Erzählebene lässt Strobel den Killer erzählen, warum er eigentlich Jagd auf Menschen macht, es sind immer jene, die anderen nicht helfen, wenn sie dringend Hilfe benötigen.
Zum Ende hin traut man als Leser eigentlich aufgrund von so manchen Wendungen niemandem mehr!
(JT Jan. 2024)
Ich bin Pusus
Ein alter Mann, der sich Jakob nennt, blickt zurück auf seine furchtbare Kindheit als Sklave im spätrömischen Reich. Als namenloses Waisenkind wächst Pusus (ein Wort für Knabe) in einem Bordell inmitten im spanischen Carthago Nova, dem heutigen Cartagena, im 4. Jahrhundert n. Chr. auf.
Euterpe, eine der sogenannten Wölfinnen, sprich Prostituierten, wird quasi seine Ziehmutter. Sperling nennt sie ihn liebevoll. Auf einem Sklavenschiff in der Stadt gelandet, von dem Dominus des Bordells gekauft, wächst der kleine dunkelhäutige Junge zwischen den Prostituierten auf, verrichtet erst Botendienste, arbeitet in der Küche und später in der Taverne, bis er schließlich selbst zur Wölfin wird. Er wird in die Prostitution gezwungen und muss Freier beglücken, dabei ist er da erst 10 Jahre alt. Sein einziger Daseinszweck besteht darin, benutzt zu werden.
James Hynes schreibt mit „Ich, Sperling“ (Sep. 2023, dtv) keinen historischen Tralala-Roman, sondern einen durchaus schwer verdaulichen Schmöker für Fortgeschrittene. Er zeigt, wie die unterste ausgenutzte Klasse im spätrömischen Reich, das schon in seinen letzten Zügen lag, lebte. Von Grausamkeiten und Brutalitäten umgeben.
Hynes schildert den rauen Alltag in dem Viertel, in dem die Taverne „Helikon“ liegt, mit seinen Gerüchen und Geräuschen, seinen Menschen und deren elenden Abhängigkeiten.
Kein leichtes Buch, aber gut!
(JT Nov. 2023)
Töten als Therapie
Jan Jepsen und Kester Schlenz haben es wieder getan! Sie schicken das Team vom LKA 12 Hamburg-Altona erneut raus zum Ermitteln im Kriminalroman „Der Schattenmann“ (Okt. 2023, btb Verlag).
Anlässlich einer grausamen Mordserie müssen Thies Knudsen und seine von ihm heimlich verehrte Kollegin Dörte Eichhorn, Dörte Harry genannt, wie gehabt kongenial unterstützt von Knudsens bestem Freund Oke „La Lotse“ Andersen und der Spurensicherin Susanne „Spusi“ Diercks, sich die gruselige Gretchenfrage „Was haben die Opfer getan?“ stellen.
In seiner Wohnung in Hamburg-Altona wird der tote Albrecht Tarnow, eingewickelt wie eine Mumie, gefunden. Verdurstet, so hat es den Anschein. An der Zimmerwand eine kryptische Botschaft: „Das Andere der Vernunft“. Was soll das? Kommissar Knudsen, der mit den Jahren eher dünnhäutiger wird, es fehlt ihm an Resilienz, tappt im Dunkeln. Und schon bald werden weitere Leichen gefunden – erfroren, vergiftet, eingesperrt in einer dunklen Schreckenskammer, verstümmelt. Und an den Wänden immer geheimnisvolle Botschaften, die nur schwer zu deuten sind.
Sicher ist nur eins: ein Serientäter treibt sein Unwesen. Was ist sein Motiv? Wo liegt die Verbindung zwischen den Opfern? Als eine Spur in die Vergangenheit auf eine einsame Insel in der Elbe führt, wo sich früher ein Kinderheim befand, schält sich der Gedanke an einen Mörder heraus, der unfassbare Dinge, die dort geschahen, nicht vergessen kann und will.
Düster.
(JT November 2023)
Am Ende des Tages wird es für alle zur gleichen Zeit dunkel
Im Januar 2003 findet Anne Berest’s Mutter Lélia unter den Neujahrswünschen eine verstörende Postkarte mit nichts als den Namen von vier Angehörigen – Ephraim, Emma, Noémie und Jacques - die in Auschwitz ermordet wurden, ohne Absender, ohne Unterschrift. Die Familie ist verschreckt und lässt die Karte in einer Schublade verschwinden.
Anne fragt Jahre später nach und die Mutter erzählt ihr dann die tragische Geschichte der Familie Rabinowicz und wie Myriam, Lélia’s Mutter, der Vernichtung in der Nazizeit entkam.
Aber erst als ihre kleine Tochter in der Schule Antisemitismus erfährt, beschließt Anne, der Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Mithilfe eines Privatdetektivs recherchiert sie in alle erdenklichen Richtungen und schreibt nach ihrer Spurensuche schließlich den autofiktionalen Roman
„Die Postkarte“ (Juni 2023, Berlin Verlag).
Ein zu Recht preisgekröntes Werk, ein Denkmal für die Opfer der Judenverfolgung des Naziregimes, eine sehr bewegende Geschichte, die zum Nachdenken anregt.
Antisemitismus – heute aktueller als man möchte.
Das Buch zeichnet den Weg von Anne’s Vorfahren nach, die Autorin geht ihrem Schicksal nach. Und liefert damit eine durchwegs schwierige Kost. Obwohl man als Leser mit vielen Namen und Orten konfrontiert wird und man "dranbleiben" muss, ist der Roman aber so mitreißend, dass man nicht aufhören kann beim Lesen – auch weil man endlich hinter das Geheimnis der Postkarte kommen möchte!
(JT Okt. 2023)
Gefangene der ersten Liebe
Stephan Lohse schreibt mit seinem Roman „Das Summen unter der Haut“ (Juli 2023, Insel) in einer sehr schönen, zarten Sprache über die erste Liebe, die Freude und den Schmerz darüber und das Aufwachsen in den siebziger Jahren.
Julle ist vierzehn Jahre alt. Dass er schwul ist, weiß keiner. Vielleicht ahnt seine Mutter etwas. Seiner älteren Schwester gegenüber hat er sich bereits durch ein Versehen geoutet.
Kurz vor den Sommerferien bekommt er einen neuen Mitschüler, Axel, in den er sich sofort verliebt. Er freundet sich mit ihm an. Zusammen verbringen sie Zeit im Freibad und entdecken eine versteckte, halb abgebrannte Hütte im Wald. Als sie deren Geheimnis beinahe gelüftet haben, ist Axel plötzlich verschwunden – und Julle ahnt, dass nach diesem Sommer nichts mehr so sein wird wie davor.
Der Autor schreibt mit viel Empathie ein Wohlfühlbuch über zwei witzige, liebenswerte Jungs und den Dingen des Lebens in ihren aufregendsten Tagen, die ihnen alles bedeuten - für junge Leser, aber nicht nur. Queere Literatur – sehr fein.
(JT Okt. 2023)
Poesie macht unseren Alltag besonders
Manchmal verlangt das Leben und unser AlltagsBlues nach Erinnerungen an beglückende Momente, nach einem GlücksAnker sozusagen.
Für Christl Greller, die mit "berichte von der innenfront" (2022, edition lex liszt 12) einen LyrikBand der Extraklasse vorlegt, ist das die Poesie, an der der Leser teilhaben kann.
Ohne Schnörkel, mit präziser Treffsicherheit und Leichtigkeit setzt Greller ihre sicherlich nicht dem Mainstream entsprechenden Gedichte. Das Büchlein sollte man auf keinen Fall in einem Zug durchlesen, sondern „genießen“.
Die „berichte von der innenfront“ sind der Autorin’s Versuch, das Nicht-Teilhaben-Können an der Welt nach persönlichem Verlust und pandemiebedingten Abstandsgeboten zu überwinden. Sie verharrt aber nicht im Ausloten von Schmerz und Abschied. Sie bezieht Stellung zu Umweltproblemen und Klimanotstand und erschreibt sich glückhafte Naturerlebnisse und Reiseerinnerungen. So zeigt uns Christl Greller, wie es neben Leid und Verzweiflung auch immer Hoffnung gibt.
In den Gedichten mit ihren ungewöhnlichen Zeilenbrüchen finden sich nicht nur Bitterkeit, sondern auch ein feiner Humor, der Greller so eigen ist!
(JT Okt. 2023)
Ein venezianischer Kriminalfall
Venedig geht immer! Dachte sich auch Susanne Ayoub und schrieb mit „Rondo Veneziano“ (Feb. 2023, Gmeiner-Verlag) einen Kriminalroman, der sich nicht nur um die Serenissima, sondern auch um den Holocaust, die Geschichte der Armenier und den Mechitaristenorden dreht.
Die pensionsreife Zahnärztin Adele kann ohne Arbeit nicht sein, Bibliothekarin Chris ist frisch pensioniert und Biggi musste kürzlich ihre Boutique für immer zusperren.
Auf einem Vaporetto in Venedig begegnen sich die drei ehemaligen Schulfreundinnen aus Wien zufällig - und sind gleich darauf in einen Kriminalfall verstrickt. Adeles reiche Wahltante, die Kunstsammlerin Pauline Agassian, beste Freundin ihrer Mutter, hatte in ihrem Palazzo angeblich einen tödlichen Unfall laut ihrem dubiosen Neffen Marlon aus Amerika.
Adele glaubt nicht, dass Pauline, die sich trotz ihres hohen Alters guter Gesundheit erfreute, einfach bei einem Unfall gestorben ist. Alles ist irgendwie zu Venedig passend mysteriös, auch die in die Handlung verstrickten Personen.
Eine Spur führt die drei Frauen bei ihren Recherchen, die speziell Chris und Biggi betreiben, zu einem armenischen Kloster auf der Insel San Lazzaro in der Lagune.
Durch Rückblenden aus der Feder von Pauline erfährt man viel über ihren tragischen Lebensweg, ihre Liebe zu Lauro, ihre lebenslange Freundschaft zu Greti, da diese Schilderungen zwischen den Begebenheiten der Gegenwart eingefügt wurden.
Die Geschichte von Ayoub, die für diese Autorin im Stil ungewohnt oberflächlich bleibt, nimmt nur langsam an Fahrt auf. Man bleibt als Leser aber am Geschehen dran, denn natürlich will man wissen, was passiert ist. Am Ende gibt es dann dafür eine Überraschung!
(JT Okt. 2023)
Der Tote im Fluss
Mit „Nebelblau“ (Juli 2023, rowohlt Polaris) liegt der dritte und abschließende Fall für Polizistin Eira Sjödin von Tove Alsterdal vor. Die Autorin hat dabei einige Handlungsstränge zu einem Ende zu weben, weil Eira’s neuer Fall weit in die Vergangenheit zurückführt.
Taucher finden im Ångermanland-Fluss ein Skelett, das mit einem Anker beschwert am Grund liegt. Eira Sjödin und ihre Kollegen beginnen in diesem Cold Case zu ermitteln. Die schwedische Polizistin ist, wenn auch distanziert dazu, ein wenig mit ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft beschäftigt. Wer der Vater ist, weiß sie nicht, aber beide Männer, Jugendfreund Ricke oder Kollege August, die in Frage kommen, wollen sich um das Baby kümmern.
Schon bald stellt sich heraus, dass der Tote ein im Vietnamkrieg desertierter US-Amerikaner ist.
Während des Vietnamkrieges flüchteten Amerikaner nach Schweden, wo sie vor der Auslieferung sicher waren. Doch nicht alle Einheimischen waren von ihrer Anwesenheit begeistert und es gab Spitzel der CIA, die den jungen Männern das Leben schwer machen konnten. Darauf baut Alsterdal ihre Geschichte. Und natürlich spielt auch die Familiengeschichte von Eira hinein. Denn was hat ihre Mutter Kerstin mit den Deserteuren zu tun? Schwierig herauszufinden, da ihre Demenz fortschreitet.
Und es geht auch darum, ihren Bruder Magnus aus dem Gefängnis zu bekommen und die noch immer flüchtige Lina Stavred dingfest zu machen. Nebelblau ist ein typisch skandinavischer Krimi, der so nebenbei auch politisch wird.
Im typisch skandinavischen Krimi wird langsam, aber sicher ein Geheimnis nach dem anderen gelüftet. Und ein Baby wird geboren!
(JT August 2023)
Überwacht
Anthony McCarten schreibt mit „Ground Zero“ (April 2023, Diogenes) einen durchwegs spannenden, aber ziemlich erschreckenden Roman.
Cy Baxter, ein skrupelloser Social Media Mogul aus dem Silicon Valley testet bei einem Projekt
der US-Geheimdienste sein Programm Fusion an 10 Protagonisten, die 30 Tage unauffindbar sein müssten, um 3 Millionen Dollar als Belohnung zu cashen, während das CIA und ein Unternehmen namens
Worldshare versuchen, sie mit den neusten Überwachungsmethoden aufzuspüren, natürlich im Namen der Sicherheit.
Eine junge Bibliothekarin aus Boston ist entschlossen, es zu versuchen.
Kaitlyn Day ist gut und clever und macht dem großen Baxter und seiner Geliebten Erika
Coogan ganz schön Kopfzerbrechen. Das ist ein gefährliches Spiel, das sie da spielt, denn Baxter kennt keine moralischen Grenzen.
Es stellt sich für die Leser die Frage, ob man als Einzelner überhaupt eine Chance gegen das System hat. Es ist beklemmend, wie leicht wir zu finden sind, welche Spuren wir tagtäglich hinterlassen, auch wenn wir uns bemühen, es nicht zu tun.
Das Buch – mit so mancher unerwarteten Wendung - regt zum Nachdenken an!
(JT August 2023)
Der Plastinator geht um
Das Autoren-Duo Kester Schlenz und Jan Jepsen schreibt mit dem Krimi „Der Bojenmann“ (April 2023, btb) einen ganz schön gruseligen Roman über einen Mörder in Hamburg.
Denn so einen exzentrisch exponierten Toten hat der Hamburger Kommissar Thies Knudsen, leitender Ermittler des LKA in Altona, noch nie gesehen. Die hölzerne Kunstfigur Bojenmann von Stephan Balkenhol, die bei Övelgönne im Fluss auf einer Tonne steht, ist über Nacht abgesägt und ausgetauscht worden und zwar durch eine ähnlich aussehende, besonders makabre Leiche.
Ist hier ein Spinner am Werk und wie kann man eine Leiche so kunstvoll herrichten?
Knudsen und sein Team, die toughe Dörte Eichhorn, geheim Dörte Harry genannt und von ihm auch insgeheim bewundert, und die Forensikerin Spusi Diercks, sind ganz schön ratlos. Bald ist klar, dass ein durchgeknallter, aber raffinierter Serientäter die Stadt heimsucht, denn weitere Opfer folgen.
Kommissar Knudsen fragt schließlich seinen alten Freund Oke Andersen, La Lotse genannt, um Rat. Der ehemalige Lotse lebt direkt an der Elbe in Övelgönne, hat quasi Elbwasser im Blut, kennt sich bestens aus im Hafen der Hansestadt, ist außerdem sehr belesen, daher sein Spitzname, und denkt und kombiniert scharf. Andersen findet wirklich die richtige Spur. Sie führt zu einem Mann, der seit Jahren verschwunden ist - und zu einer internationalen Seemannsmission, dem Duckdalben. Das ist ein Ort, wo die Seemänner, die nur kurz Zeit haben, wenn ihre ContainerStahlkolosse entladen werden, Kontakt mit ihrer Heimat aufnehmen, skypen, beten oder sich sonst irgendwie vom öden, aber harten Dasein auf ihren Pötten ablenken können. Denn ihr Leben hat so gar nix mit dem chicen Leben der Matrosen aus der Jean Paul Gaultier-Werbung zu tun.
Schließlich stellt sich heraus, dass die Leichen plastiniert wurden, und zwar sehr professionell. Die Frage ist, wer kann das und warum tut er es? Hat der Mörder einen Gotteskomplex oder nur sonst einen an der Waffel? Die Soko Boje hat genug zu tun und das ist nicht immer ganz ungefährlich!
Das Buch schreit förmlich nach einer Fortsetzung!
(JT Juli 2023)
Die Liebe steht in den Sternen
In dem queeren Roman „Zodiac Love: Starlight in Our Dreams“ von Andreas Dutter (März 2023, Knaur TB) schließen der von Astrologie begeisterte Felix Novak und Medizin-Student Owen O’Hickey, der den Sternen mehr als skeptisch gegenübersteht und nichts davon hält, eine Wette ab, die ihrer beider Leben für immer verändert. Owen soll verschiedene Sternzeichen daten, und Felix wird vorhersagen, wie die Dates laufen.
Der schüchterne 19-jährige Österreicher Felix ist Sternzeichen Fische und liebt die Sternendeuterei. Er macht ein Auslandsstudium in Irland, am University College Cork, und ist sofort angetan vom Charme des College. Auch sein Nebenjob bei einem Herrenausstatter beginnt vielversprechend – jedenfalls bis zum Besuch seines ersten Kunden Owen O'Hickey. Mit Owen’s schroffer Art kommt Felix nicht klar. Bald merkt er aber bei einer nächsten Begegnung, dass Owen gar nicht so übel ist.
Dutter schreibt gut und geht auch liebevoll mit seinen beiden Protagonisten um, er entwickelt den Roman aber sehr langsam und die Geschichte, einmal aus Owen’s Sicht, dann wieder aus Felix’s Betrachtung, schleppt sich ein wenig dahin.
Es dauert auch fast zu lange, bis sich Felix und Owen wirklich näher kommen, aber die Liebesgeschichte steht auch nicht wirklich im Vordergrund des Romans.
Am besten ist es, wenn man als Leser selbst an die Sternzeichen glaubt!
(JT Juli 2023)
Die Legende von Ellie und Boxer
Der Thriller „Der Morgen“ von Marc Raabe (März 2023, Ullstein) ist Band 1 der Art Mayer-Serie. Er hat durchaus das Zeug, die Leser um den Schlaf zu bringen!
Im morgendlichen Schneegestöber an der Berliner
Siegessäule findet die Polizei auf der Ladefläche eine Kleinlasters eine halbnackte tote Frau. Jemand hat ihr mit roter Farbe etwas auf den Körper geschrieben - die Privatadresse
des Bundeskanzlers. Die Tote ist die Frau des Gesundheitsministers. Damit brennt der Hut!
Am Tatort trifft die Kommissar-Anwärterin Nele Tschaikowski auf den berüchtigten Ermittler Artur Mayer, der eigentlich suspendiert ist, weil er dem Polizeipräsidenten eine Ohrfeige gegeben
hatte, und gerade mit schweren gesundheitlichen Problemen aufgrund seiner Diabetes kämpft, aber von seinem Kollegen Martin Buchwald speziell für den Fall angefordert wurde.
Kurz darauf tauchen im Netz Videos von der Toten auf, und der Fall nimmt eine dramatische, lebensgefährliche Wende für alle Protagonisten.
Raabe verwebt zwei Erzählstränge, einer spielt in der Gegenwart und der andere in der Vergangenheit, in der der 12-jährige Boxer, ein adoptiertes Heimkind, sich unsterblich in ein älteres Mädchen verliebt, das er Ellie nennt. Sie ist jedoch fix vergeben. Die beiden erleben mit der Gang rund um Ellie unbeschreibliche Abenteuer, bevor sich ihre Wege trennen.
Dass die Vergangenheit und die Figuren etwas mit der Gegenwart zu tun haben, ist klar, aber was?
Es ist ein Rätsel!
Denn immer wieder gibt es Überraschungen, Verstrickungen, Wendungen, mit denen man nicht gerechnet hätte, und so kommt man nicht auf die Lösung der superspannenden Geschichte.
Dem Showdown fiebert man daher aufgeregt entgegen!
Brunetti ermittelt wieder!
Auf Donna Leon ist Verlass. Sie schickt mit „Wie die Saat, so die Ernte“ (Mai 2023, Diogenes) Commissario Brunetti zu seinem zweiunddreißigsten Fall.
Ob man den Krimi für gut hält oder nicht, ist absolut Nebensache für alle Leon-Fans. Hauptsache: Venedig! Wenn auch bei Schmuddelwetter im trüben November. Die Geschichte plätschert so dahin, wie das Wasser in den Kanälen.
Diesmal kommt man hinter die Mauern eines Palazzos und damit in einen versteckten Garten. Venedigs Gärten sind ein Geheimtipp. Hinter hohen Mauern verbirgt sich so manches Juwel – oder auch eine Wildnis. Der neue Fall führt hinter die Umfriedung eines verwitterten Palazzos.
Ein Flüchtling aus Sri Lanka lebt dort heimlich im Gartenhaus. Als er getötet wird, steht die Polizei vor einem Rätsel, da er sich ohne Papiere in Italien aufhielt. Welche Feinde könnte der Tote gehabt haben?
Brunetti landet bei seinen Ermittlungen in der eigenen studentischen Vergangenheit in den 80er Jahren, jugendlichen Idealen und Revoluzzer-Sünden, der fiesen Zeit des linken Terrors, in einer von den Italienern gern verdrängten Zeit von Entführungen und Attentaten. Und während er sich das Italien seiner Studentenzeit vergegenwärtigt, nähert er sich der Lösung.
Die letzte Fahrt
Fans des großen GeschichtenErzählers, John Irving, werden wie immer von seinem neuesten (letzten?) Buch „Der letzte Sessellift“ (April 2023, Diogenes) begeistert sein von diesem Plädoyer für sexuelle Toleranz. Seine Kritiker werden das Mammutwerk – ein 1000-Seiten-Wälzer – negativ darstellen und unbeschreibbar, da erstickend und anstrengend.
Aber jeder, der versucht zu erklären, was in Irving’s Romanen wirklich passiert, muss scheitern.
Man muss sich ihnen „hingeben“ und durchhalten, dann genießt man das Vergnügen, einen „Irving“ zu lesen.
Es geht um Adam Brewster, Sohn von Rachel,
Little Ray genannt, die einst bei Skimeisterschaften in Aspen, Colorado, antrat, von dort ohne Medaille nach New Hampshire zurückkehrte, aber mit einem Kind im Bauch. Adam lebt bei seiner
Großmutter, eine wichtige Bezugsperson für ihn ist auch seine Cousine Nora. Little Ray heiratet, obwohl sie lesbisch ist, Elliot Barlow, einen Transsexuellen, der sich im Laufe der Zeit zur Frau
wandelt. Der Vater von Adam – ein Geheimnis. Fragen nach ihm werden nur ausweichend beantwortet. Ist er das Ergebnis einer Vergewaltigung? Schließlich macht er sich auf die Suche nach
Antworten auf nach Aspen. Im Hotel Jerome, in dem er gezeugt wurde, trifft Adam auf einige Geister.
Irving’s Roman ist ein ungewöhnliches Familienbuch, aber es ist auch ein politisches Buch, das klar Stellung für die Demokraten in den USA und gegen die Republikaner bezieht. Und es
ist auch ein sehr emotionales, sentimentales Buch. Auf jeden Fall grotesk – und das lieben wir an John Irving’s Büchern!
Wer lügt hier?
Claire Douglas schreibt mit „Liebste Tochter – Du lügst so gut wie ich“ (März 2023, Penguin Verlag) einen spannenden Thriller, der die dunklen Geheimnisse von zwei Familien ans Licht bringt.
Die schwangere Saffy ist mit ihrem Mann Tom nach Beggars Nook, einem Dorf in den Cotswolds, gezogen, ins pittoreske Häuschen ihrer Großmutter Rose Grey, die aufgrund ihrer fortschreitenden Demenz im Pflegeheim lebt.
Bei Renovierungsarbeiten werden im Garten die
Leichen zweier Menschen entdeckt. Der grausige Fund führt Saffy wieder mit ihrer in Spanien lebenden Mutter Lorna zusammen, das Verhältnis der beiden ist ein wenig schwierig. Lorna hat einst als
kleine „Lolly“ mit Rose auf dem alten Anwesen gewohnt, kann sich aber an nichts erinnern.
Alle Hinweise deuten auf einen vor Jahren begangenen Doppelmord hin. Wer sind die Opfer? Der Fund sorgt in der idyllischen Kleinstadt mitten in England für Aufsehen. Während die
Journalisten das Haus belagern, nehmen Saffy und Lorna die Recherchen selbst in die Hand. Rose gibt nur rätselhafte Antworten auf ihre Fragen.
Was ist vor all den Jahren wirklich geschehen? Und was hat der Koch Theo Carmichael, der mit einem despotischen Vater „gesegnet“ ist, mit dem Fall zu tun?
Der Autorin gelingt es meisterhaft, die Fäden der Ereignisse zusammenzufügen.
Wobei: der Titel des Buches ist ein seltsam und führt die Leser ein wenig in die Irre!
(JT 2023)
Nichts für schwache Nerven
BKA-Profiler Maarten S. Sneijder ist bei seinem letzten Einsatz nur knapp dem Tod entronnen und hat fast sein gesamtes Team verloren. Darunter auch seine sehr geschätzte Kollegin Sabine Nemez. Das trifft Sneijder, der sonst immer den toughen Guy gibt, härter als gedacht. Da hilft ihm auch kein frisch gekochter Vanilletee oder ein Joint.
Da ergibt sich plötzlich ein Hinweis, dass sein Eichkätzchen Sabine noch am Leben sein könnte.
Unter Hochdruck muss Sneijder nun ein neues Team zusammenstellen um sie aufzuspüren und gerät dabei in einen hochkomplexen Fall. Neu ins Team kommt die autistische Studentin Miyu Nakahara mit einer ausgeprägten Hochbegabung. Dabei ist auch wieder Marc Krüger, der IT- und Abhörspezialist aus dem ehemaligen Team.
Im Thriller „Todesrache“ von Andreas Gruber (Sep. 2022, Goldmann) kommt es bei der Suche nach Nemez zu Verstrickungen mit einem Entführungsfall rund um den ehemaligen Richter Gerlach. Verwickelt darin ist auch der Leipziger Kripoermittler Walter Pulaski, ist doch dessen Tochter Jasmin mit dem Richter und dessen Frau, scheinbar irrtümlich, entführt worden.
Sneijder braucht zur Klärung seines Falles Pulaski, der auf seine Art auch nicht unexzentrisch ist.
Doch der zeigt sich wenig hilfsbereit aufgrund seiner eigenen Probleme.
Dramatik pur! Wie man es vom Autor gewöhnt ist. Trotzdem wäre empfehlenswert, die vorherigen Bände der Serie rund um Sneijder zu kennen. Das Crossover mit der Pulaski-Reihe ist Gruber sehr gut gelungen!
Mord in der Literaturwelt
Alles wartet beim Erlanger Poetenfest auf Bernd Bockelbrink, den gefeierten Schriftsteller, doch der Romancier liegt tot in seinem Hotelzimmer, mit einem Messer in der Milz. Die Literaturwelt ist entsetzt. Oder doch nicht?
Kommissar Mütze stößt in seinen Ermittlungen schon bald auf ein dunkles Familiengeheimnis und erfährt von einem heftigen Rosenkrieg. Was haben Bockelbrinks Ex und ihr neuer Freund mit dem Mord zu tun? Auch die Literaturszene hatte eventuell einen Grund, Bockelbrink auszuschalten. Weiß Bockelbrinks Verleger Ludwig Sunder-Plassmann mehr, als er zugibt?
Das Lesefest selbst geht seinen gewohnten Ablauf weiter, ohne dass der erwartete Publikumsliebling auftritt. So ist das halt! Literatur ist eben stärker als der Tod!
Mütze gerät von allen Seiten bei seinen Recherchen unter Druck, da schaltet sich zu allem Überfluss auch noch sein wissbegieriger Freund Karl-Dieter, seine bessere Hälfte, ein. Wie immer gibt es Zänkereien!
Der Erlanger Literaturkrimi „Tod auf dem Poetenfest“ von Bestsellerautor Johannes Wilkes (Aug. 2019, Ars Vivendi) ist wie alle Teile der Frankenkrimis vergnüglich. Man erahnt beim Lesen den Mörder, aber Wilkes versteht es, zu verwirren und falsche Fährten zu legen!
Der Mörder und seine Puppen
Ein brutaler Serienkiller, von der Presse "Puppenmörder" genannt, weil er an den Tatorten gruselige Puppen hinterlässt, entführt die junge Krimiautorin Kara Bender. Der perfide Psychopath hält sie in einem düsteren Keller gefangen und zwingt sie, ein Buch über sein Leben zu schreiben. Für Kara, die unter Klaustrophobie leidet, beginnt ein Albtraum. Doch das Buch ist ihre einzige Chance zu überleben und es bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich das Lebensgeschwafel und die Abgründe von Rafael Dorn anzuhören und es in ihm genehme Kapiteln umzuwandeln.
Der starke Thriller „Das Buch – Schreib um dein Leben!“ von Patricia Walter (Jan. 2023, lübbe) ist ziemlich wahnsinnig und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Man kann beim Lesen kaum eine Pause machen, weil die Geschichte so fesselnd ist und die Autorin ihre Protagonisten ausgefeilt darstellt. Und am Ende noch eine Sache drauf setzt, die geradezu umwerfend ist.
Kriminalkommissarin Nadine Herfurth ist mit der spannenden Ermittlungsarbeit beauftragt und sucht mit ihrem Team mit Hochdruck nach ihr, immer wieder genervt von Christian Kehl, Reporter bei einer Boulevardzeitung, dessen Rolle sie nicht durchschaut. Im Mittelpunkt des Romans steht aber das packende Duell zwischen Kara und ihrem Peiniger.
Eine unmögliche Liebe
Bernardine Evaristo schreibt in ihrem Roman „Mr. Loverman“ (Feb. 2023, Tropen) über die späte Suche des Barrington Jedidiah Walker, genannt Barry, nach dem richtigen Leben mit der richtigen Liebe.
Immobilienunternehmer Barry wurde einst in Antigua geboren, ist schon fast ein halbes Jahrhundert mit seiner Frau Carmel verheiratet und führt ein beschauliches Leben in Hackney, liebt Retro-Anzüge, Rum und Shakespeare. Und seinen alten Jugendfreund Morris, einst Mädchenschwarm und Boxchampion. Die gegenseitige Liebe ist aber heimlich, denn in den 1950iger Jahren und auch danach war es nicht möglich, Homosexualität zu leben. Die durchaus frustrierte, strenggläubige Carmel vermutet, dass Barry, der eigentlich ein ziemlicher Macho und Lebemann ist und gerne den Clown gibt, sie betrügt, glaubt aber an ein billiges Flittchen. Der schwelende Konflikt eskaliert, als Carmels kranker Vater im Sterben liegt und sie in die Heimat fliegen will, um sich nach dreißig Jahren Funkstille von ihm zu verabschieden. Denn da beschließt Barry, sich von ihr zu trennen.
Jetzt, da beide alte Knacker sind, will der 74-jährige Barry seine alten Tage endlich mit Morris offen zusammenleben. Er will nicht mehr gesellschaftlichen Ansprüchen genügen und sich nicht mehr in der Kunst des Normalseins üben. Doch ist dieser Schritt tatsächlich machbar für das alte Liebespaar?
Evaristo, an deren eigenwillige Erzählweise man sich als Leser aber gewöhnen muss, rechnet in ihrem Roman, der von verschiedenen Standpunkten und in unterschiedlichen Zeitebenen geschrieben ist, gnadenlos mit den gesellschaftlichen Zwängen, denen wir unterliegen, ironisch klug ab. Der Roman ist brillant und zeigt uns eine Lebenswelt, die die meisten so nicht kennen.
(JT 2023)
Die Liebe in den Zeiten der Highlander
Der historische (Liebes)Roman „Als Patrick Mac Laurin seine Unschuld verlor“ von Eliot (Juni 2022, Himmelstürmer Verlag) spielt im 18. Jahrhundert in Schottland, nachdem die Schotten von englischen Truppen rücksichtslos und grausam besiegt, gedemütigt und unterdrückt wurden.
Alles, was dem Volk wichtig war, wurde verboten – Kilt, Dudelsack, Lieder, das Clan-System. Und Homosexualität, die schwer bestraft wurde. Auch, wenn sie illegal leben mussten, die sogenannten Sodomiten, war die Liebe zwischen Männern damals und heute im Verborgenen immer vorhanden – bedauerlicherweise ist sie heute noch in vielen Ländern verboten.
Im Jahre 1779 n. Chr. droht in Schottland eine Hungersnot, weil die Ernten schlecht sind. Der Clan der Mac Laurin aus dem Dorf Nairn kämpft ums Überleben. Allan, der zukünftige Clanchef nach seinem kranken Vater William, versucht in London Geld aufzutreiben um die Steuern zahlen zu können. Sein Bruder Patrick ist jung und ungestüm, Schotte mit Leib und Seele, naiv und ein bisschen ein Rumtreiber, der sich mit der Wirtstochter Catherine Burns heimlich vergnügt. Dabei entdeckt er, dass er eigentlich Männer wie seinen Pferdeknecht Jack oder den feingliedrigen Tom, Cathys Bruder, begehrt, gesteht sich jedoch nicht ein, ein Sodomit zu sein.
Als Allan am Rückweg aus England angeblich ertrinkt und von ihrem Onkel Murdoch im Sarg nach Hause in die SchlossBurg gebracht wird, herrscht unglaubliche Trauer.
Zur selben Zeit kommt Allans früherer bester Freund, Fingal Mc Intyre, zu Besuch. Seine Schwester Mary hatte sich mit Allan während dessen Aufenthaltes in London, wo Fin beim Lordkanzler arbeitet, verlobt. Er macht mächtig Eindruck, besonders auf Rose, die schöne Schwester von Patrick.
Fin und Patrick glauben nicht an einen Unfall Allans. Beide sind misstrauisch. An der Geschichte von Murdoch stimmt etwas nicht. Was hat das alles mit alten heidnischen Ritualen der Bauern zu tun und mit den geheimnisvollen Stimmen am Mac Laurin See, die immer ein Unheil ankündigen, wenn sie zu hören sind? Und wo ist die sagenumwobene Höhle, in der die alten Mac Laurins 30 Jahre davor während des Überfalls der Engländer überleben konnten?
Im Handumdrehen lernt Patrick in der Situation, in der sein Clan steckt, Verantwortung zu tragen und das Land seiner Vorfahren zu bewahren.
Durch Fin wird Patrick auch bewusst, daß er wirklich nicht auf Frauen steht. Er kann sich der Anziehungskraft, die von Fin ausgeht, nicht entziehen. In aller Heimlichkeit beginnen sie ein Verhältnis.
Mehr von der Handlung sei nicht verraten!
Der seltsame Herr Kuhn
Isabella Straub schreibt mit „Wer hier schlief“ (Sep. 2017, Blumenbar/Aufbau Verlag) einen Roman, bei dem man sich als Leser nicht ganz entscheiden kann, ob er eloquent ist oder nur grotesk, da man mit dem Protagonisten, Philipp Kuhn, nicht so ganz warm wird.
Dieser Herr Kuhn ist ein komischer Vogel, gelinde gesagt. Er lebt mit seiner reichen Frau Vera in einer chicen Villa und macht eigentlich nichts als Assistent der Geschäftsführung in ihrer Firma, die Sicherheitstüren verkauft. Er ist nicht glücklich, aber auch nicht unzufrieden, sieht man von seiner Refluxkrankheit ab, trotzdem beginnt er eine Affaire mit Myriam. Für sie setzt er alles aufs Spiel, will ein neues Leben beginnen und bringt nach und nach seine Habe in ihre Wohnung.
Als er sich zur endgültigen Trennung von Vera entschließt, wandert er mit einem Adam-Bild von Rudolf Hausner zum Treffpunkt mit Myriam. Wer nicht kommt, ist sie. Sie ist auch nicht in der Wohnung, da wohnt schon eine andere Frau und an ihrem Arbeitsplatz in einem Hotel ist sie auch nicht. Ans Handy geht sie nicht mehr. Sie bleibt verschwunden und entpuppt sich als Betrügerin. Kuhn's Sachen sind natürlich weg. Während er versucht herauszubekommen, was mit ihr passiert ist, lebt er auf der Straße. Sein Magenleiden wird stärker, sein Geld geht zu Ende, er hat keinen Job mehr, keine Wohnung, keine Zukunft. In seiner Not lernt er diverse Menschen kennen und schließt sich der Gruppe SUHOS an (Suddenly Homeless), die Menschen dort leben von Gelegenheitsjobs und von den Buffets, die es bei Vernissagen und Pressekonferenzen gibt.
Der Autorin geht es darum, was man gewinnt, wenn man alles, was man hat, verliert. Der Plot ist durchaus gut, Straub's anspruchsvoller Schreibstil bringt es aber nicht fertig, Empathie für Kuhn zu empfinden. Man bekommt irgendwie kein Gespür für sein Leben.
Kleiner Nervenkitzel
Manchmal will man einfach keinen „Wälzer“ lesen oder mit sich herumschleppen, sondern hat nur Zeit und Lust für eine knackige Kurzgeschichte.
Sylvia Morlok hat mit „Schatz, wo ist die Leiche? Das kleine Buch für den täglichen Mord“ (Sep. 2016, RediromaVerlag) ein wunderbares Büchlein geschrieben für Krimi-Kurzgeschichten-Liebhaber.
Die Autorin beweist in ihren köstlichen Stories schwarzen Humor der besten Art. Sie erspart Lesern, die böse Geschichten gerne vor dem Schlafengehen lesen wollen, zwar nicht den Nervenkitzel, aber Blutrünstiges und schildert Morde und Verbrechen mit Augenzwinkern.
Das kleine Buch eignet sich auch hervorragend zur Mitnahme, wenn man zum Beispiel auf einen Termin warten muss oder in der Bahn sitzt.
Allzu schnell hat man die täglichen Morde ausgelesen und will Frau Morlok zurufen: Weiter so!
Morde in der Theaterszene
Ursula Poznanski schreibt mit „Böses Licht“ (März 2023, Knaur) ihren zweiten unterhaltsamen Wien-Krimi rund um die kleine, verkorkste Ermittlerin Serafina „Fina“ Plank, die in ihrem Team der Mordgruppe die einzige Frau ist und eigentlich sehr gemocht wird, sieht man von ihrem unsympathischen Kollegen Oliver ab, der sie bei jeder Gelegenheit mobbt.
Bei der Schlussszene der Inszenierung von Shakespeares Richard III am Wiener Burgtheater trieft es nicht nur von Theaterblut, sondern es gibt eine echte Leiche auf der Bühne. Ulrich Schreiber, allseits beliebter und altgedienter Garderobier, wird tot auf einem Thron sitzend von der Unterbühne ins Rampenlicht gefahren. Entsetzen und Ratlosigkeit breiten sich unter den Theaterleuten aus.
Kurze Zeit später passiert ein weiterer Mord im Stadtpark und es betrifft wieder das Burgtheater, ist doch der Schauspieler Ralph Behrend dlie Leiche.
Was ist da los in der Theaterszene? Es gibt jede Menge Verdächtige, ob dies nun die sehr eigenwillige Schauspielerin Lore Gebauer ist oder der international bekannte Jasper Freysam mit seiner Liebelei, der Nachwuchsschauspielerin, Aurora sind oder der Regieassistent David von Lauenburg.
Fina, die sich in ihrem Privatleben auch noch mit ihrer aufdringlichen, unordentlichen, ekelhaften Schwester Calli herumschlagen muss, sieht sich gezwungen, nach Salzburg zu reisen und dort vor Ort zu ermitteln, weil der ganze Theatertross zu den Festspielen übersiedelt.
Deshalb hören aber verstörende Drohungen und Vorfälle und so manche Bösartigkeiten im Ensemble auch nicht auf.
Und dann ist da noch diese sehr nervige geheimnisvolle Figur aus den Zwischenkapiteln, der man schon in „Stille blutet“, dem ersten Wien-Krimi der Autorin, begegnete. Wieder dabei der Zwerg im Nebel, der Hühnergeneral, der dunkle Harlekin etc. - wobei eigentlich nicht schlüssig ist, wofür Poznanski diese Ausflüge in ein krankes Gehirn braucht.
Gespannt, ob es einen dritten Fall mit Fina geben wird!
(JT 2023)
Wer ist der Freund? Wer ist der Feind?
Tief in der Moorlandschaft von Northumbria an der schottischen Grenze treffen bei schrecklichem Wetter drei Frauen - Emily, Jayne und Ruth, in Freundschaft verbunden durch ihre Ehemänner - im abgelegenen Ferienhaus von John und Maggie ein. Die Göttergatten sind aus unterschiedlichen Gründen in letzter Minute verhindert gewesen, die Reise gemeinsam mit ihnen anzutreten und wollen am nächsten Tag nachkommen.
Auf dem Küchentisch der eher unwirtlichen Scheune wartet ein Brief auf sie, in dem jemand behauptet, einen ihrer Ehemänner umgebracht zu haben. Die drei Frauen glauben zunächst an einen Scherz, merken jedoch schnell, dass sie weder Handyempfang noch Internet haben und ein schweres Unwetter aufzieht, das ihnen den Weg zurück absperrt. Sie vermuten, dass Edie, die langjährige Freundin ihrer Männer, deren Mann Rob erst vor kurzem bei einem Unfall ertrunken ist, dahinter steckt. Verzweifelt versuchen sie, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Die Freunde Mark, Paul und Toby und ihre Frauen haben viele Geheimnisse, die Gilly Macmillan in ihrem Thriller „Ein langes Wochenende“ (Oktober 2022, blanvalet) nach und nach lüftet. Es kommen so manche menschliche Abgründe zutage.
Die Autorin versteht es meisterlich, die Leser in die Irre zu führen und mit vielen Wendungen zu verwirren. Auf jeden Fall ist man froh, bei all der düsteren Stimmung und der nassen Kälte im Buch, gemütlich zuhause zu sitzen und nicht vor Ort sein zu müssen!
Die Chronik angekündigter Morde
Die schöne Nachrichtensprecherin Nadine Just ist ob ihres Intrigantentums und nicht vorhandenen Talents nicht gerade beliebt. Da kündigt sie vor laufender Kamera ihre eigene Ermordung an! Im Sender glaubt man noch an einen makabren Scherz, aber zwei Stunden später ist Just tot.
Nadines Ex-Freund Tibor Glaser, Werbefachmann und Frauenheld, hört davon und ist betroffen von der Nachricht, er fährt gleich zu Quick-TV, was ihn aber bald verdächtig macht beim Ermittlerteam rund um die junge Fina Plank. Fina wird von ihrem Kollegen Oliver gemobbt, was sie in ihren Selbstzweifeln noch bestätigt, ist sie doch klein und dicklich und nicht gerade mit Attraktivität geschlagen.
Ursula Poznanski lässt ihre neue Ermittlerin in „Stille blutet“ (Sep. 2022, Knaur) in einer bizarren Mordserie lange im Dunklen tappen. Denn rasch ist auch der Blogger Gunther Marzik nach einer ganz ähnlich lautenden Ankündigung tot. Und wieder gibt es eine Spur zu Tibor Glaser, der verzweifelt seine Unschuld beteuert, was bei Fina eigentlich auf Gehör stößt.
Im Buch tritt auch eine geheimnisvolle Erzähler-Figur, ein Spieler im raffinierten Geschehen, auf, die man so gar nicht einordnen kann, aber der Leser ahnt, dass da noch etwas kommen wird, wenn man auch die Absichten hinter den Todesfällen lange nicht erkennen kann.
Das Buch scheint der Auftakt zu einer neuen Thriller-Reihe von Poznanski zu sein. Man kann gespannt sein, wie sich Fina Plank entwickelt.
In diesem Winter ist alles anders
Johannes Wilkes lässt in „Meeting mit Mord. Winterkrimi“ (Sep. 2022, Gmeiner) seinen schwulen Kommissar Mütze von der Kripo Erlangen wieder ermitteln, diesmal in einem besonders verzwickten Fall in Mausgesees, einem Dorf im Süden der Fränkischen Schweiz, wo merkwürdige Dinge passieren.
Wie jedes Jahr bereiten die örtlichen Rotarier ihren Stand auf dem Weihnachtsmarkt vor, bei dem sie für einen guten Zweck sammeln. Aber statt vorweihnachtlicher Besinnlichkeit wartet diesmal ein mörderischer Advent auf die Dörfler.
Denn immer wieder mittwochs, wenn sich die rotarischen Freunde im „Grünen Baum“ zum Meeting zusammenfinden, kommt auf tragische Weise einer von ihnen ums Leben.
Einer wird von einem Heizungsrohr durchbohrt, einer stürzt in die Güllegrube und einer wird von einem wild gewordenen Stier zertrampelt. Zufall? Die Verkettung unglücklicher Umstände? Oder steckt etwas anderes dahinter?
Glaubt man anfangs noch an natürliche Todesursachen, wird bald klar: Ein Mörder geht um.
Misstrauen erwacht. Jeder verdächtigt jeden. Sogar die Ehefrauen.
Kommissar Mütze ermittelt!
Unterhaltsam wie immer!
Unheimlich
Emily jobbt bei Proem Partners am Empfangspult um sich ihr Leben in London mehr schlecht als recht leisten zu können, ist sie doch eigentlich eine, wenn auch erfolglose, Schauspielerin. Als sie auch diese Stelle verliert, ist sie am Tiefpunkt angekommen - kein Geld, kein Job, keine Perspektive. Ihre Adoptiveltern anzupumpen, das will sie aber nicht mehr.
Plötzlich erhält sie von ihrem Proem-Ex-Chef Scott Denny ein unverhofft-lukratives Angebot. Sie kann nicht ahnen, dass Scott sie für seinen heimtückischen Auftrag bewusst ausgewählt hat, sie schon länger beobachtet und durchleuchten hat lassen und dass er jemand ist, der sich bis zum Bluten selbst verletzt ob seiner furchtbaren Familiensitutation.
Emily, die sich ein wenig in Scott verliebt, soll seine Frau Nina und die kranke kleine Tochter Aurelia in Querencia, dem Familienanwesen an der französischen Küste als Mädchen für alles unterstützen. Freudestrahlend sagt sie zu, nichtsahnend, was auf sie zukommt.
Als sie dort endlich ankommt, das Grundstück liegt total abgeschieden, glaubt sie zunächst, den Jackpot gewonnen zu haben. Der perfekte Schein trügt. Zunächst verschließt Emily noch die Augen vor den vielen Ungereimtheiten und dunklen Geheimnissen, die nicht ins Bild der makellosen Familie, die auf jeden Fall etwas zu verbergen hat, passen wollen. Aurelia ist kein normales Kind, sie spricht nicht, bekommt aber unfassbare Schrei- und Wutanfälle, wenn sie berührt wird und hat eine schwere Sonnenallergie. Und das Verhältnis von Nina zu ihrer Tochter ist irgendwie ungesund.
Mit "Gewittermädchen" (April 2022, Diana) schafft die britische Autorin Anna Downes ein gelungenes Debüt. Sie schreibt die unheimliche, atmosphärisch dichte Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Scott und Emily und durch Rückblenden aus Nina's Sicht.
Der Showdown ist nicht ohne!
(JT 2023)
Wo bleibt bloß die Zeitung?
Eines Montagmorgens ist Karl-Dieter stinksauer: die Erlanger Nachrichten stecken nicht in seinem Briefkasten. Er liebt aber seine Rituale, wie eben Zeitung lesen beim Frühstück, und mag solche Störfälle gar nicht. Sein Partner, Kommissar Mütze, nimmt ihn nicht ernst. Es stellt sich aber heraus: keiner der Nachbarn wurde beliefert, und das sieht der Zustellerin sowas von gar nicht ähnlich.
Christine Waldhüter, die Zustellerin, wurde nämlich entführt. Die Erpresser melden sich bei der Redaktion der EN und verlangen weder Gold noch Geld, nur, dass drei Tage in Folge ein Bericht abgedruckt wird, der Verbrechen in den ehemaligen Kolonialstaaten thematisiert – und: keine Polizei!
Wer steckt dahinter? Nach hektischen Diskussionen beschließt die Redaktion rund um den Leiter Claudius Röthelbach, sich auf die Forderungen der Entführer einzulassen, wendet sich aber zugleich an die Polizei. Mütze beginnt zu ermitteln und muss bald sehen, dass die Entführer unberechenbar sind.
Johannes Wilkes schreibt mit „Die Zustellerin“ (März 2022, Ars Vivendi) einen erneuten Frankenkrimi rund um Knuffi und Mütze. Er verknüpft diesmal seinen Lokalkrimi aber mit einer ziemlich konstruierten Handlung rund um die Kolonialzeiten. Vielleicht ein wenig zu weit hergeholt.
Gwandlaus
Es ist richtig gut, dass Bücher kein Ablaufdatum haben! Und daher ist die Lektüre von Karl-Heinz Ott's Roman „Endlich Stille“ (Feb. 2005, Hoffmann und Campe) nach wie vor ein wunderbar abgründiger Lesespaß.
Ein Basler Philosoph, ein Spinoza-Spezialist, trifft in Straßburg am Bahnhof auf einen begnadeten Quassler, Friedrich Grävenich, der angeblich in Mannheim Klavier unterrichtet. Der absolut distanzlose Grävenich nimmt ihn völlig in Beschlag, Um den dominanten Schwadroneur und festen Trinker ohne Feingefühl und gutem Benehmen loszuwerden, gibt er ihm schließlich eine falsche Telefonnummer und Adresse, was aber nichts hilft, wie das Buch zeigt!
Der Tyrann spürt den devot erscheinenden Ich-Erzähler natürlich trotzdem auf, was verheerende Konsequenzen hat, denn der findet einfach nicht den entscheidenden Augenblick um den Fremden, der so tut als wären sie beste Freunde, loszuwerden.
Er nistet sich wie eine Gwandlaus in sein Leben ein und verändert seinen Alltag in kurzer Zeit fatal und verhängnisvoll, bis sich nur noch Hilflosigkeit und Vernichtungsfantasien ergeben.
Die Dinge nehmen ihren Lauf. Als Leser ahnt man, was kommen könnte und hofft, dass man selbst im realen Leben die Kraft hat, Rücksichtslosigkeiten und seltsamen Abhängigkeiten kraftvoll entgegen zu treten.
Einerseits ist dem Roman, in dem eigentlich so gut wie nichts passiert lange Zeit, eine gewisse Komik nicht abzusprechen, aber der Schrecken über die bedrohte Existenz überwiegt.
Ein LeseErlebnis der besonderen Art!
Ohrenbetäubende Stille
Roman Klementovic ist ein ThrillerMeister - wer seinen Krimi „Immerstill“ gelesen hat, weiß das!
Jetzt schreibt er mit „Wenn der Nebel schweigt“ (Sep. 2022, Gmeiner) wieder einen Pageturner, der ob seiner Spannung und Düsternis dazu führt, dass man das Buch in einem Rutsch liest!
Jana hat schon lange keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater, dem der Mord an ihrer Mutter Claudia vor
13 Jahren nie nachgewiesen werden konnte, auch mit ihrer restlichen Familie hat sie gebrochen. Das Trauma, dass der Mord an ihrer Mutter bei ihr ausgelöst hat, hat sie nie überwunden und es quält sie noch immer die Frage, ob ihr Vater damals die Mutter getötet hat, nachdem sie ihn mit blutverschmierten Händen neben ihr knieend gefunden hatte.
Doch als sie die Nachricht seines Freundes Kurt erreicht, dass es schlimm um ihren Vater steht und sie kommen müsse, kehrt sie widerwillig in ihre finstere Heimat im hintersten Winkel des Tals zurück und betritt zum ersten Mal seit Jahren wieder das Haus ihrer Kindheit. Dabei verschlägt es ihr den Atem. Es stinkt bestialisch und Müllberge türmen sich bis unter die Decke. Ihr Vater ist zu einem Messie geworden. Aber das ist nicht die einzige verstörende Entdeckung. Sie spürt, dass von überall in dieser nebeligen, unheilvollen Gegend Gefahr droht und kann sie doch nicht greifen. Schon ihre Urgroßmutter, Dada genannt, hatte immer gesagt, dass ein Unglück naht, wenn der Nebel schweigt.
Überall im Tal schlägt Jana Feindseligkeit entgegen, außer vielleicht von ihrem krebskranken Opa, der aber von seiner Frau, ihrer bösen Großmutter, völlig unterdrückt und abgekapselt wird. Niemand will mit ihr reden über die damaligen Vorfälle und den jetzigen Zustand ihres Vaters. Noch dazu ist eine junge Frau verschwunden – Franziska, ihre ehemals beste Freundin. Ihre einzige Hoffnung liegt auf Chris, ihrer Jugendliebe.
Wortkarge Figuren, düstere Umgebung, menschliche Abgründe, dichte Nebel, Mucksmäuschenstille und viel Alkohol kennzeichnen den Roman.
Natürlich ist nichts wie es scheint, typisch Klementovic, die Lösung liegt zwar auf der Hand, aber man sieht sie nicht - durch all die unerwarteten Wendungen und Überraschungen der Handlungsstränge.
Bitterböse!
Der Albtraum der Schlaflosigkeit
Im Thriller „Das Schlaflabor“ von Marc Meller (Okt. 2022, Lübbe) werden sich so manche Leser, die von Schlaflosigkeit gequält werden, mit der Hauptfigur identifizieren können – zumindest anfangs! Wenn sie noch bei Ärzten Hilfe suchen und sich für eine Untersuchung im Schlaflabor entscheiden.
Tom Sonnborn hat alles von Melatonin bis Rohypnol versucht um seine Schlafstörungen loszuwerden - ohne Erfolg. Da helfen auch alle Ratschläge seines Neurologen und ExPartners seiner bei einem Autounfall verstorbenen Mutter, Erik Hellmann, nichts. Er leidet an einer primären Insomnie, der keine organische oder psychische Erkrankung zugrunde liegt. Und ist einfach kaputt!
Als er von einem Schlaflabor in den Schweizer Alpen hört, das auf eine neuartige Therapieform setzt, schöpft er neue Hoffnung und bucht entgegen des Rates von Erik mit seinen letzten Geldreserven einen Aufenthalt in der teuren Gerolamo-Cardano-Klinik, wo ihm zwar alles suspekt vorkommt, speziell die Ärztin Dr. Liechti, die ihm die Vorgangsweise erklärt, die einem eigentlich die Haare zu Berge stehen lassen sollte, aber bereits kurz nach seiner Ankunft in der Klinik schläft Tom so gut wie lange nicht mehr.
Auch zuhause wird er zum regelrechten Langschläfer. Er ist überglücklich - bis er eines Morgens blutverschmiert aufwacht und er rasch verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben.
Tom kann sich an nix erinnern, hat den totalen Filmriss und fragt sich, ob er durch die Schweizer Behandlung zum Schlafwandler geworden ist? Er beginnt nachzuforschen und gerät in einen Strudel von absurden Ereignissen rund um mehrere Todesfälle im Umfeld der Klinik. Noch ahnt er nicht, dass die Wahrheit düsterer ist als jeder Albtraum.
Das Buch nimmt eine überraschende Wende und hat ein erstaunliches Ende.
Der an sich gute Plot wurde vom Autor ein wenig konstruiert gestaltet, ist aber spannend und total beunruhigend. Speziell, wenn man sich gerade einen Termin im Schlaflabor ausgemacht hat …
(JT 2022)
Ganz schön perfide!
Florence Darrow aus Port Orange in Florida ist Lektoratsassistentin mit hochfliegenden Schriftstellerplänen beim großen New Yorker Verlag Forrester Books, wo sie sehr schnell merkt, dass sie im Grunde ein Landei und eine Außenseiterin ist, die von ihrer alleinerziehenden Mutter Vera immer als absolut genial gehypt wurde, was ihr ziemlich auf den Geist geht.
Gesprächsthema bei der Weihnachtsfeier von Forrester Books ist der BestsellerRoman „Mississippi Foxtrott“ von Maud Dixon, der unter einem Pseudonym erschien. Niemand ahnt, wer sich dahinter versteckt, was Florence herzlich egal ist. Sie selbst scheitert mit ihren eher kläglichen Texten und erhofft sich Hilfe vom Verlagsleiter Simon Reed, mit dem sie schließlich ein verhängnisvolles Verhältnis beginnt. Simon - er ist mit der Schauspielerin Ingrid Thorne verheiratet und hat zwei Kinder, Cloe und Tabitha - setzt durch seine Wertschätzung ungeahnte Kräfte bei ihr frei, die darin gipfeln, dass sie seine Familie stalkt und ihn zu erpressen versucht mit ihrem Pantscherl. Schneller als sie schauen kann, ist sie gekündigt!
Völlig überraschend wird sie von der Literaturagentin Greta Frost als Assistentin der so geheimnisumwitterten Bestsellerautorin Maud Dixon engagiert und erfährt deren wahre Identität.
Helen Wilcox, die in einer ziemlich einsamen Gegend lebt, arbeitet gerade an ihrem zweiten Werk.
Florence muss Helen bei einer Recherche-Reise nach Marokko begleiten, wo die beiden Frauen in eine exotische Welt eintauchen. Eines Abends geschieht auf der Rückfahrt von einem Lokal ein schrecklicher Unfall. Als Florence im Krankenhaus aufwacht, kann sie sich an nichts erinnern und von Helen fehlt jede Spur.
Alexandra Andrews schafft mit ihrem Psychothriller „Die Assistentin“ (Aug. 2022, Goldmann) ein skrupelloses, böses Buch, das zeigt, dass Empathie für ihre Protagonisten ein Fremdwort ist. Sie changieren zwischen Egoismus und Wahnsinn und verfolgen einen teuflischen Plan – und das verdammt gut!
Bizarres Idyll oder FamilenHölle?
Die 16 jährige Juno lebt seit vielen Jahren mit Mutter, Vater und ihrem kleineren Bruder Boy auf einer einsamen Insel in Nordland, ganz versteckt, damit die sogenannten Fremdlinge sie nicht finden können. Denn diese bringen laut den Eltern nur großes Unheil und wollen die ganze Familie auslöschen. Deshalb dürfen Juno und Boy die Insel niemals verlassen. Es gibt strikte Regeln, wo sie sich aufhalten dürfen und wann sie in den geheimen Schutzraum unterm Haus müssen, in dem sie Sicherheit finden, sollten die Fremdlinge sie jemals auf der Insel ausfindig machen.
Die Geschwister sind natürlich neugierig auf das Leben am Festland und haben die Zeit mit Fischfang, Kuchenbacken und sonntäglichen Gesellschaftsspielen langsam satt.
Als Juno einmal nächtens auf den Inselfremden Luca trifft, einen jungen Mann Mitte zwanzig, überfällt sie einerseits Angst und auf der anderen Seite das ihr völlig unbekannte Gefühl der Verliebtheit.
Aufgestachelt durch Luca beginnt sie heimlich, in der Vergangenheit ihrer Familie zu recherchieren und kann kaum glauben, was sie da findet.
Ivar Leon Menger schreibt mit dem Thriller „Als das Böse kam“ (Juli 2022, dtv) aus der Sicht der heranwachsenden Juno eigentlich einen Roman für Teenies. Da das Buch aber eine nicht abzusprechende Spannung hat und man endlich wissen will, was sich hinter all den Geheimnissen der Inselbewohner verbirgt, bleibt man, auch wenn man den jungen Jahren schon längst entwachsen ist, dran!
StoryRaub
Es gab eine Zeit, da wurde der junge Jake Finch Bonner in New York als Autor seines Erstlings „Staunen“ gefeiert. Doch das liegt Jahre zurück und mittlerweile produziert er nur mehr Schrott oder kämpft mit einer Schreibblockade. Er unterrichtet Kreatives Schreiben an einem kleinen College in der Provinz.
Als einer seiner ehemaligen Studenten, der arrogante und überhebliche Evan Parker, stirbt, bevor er seinen ersten Roman fertiggestellt hat, klaut Jake dessen Idee und übernimmt quasi dessen perfekten Plot, den er nur aus einem Entwurf kennt.
Das Buch „Krippe“ wird über Nacht zum Bestseller und Jake zum Schriftsteller, der von Lesung zu Interviews usw. herumgereicht wird. So lernt er auch Anna kennen.
Alles könnte perfekt sein, würde ihn nicht eines Tages eine anonyme E-Mail erreichen, die nur einen Satz enthält: "Du bist ein Dieb". Mit jeder neuen Nachricht werden die Drohungen dieses TalentedTom schärfer und ein lebensgefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Wer verbirgt sich hinter dem Absender?
Jean Hanff Korelitz schreibt mit „Der Plot – Eine todsichere Geschichte“ (Aug. 2022, Heyne) einen sehr gut konstruierten Roman mit ganz schön vielen spannenden Twists. In die reale Geschichte rund um den ahnungslosen Jake sind auch immer wieder Auszüge aus seinem Buch „Krippe“ eingeflochten um die Leser vielleicht doch auf eine Fährte zum Bedroher zu locken!
Spuren gibt es immer
In „Erdschwarz“ (Okt. 2022, rowohlt Polaris), dem Band 2 der Eira-Sjödin-Trilogie, lässt Tove Alsterdal die junge Polizistin Eira wieder ermitteln, denn niemand kennt die Gegend und die unzugänglichen Menschen in den rauen Wäldern von Ångermanland besser als sie. Es gilt, einen fiesen Mörder zu finden, der seine Opfer in einsame, dem Verfall preisgegebe Baulichkeiten in den Keller sperrt und sie ihrem tödlichen Schicksal unter der Erde in der Finsternis überlässt. Durch Eiras Recherchen und ihre Beharrlichkeit kann der Täter nicht entkommen.
In einem verlassenen Haus wird der vermisst
gemeldete Schauspieler Hans Runne tot aufgefunden. Er ist verhungert. An seiner linken Hand sind zwei Finger abgetrennt.
Weiter nördlich, in der kleinen Bergbaugemeinde Malmberget, wo der Erdboden aufreißt und nach und nach die Häuser verschluckt, wurde ebenfalls ein Mann in einen Keller eingeschlossen.
Neben den schwierigen Ermittlungen, die Eira gemeinsam mit Georg Georgsson, GG genannt, dem Leiter der Abteilung für Gewaltverbrechen führt, zu dem sie sich heimlich sehr hingezogen fühlt, muss
sie den Umzug ihrer dementen Mutter in ein Seniorenheim allein organisieren, denn ihr Bruder Magnus sitzt wegen Totschlags im Gefängnis.
Dann verschwindet der zuletzt immer depressiver wirkende und ein bisschen zu viel trinkende GG. Scheinbar spurlos. Eine Durchleuchtung seines Privatlebens zeigt, dass er vor kurzem im Stadt Hotel in Härnösand abgestiegen war. Eine Verbindung zu Hans Runne.
Eira muss ihn unter allen Umständen finden.
Gut und Böse, Licht und Dunkel, Wahrheit und Lüge – Alsterdal macht es in der nördlichen Düsternis für Eira spannend, die sich der inneren und äußeren Dunkelheit manchmal entzieht und sich unverbindlich mit ihrem Kollegen August, der bald eine andere heiraten wird, vergnügt. Oder mit Ricke, dessen Lächeln aus kalt warm machte.
(JT 2022)
Streifzüge durch Venetien und die Serenissima
Vincent Klink betreibt in Stuttgart das Restaurant Wielandshöhe und fährt seit vierzig Jahren nach Venetien. Die Köstlichkeiten der Region haben ihn geprägt, ebenso die Kunst- und Kulturschätze Venedigs jenseits der Rialto-Brücken-Postkarten-Romantik.
Sein Buch „Ein Bauch spaziert durch Venedig“ (Mai 2022, Rowohlt) ist ein Mix aus Rezepten, Beschreibungen venezianischer Spaziergänge und Ausflügen in die Umgebung – eine im Plauderton erzählte Liebeserklärung an Venetien mit vielen Anekdoten.
Als junger Koch fuhr Vincent Klink zum ersten Mal nach Venedig. Seitdem ist er immer wieder zurückgekehrt, denn die Lagunenstadt bietet alles, was sein Herz begehrt.
Klink's Ausführungen sind eine Einladung an alle Italienreisenden, auch die Terra ferma belissima, die Region Venetien mit Treviso, Vicenza oder Padua, einmal genauer in den Blick zu nehmen. Das Buch ist gleichzeitig Reise- und Restaurantführer mit Kunst-, Architektur- und Literaturinformationen! Die Leser schippern auf den Vaporetti herum von San Marco nach San Michele oder auf die Giudecca, lassen sich im jüdischen Viertel treiben, besuchen Kirchen und Kunsttempel und genießen die Cucina Veneziana mit Carpaccio und Sarde in saòr.
Jedem Reisenden sei gesagt, dass ein Besuch der Serenissima genauso kräftezehrend ist wie eine Dreitausenderbesteigung in den Alpen! Daher muss man sich stärken mit allem, was aus den Küchen aufs Teller kommt und einem ins Glas getan wird!
Florenz abseits von David & Co
Mit „Tod einer Queen“ (Mai 2022, Diogenes) erzählt Magdalen Nabb einen verzwickten Fall, den Maresciallo Salva Guarnaccia von der Carabinieri Station am Palazzo Pitti in Florenz.zu
lösen hat. Die polizeilichen Untersuchungen führen den unbedarften Wachtmeister aus Sizilien in die florentinische Transsexuellen-Szene.
Eine Prostituierte aus der Dragqueen-Szene wurde brutal ermordet im Parco delle Cascine am rechten Arnoufer, wo früher das Landgut der Medici war, und die Leiche wurde zerstückelt. Die Welt des vermeintlich weiblichen Todesopfers, das sich bald als Mann herausstellt, ist Guarnaccia völlig fremd und er hofft, dass er den Fall abgeben kann an jemanden, der mit dem Milieu vertraut ist.
Er würde gerne ins seiner sympathischen Behäbigkeit wieder seine üblichen Aufgaben wahrnehmen, denn eine Tätersuche oder MordRecherchen sind so gar nicht sein Fall. Außerdem ist er ohnehin mit privaten Sorgen rund um seine schwierigen Söhne belastet und fühlt sich überfordert.
Nabb zeigt den Maresciallo als etwas langsam denkenden Mann, der scheinbar schwer von Begriff ist, aber durch seine Sensibilität durchaus das richtige Gespür für Menschen und Kriminalfälle entwickelt. Ein Wachtmeister, den man mag!
Auf Mörderjagd mit Eira Sjödin
„Sturmrot“ von Tove Alsterdal (Juli 2022, rowohlt Polaris) ist der Auftakt der Eira-Sjödin-Trilogie – ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis 2020 und dem Skandinavischen Krimipreis 2021.
Mit 14 Jahren wurde Olof Hagström beschuldigt, in seiner Heimat Ådalen im Norden Schwedens die allseits begehrte Dorfschönheit Lina Stavred vergewaltigt und ermordet zu haben, alle Indizien und Zeugenaussagen deuteten auf ihn, den doch so introvertierten Jungen. Eine Leiche von Lina fand man aber nie. Seine eigene Mutter gab den entscheidenen Hinweis zu seiner Festnahme. Da er strafunmündig war, wurde er in Heime abgeschoben. Die Familie zerbrach.
Als Olaf 2 Jahrzehnte später beruflich an der
malerischen Nordküste Schwedens zu tun hat, fährt er plötzlich zum Haus seiner Kindheit und findet seinen Vater tot vor.
Nun neuerlich verdächtig zerbricht sein Leben ein weiteres Mal.
Doch diesmal ermittelt die junge Polizistin Eira Sjödin, die sich auch die alten Akten vornimmt und zu ganz anderen Schlüssen kommt, was das Verbrechen an Lina betrifft. Sie war erst neun, als damals Olof unter Druck gestand, das Mädchen Lina getötet zu haben. Eira Sjödin macht sich nun auf die Suche nach 2 Mördern, das führt sie zu Ereignissen in der Vergangenheit und in der Gegenwart, die erschüttern.
Als Leser lernt man Eira sowohl als Polizistin als auch als Privatperson, die nicht unschrullig ist, ein bisschen kennen, was gut ist, denn die Reihe geht ja weiter.
Die Geschichte ist ein typisch skandinavischer Krimi, fast unspektakulär, aber doch packend.Voller hintergründiger Spannung halt!
ClanKriminalität in Hamburg
Der Roman „Die Stadt, das Geld und der Tod“ (Sep. 2021, CulturBooks Verlag) des dreifachen Gewinners des Deutschen Krimipreises, Frank Göhre, dreht sich um die Rumänen Ivo und Nicolai.
In einem Park in Eimsbüttel wird die Leiche des 16jährigen Schülers David Wójcik entdeckt. Er ist an einer hohen Dosis Amphetamine gestorben. Sein Vater Ivo Jasari kommt wenige Tage später aus dem Knast – und möchte herausfinden, was hinter dem Tod seines Sohnes steckt.
Ende der 1980iger Jahre musste Ivo aus den Karpaten nach Hamburg fliehen, angeblich hätte er einen Mann ermordet um die Familienehre zu retten. Sein Cousin Nicolai Radu versucht gerade, sich dort im Kiez zu etablieren.
Die frühere Nähe und Verbundenheit der Blutsbrüder scheint aber rissig geworden zu sein. Nicolai hütet ein Geheimnis über den Tod von Ivos Sohn. Er hat sich mittlerweile ein ImmobilienImperium aufgebaut, durch seine Frau Hanna in eine Kaffeegroßhändlerfamilie eingeheiratet, steht sich gut mit Politikern, Bankern und Anwälten, den Hamburger Pfeffersäcken – sie alle stehen auf seiner Gehaltsliste, und wohnt in einer feudalen Jugendstilvilla.
Göhre's emotionslosen Stil mit kurzen, schnellen Szenen, knapp und skizzenhaft erzählt, muss man wollen, etwas für die WhatsApp Chats-Generation.
Der Autor zeigt die dunklen Seiten Hamburgs. Das schnelle Geld, das Milieu.
Eine Gangsterstory!
(JT 2022)
Brillant und kontrovers
Isolde Maria Joham gilt als Pionierin der Glaskunst, die sie mit Feingefühl und technischer Brillanz stets weiterentwickelt hat. Ihre monumentalen Leinwandarbeiten können es souverän mit der von Männern dominierten Pop-Art aufnehmen. In ihrer fotorealistischen Malerei geht sie schonungslos den drängenden Fragen ihrer Zeit nach.
Und doch kennen nicht alle außerhalb der KunstBlase diese für Österreich so wichtige Künstlerin, die heuer ihren 90. Geburtstag feiert. Sie fand bisher nicht die verdiente Wertschätzung mit ihrem außergewöhnlichen Werk.
Das kann man jetzt hervorragend nachholen mit dem Band „Isolde Maria Joham“ (Mai 2022, Hirmer), herausgegeben von Gerda Ridler und Alexandra Schantl. Das umfangreiche Buch gibt Einblick in sieben Jahrzehnte künstlerisches Schaffen und lässt Johams eigenständige und kraftvolle Stimme eindrücklich erleben.
Joham erschafft mit den Mitteln fotorealistischer Malerei ganz eigene und durchaus kontroverse Bildrealitäten, in denen Privates und Politisches, Natur und Technik, industrielle und natürliche Lebensräume aufeinanderprallen.
Ihr Leben für die Kunst teilt sie mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer Gottfried Höllwarth. Beide stehen der Natur und der asiatischen Philosophie nahe.
Es gilt, die eindrucksvollen Bilder der Isolde Maria Joham neu zu entdecken, die von sich sagt, dass sie keine eindeutigen Bilder malen möchte, sondern zweideutige! Ob nun Rinderherden über die New Yorker Brooklyn Bridge galoppieren oder sich Kraniche auf Müllhalden tummeln – die Künstlerin bleibt eine Ausnahmeerscheinung im Kulturbetrieb.
Blutjung und tot
Louisa Luna's Thriller „Tote ohne Namen“ (April 2021, Suhrkamp TB) klingt nach einem interessanten Plot rund um eine knallharte Privatdetektivin, einem Ex-Cop an ihrer Seite und toten namenlosen Mädchen, die sichtlich zur Prostitution gezwungen wurden und entsorgt werden, wenn sie nicht spuren.
Leider ist der Krimi nicht ganz so sensationell und atemberaubend geworden, wie angekündigt, man kippt nicht so richtig rein in die Story, vielleicht liegt es am Stil der Autorin, der besser zu einem Schundroman gepasst hätte oder an den seltsam schwammigen Figuren der Ermittler, zu denen man eine gewisse Distanz nicht überwinden kann.
Alice Vega ist eine aggressiv-wütende Privatdetektivin und Spezialistin bei der Suche nach verschwundenen und entführten Personen. Als zwei mexikanische Mädchen tot aufgefunden werden, heuert das San Diego Police Department Vega an, denn bei den beiden Toten ohne Namen fand man zwar keine Dokumente, dafür aber einen direkt an Vega gerichteten Hilferuf.
Die Leichen sind übersät mit zahllosen Schnittwunden, die Obduktion ergibt, dass sie sich offenbar prostituiert hatten. Vega wird unterstützt vom eher zögerlichen Ex-Cop Max Caplan. Gemeinsam fechten sie einen Kampf gegen korrupte Behörden und brutale Kartelle um hoffentlich überlebende Mädchen befreien zu können.
FlipperKugelFall in bella Venezia
Auf Donna Leon können sich ihre Fans jedes Jahr vor dem Sommer verlassen! Es gibt wieder einen neuen Venedig-Krimi: „Milde Gaben: Commissario Brunettis einunddreißigster Fall“ (Mai 2022, Diogenes).
Elisabetta Foscarini, eine nachbarliche, wohlhabende Kindheitsfreundin von Brunetti, taucht eines Tages in der Questura auf. Guido soll doch bitteschön inoffiziell klären, ob ihr Schwiegersohn Enrico in Schwierigkeiten und in zwielichtige Geschäfte verwickelt ist und wer die Familie ihrer Tochter Flora, einer Tierärztin, bedroht. Konkrete Hinweise fehlen. Der Commissario will das Ganze am liebsten als übertriebene mütterliche Sorge abtun. Aber bald schlägt der Fall höhere Wellen als die Kreuzfahrtschiffe. Brunetti vergleicht alles mit einem Flipperautomaten, bei dem die Kugel hin und her schiesst.
Vor Jahren investierte Elisabetta's Mann Bruno in eine Stiftung. Als er bemerkte, dass es nicht so einfach ist, eine Stiftung zu gründen, bat er Enrico, einen Buchhalter, um Hilfe. Er brachte die Finanzen wieder in Ordnung und zog sich dann aus der Stiftung zurück. Das ist ein paar Jahre her.
Glücklicherweise ist der Vice Questore nicht im Haus. So können Brunetti's Mitarbeiter wie Vianello ihn unterstützen. Signora Ellettra forscht nach der Stiftung und recherchiert, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht.
Der Kriminalfall an sich ist wie immer im Hintergrund, Venedig und sein langsamer Verfall, die Familie Brunetti, die dehnbaren italienischen Gesetze und die Moral oder auch nicht stehen im Mittelpunkt.
Schmerz lass nach
Jonathan Moore entführt uns mit seinem düsteren Thriller „Poison Artist“ (Juni 2022, Suhrkamp) nach San Francisco in die Welt des Schmerzforschers und Toxikologen Caleb Maddox, der von der Polizei als Berater bei Mordfällen hinzugezogen, arbeitet doch auch sein Schulfreund Henri als Gerichtsmediziner.
Die Polizei braucht gerade dringend seine Expertise, da in den letzten Wochen immer wieder Männer tot aus der Bay gezogen werden, die unter unbeschreiblichen Schmerzen gestorben sein müssen. Wie Caleb feststellt, sind sie mit dem Muskelrelaxans Vecuronium und dem Nervengift Thujon vollgepumpt worden.
Maddox hilft der Polizei gerne, obwohl er das Gefühl nicht los wird, selbst im Visier der Detectives Garcia und Kennon zu stehen, auch wenn er zurzeit Krach mit seiner Freundin Bridget hat und daher lieber durch alle Bars der Stadt wie dem Pied Piper, dem House of Shields oder dem Spondulix zieht. Dabei lernt er die geheimnisvolle Emmeline kennen, der er rasch verfällt. Emmeline scheint direkt aus einem Film Noir der 1940er zu stammen, eine Femme fatale, stylish, mysteriös, extravagant, und sie bringt ihn dazu, Absinth der Marke Berthe de Joux zu trinken.
Nichts, gar nichts ist so, wie es scheint in Moore's Buch, der Leser bewegt sich zwischen Traum und Wirklichkeit und blickt in die Schattenwelt menschlicher Abgründe, bis alles außer Kontrolle gerät. Langsam erfährt man auch die schreckliche Familiengeschichte Caleb's und seine nicht einfache Jugend.
Auf dem Cover liest man, dass Stephen King nichts so Furchterregendes mehr seit „Roter Drache“ (von Thomas Harris) gelesen hat. Naja!
(JT 2022)
Hasta la Mista
Lange mussten wir auf einen neuen Brenner warten, aber jetzt hatte Wolf Haas endlich Erbarmen und „Müll“ (März 2022, Hoffmann und Campe) geschrieben, in seinem unvergleichlichen leicht amputierten SchreibStil!
Auf dem Wiener Mistplatz, wo Simon Brenner jetzt arbeitet, herrscht strenge Ordnung, bis eines Tages in der Sperrmüllwanne ein menschliches Knie gefunden wird. Schnell tauchen in anderen Wannen weitere Leichenteile auf, die entgegen der Mistplatzordnung und zum großen Leidwesen der Müllmänner allesamt nicht korrekt eingeworfen wurden, denn so ein Knie wäre doch, wenn schon, denn schon, Biomüll oder vielleicht noch Kompost. Ganz richtig aber wäre ja die MA 43 – Friedhöfe, sicher nicht die MA 48. Da sind die Mistler heikel!
Nur vom Herz des zerlegten Toten fehlt jede Spur.
Die Kripo rund um die Kieberer Alexander Kopf und den jungen Savic weiß nicht weiter. Zum Glück ist unter den Müllmännern ja der Brenner, der nicht vergessen hat, was man bei Mord bedenken muss. Und damit steckt Simon Brenner nicht nur in einem neuen Fall, sondern auch bis zum Hals wieder einmal in Schwierigkeiten. Und das nicht nur am Mistplatz, sondern auch privat, wohnt er doch in Wohnungen, die zeitweise leer stehen, weil Bewohner verreist o.ä. Bis er überrascht wird ...
Wie gehabt „sehr Ding“!
Jede Suche hat einmal ein Ende
Die Tom-Babylon-Reihe von Marc Raabe rund um verheerende Mordfälle und seine unermüdliche Suche nach seiner vermissten, längst für tot erklärten Schwester Viola, hat Kultstatus erreicht. Wer die Serie rund um den LKA-Ermittler noch nicht kennt, sollte dies schnell ändern, sonst kann er „Violas Versteck“ (Feb. 2022, Ullstein) nicht lesen, den Abschluss der packenden Reihe um Tom und Psychologin Sita Johanns.
Als Tom Babylon in einem Londoner Krankenhaus erwacht, kann er sich an fast nichts erinnern. Wie kam er schwer verletzt dorthin? Warum ist er überhaupt in London? Er weiß zwar, dass er bei der Mordkommission in Berlin arbeitet, aber mit Hilfe seiner behandelnden Ärztin Dr. Jillian Harris kommt er schnell dahinter, dass er seinen Job gekündigt hat und seine Frau Anne und sein Sohn Phil weggezogen sind.
Was hat das alles mit seiner Schwester Vi zu tun? Was mit seinem früheren Mentor Dr. Walter Bruckmann, der geschworen hat, ihm das Leben zur Hölle zu machen? Was mit dem mysteriösen Tod seines Vaters?
Bruckmann sitzt in einer psychiatrischen Anstalt in den Alpen, der Festung Tauenstein, und Sita Johanns macht sich auf dem Weg zu ihm, um herauszufinden, warum er sich an Toms Familie rächen will - der Besuch dort wird aber für sie zu einer Höllenfahrt.
Der Spannungsbogen bis zu einer doch unerwarteten Auflösung des ganzen Dramas hält, wenn sich das Lesen auch ein wenig anstrengend gestaltet, da der Autor permanent zwischen den Zeitebenen und Erzählern herumspringt.
Gar nicht so perfekt
Gemma und Danny O'Connor sind ein perfektes Paar, das jedenfalls denkt Gemma. Gerade erst sind die beiden vom hektisch-lauten London nach Bristol in ein hübsches Cottage am Stadtrand gezogen und alles scheint wunderbar zu sein.
Aber als Gemma, sie ist LifestyleJournalistin, eines Abends von einer Pressereise in ein Kurhotel in den Cotswolds nach Hause kommt, ist Danny nicht da, obwohl er versprochen hatte, an diesem Abend für sie zu kochen. Er hat nicht einmal eingekauft, keine Nachricht hinterlassen und reagiert auch nicht auf Gemmas Nachrichten. Auch in der Nacht und am folgenden Tag taucht er nicht wieder auf. Gemma schwankt zwischen Wütendsein und Sichsorgenmachen. Schließlich geht sie zur Polizei, die die übliche unaufgeregte Vermisstenanzeige aufnimmt.
Als DCI Helena Dickens jedoch ein Foto des Verschwundenen sieht, reagiert sie höchst alarmiert, denn Danny sieht genauso aus wie zwei Männer, die kürzlich ermordet aufgefunden wurden. Ist er ebenfalls tot?
Gemma beteuert zwar, dass sie keine Ahnung hat, was passiert sein könnte, doch je mehr Zeit vergeht ohne eine Spur des Vermissten, desto größer werden die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit und bald glaubt ihr niemand mehr, dass es in Bristol überhaupt einen Danny gegeben hat … Ob er nun noch lebt oder tot ist, Danny hat ihr ganz eindeutig etwas verheimlicht. So viel ist klar. Sie muss nun herausfinden, was, denn für die Polizei ist sie schnell die Hauptverdächtige in den Mordfällen.
Jackie Kabler lässt die Leser bei „Ein perfektes Paar“ (Dez. 2021, Insel Taschenbuch) ganz schön frösteln!
Verwirrungen und Irrungen in Montevideo
Mercedes Rosende schreibt mit „Krokodilstränen“ (Aug. 2020, Unionsverlag) einen Kriminalroman für Fortgeschrittene, die schräge Geschichten mit dunklem Humor lieben.
Der Schauplatz des Geschehens ist Montevideo mit seinen düsteren Gassen, es geht um einen Überfall auf einen gepanzerten Geldtransporter.
Die Protagonisten sind der Loser Germán, ein gescheiterter Entführer mit äußerst schwachen Nerven, Ursula López, eine dicke, resolute Hobbykriminelle mit unstillbarem Hunger, El Roto, der Kaputte, ein berüchtigter Soziopath und Verbrecherboss, der undurchsichtige Doktor Antinucci, zwielichtiger Anwalt von Germán, mit großen Plänen. Und um die glücklose Kommissarin Leonilda Lima, bei der alle Fäden des Krimis zusammenlaufen, sie kämpft aussichtslos um Gerechtigkeit.
Die lakonische Schreibweise der Autorin führt in diesem verwirrenden Krimi schließlich dazu, dass alle Akteure weinen werden – Krokodilstränen!
(JT 2022)
Ein Unglück kommt selten allein
Luciana B. ist eine schöne Studentin, die im Nebenjob als Sekretärin eines bekannten, jedoch zurückgezogen lebenden Krimiautors namens Kloster arbeitet. Als Kloster verreist, ist sie beim namentlich nicht genannten Schriftstellerkollegen, dem Erzähler des Buches „Der langsame Tod der Lucana B.“ von Guillermo Martínez (April 2021, eichborn paperback), der wegen einer Handverletzung nicht selbst schreiben kann, überbrückungsweise tätig. Dieser Mann verliebt sich ein bisschen in die intelligente junge Frau.
Nachdem Kloster aus dem Urlaub zurückkehrt und sie wieder seine Diktate tippt - er ist selbst fasziniert von Luciana - macht er ihr eindeutige Avancen. Luciana zeigt ihn daraufhin an und zerstört damit endgültig seine seltsame Ehe. Pauli, Klosters vergötterte vierjährige Tochter, kommt in Folge bei einem Unfall ums Leben. Kloster gibt Luciana indirekt die Schuld und mutiert zu einem gebrochenen Mann, der scheinbar nur mehr seinen Erfolg im Auge hat.
Als dann innerhalb weniger Jahre ihr Verlobter auf rätselhafte Weise ertrinkt, ihre Eltern an einer Pilzvergiftung sterben und ihr Bruder brutal ermordet wird, steht für Luciana, die ihr schönes Aussehen und ihre Lebensfreude verloren hat, fest: Hinter all ihrem Unglück steckt Kloster, der ihr nie verziehen hat und sich grausam rächt. Niemand glaubt ihr. Sie sucht schließlich Hilfe beim Erzähler des Romans, den sie 10 Jahre nicht gesehen hat, damit wenigstens ihre Schwester Valentina vor der Rache Klosters verschont bleibt.
Martínez bezeichnet sein Buch als Kriminalroman, aber ein Krimi ist das nicht, trotz all der Toten. Wenn auch die Idee gut scheint, ist das Buch in seiner Ausführung zwar nicht langweilig, aber mühselig und mit all den philosophischen Betrachtungen der Morde nicht wirklich gelungen.
Im ersten Teil wartet man noch gespannt auf die Auflösung, im zweiten hat man das Gefühl, dass ein anderer Schriftsteller als der Autor den Plot weiterführt.
Keine Märchen mehr
Rotkäppchen alias Anna ist genervt von den Märchen der Erwachsenen, deshalb fängt das Nicht-Märchen „Rotkäppchen rettet den Wolf“ von Petra Piuk und Gamma Palacio (Feb. 2022, leykam:) mit „Es ist“ statt „Es war einmal“ an.
Die Story ist die gleiche wie bekannt: Rotkäppchen soll in den Wald um der Großmutter Kuchen zu bringen. Alles Weitere ist anders: das 9-jährige Rotkäppchen, ein Oma-Kind, ist ein selbstbewusstes und durchaus freches Mädchen. Die Großmutter ist nicht krank. Der Wald dafür voller Plastikmüll.
Und der Wolf? Der heißt Lupo, ist geborener Italiener und menschenscheu, er will Rotkäppchen erst gar nicht begegnen. Hat er doch sein Familienglück mit Luna und den Welpen gefunden.
Den Part des Bösewichts übernimmt hier Herr Wolfgang Wolf, Bürgermeister von Buchwalden an der Grimm. Er will den Wald abholzen und ein Einkaufszentrum bauen. Betonwald eben.
Rotkäppchen ist wild entschlossen, das zu verhindern und damit den Wald, die Wolfsfamilie und die anderen Tiere und überhaupt gleich den Planeten zu retten. Nur wie, weiß sie noch nicht.
Dieses Buch ist eine gut geschriebene, gut gezeichnete liebenswürdige Überraschung, sehr witzig und originell. Ein Buch, das endlich mit dem Mythos des „Bösen Wolfs“ Schluss macht und die Macht, etwas zu verändern, in den Mittelpunkt stellt.
Nicht nur für Kinder!!!
In Kopenhagen geht’s rund
Katrine Engberg startete mit „Krokodilwächter“ (März 2018, Diogenes) eine neue Thriller-Serie mit den Ermittlern Jeppe Kørner und Anette Werner.
In den Kopenhagen-Krimi muss man sich erst einmal einlesen, denn die vielen ungewohnten dänischen Namen und Adressen sind nicht immer leicht zu merken un die Autorin schreibt zwar eine spannende Geschichte, hat aber einen durchaus langatmigen Stil.
Die beiden Ermittler überbringen der pensionierten Dozentin Esther de Laurenti die Nachricht, dass Gregers Hermansen in ihrem Hause eine Leiche gefunden hat. Gerade erst war diese junge Frau, Julie Stender, nach Kopenhagen gezogen um Literatur zu studieren. Warum musste sie so jung sterben? Erstochen und verstümmelt. Es ist ein schockierender Fall, in dem Kørner und Werner ermitteln. Als bei Julies Vermieterin, die sich als Krimiautorin versucht, ein Manuskript auftaucht, in dem ein fiktiver Mord geschildert wird, der dem Fall sehr ähnlich ist, glauben die beiden, der Aufklärung nahe zu sein. Aber der Täter spielt weiter sein ungutes Spiel. Und Engberg arbeitet gegen etwaige aufkommende Langeweile mit spannenden Wendungen.
Im 2. Teil der Serie „Blutmond“ (Februar 2020, Diogenes) widmet sich die Autorin vermehrt der Midlife Crisis von Jeppe Kørner. Er wurde jüngst von seiner Frau Therese verlassen und kämpft infolgedessen mit sexueller Unlust, die sich erst in einer vierwöchigen Auszeit in Westaustralien durch die Bekanntschaft mit einer jungen Frau legt. Und da ist schließlich auch noch die Kollegin Sara Saidani. Anette hingegen scheint die perfekte Eheidylle zu haben und ist von einer Lebenskrise eigentlich weit entfernt, wären da nicht ihre plötzlichen gesundheitlichen Probleme.
Es ist klirrend kalt und schlimm eisig im Jänner in der Stadt mit einem eh schon miesen Mangel an Licht. In den Sälen des Geologischen Museums trinken sich die Größen der Modewelt warm für die Copenhagen Fashion Week, als draußen im Schnee der Designer Alpha Bartholdy zusammenbricht. Er wurde eindeutig vergiftet. Der Fall ist deshalb besonders brisant, denn Jeppes bester Freund Johannes Ledmark ist seit dem grausamen Mord an Bartholdy unauffindbar. Wie gut kennt er eigentlich den schwulen Johannes und dessen Mann Rodrigo?
Dann stirbt auch noch die Bloggerin Christel
Toft.
Auch hier verliert man hin und wieder den Faden, findet ihn aber im Laufe der Geschichte wieder!
(JT 2022)
Seltsam
Fast 24 Stunden war Hauptkommissar Adam Danowski in der Gewalt eines entflohenen Straftäters – ein fehlgeschlagener Einsatz, verursacht durch seine Kollegen Meta und Finzi. Nun muss er, weil traumatisiert, in einer Klinik kuren. Doch Therapie ist nicht so sein Ding und so sitzt er in der Beschäftigungstherapie meist ratlos herum. Eine Frau nervt ihn: Mareike Teschner. Sie hat genau die positive Glas-halbvoll-Art, die Danowski nicht ertragen kann. Erst als er bemerkt, dass Mareike von ihrem Mann misshandelt wird, beginnt er ihr zuzuhören. Eines Abends klopft sie bei ihm an und bittet ihn um Hilfe: Mareikes Mann liegt tot in ihrem Zimmer, ermordet.
So weit klingt der Plot ja gut.
"Danowski: Hausbruch" ist der sechste Band der Reihe um den depressiven Ermittler Adam Danowski von Till Raether (Sep. 2021, Rowohlt Polaris).
Raether's Schreibstil ist irritierend und die Geschichte eigentlich auch quälend reizlos. Jedoch hat der Danowski eine große Leser-Fan-Gemeinde und für die wird der Ermittler mit seinen Selbstzweifeln auch in diesem Teil wieder seine Reize haben und ihnen Vergnügen bereiten.
Sneijder und sein Eichkätzchen ermitteln wieder
Mitten in den brisanten Ermittlungen um einen Verräter in den eigenen Reihen werden BKA-Profiler Maarten S. Sneijder und sein Team rund um Sabine Nemez, das er Eichkätzchen nennt, abgezogen und nach Norwegen geschickt um den geheimgehaltenen Mord an der deutschen Botschafterin und ihrem Sicherheitsmann aufzuklären. Sneijder und Nemez sind forensische Psychologen und auf Serienkiller spezialisiert.
Das Motiv zu dem Anschlag in der Botschaft ist rätselhaft, sieht man von der Vorliebe der Diplomatin für blutjunge Mädchen ab, die norwegische Polizei zeigt sich unkooperativ und die Kreativität des grantigen schwulen Kommissars bringt die Truppe immer wieder in die Bredouille. Der bekennende Misanthrop zeigt erstmals Emotionen. Nebenbei lernt man von ihm auch einige holländische Schimpfwörter!
Andreas Gruber schreibt seinen Thriller „Todesschmerz“ (Sep. 2021, Goldmann) wie immer rasant, mit überraschenden Wendungen und lässt sein schrulliges Team auch ganz schön leiden. Er ist in Topform und das verlangt er auch von seinen Protagonisten, die er vor große Herausforderungen stellt. So legen sie sich unter anderem mit einem der größten und kaltblütigsten Verbrecher Norwegens, dem Albino Haakon Jorgensen, an. Und das ist ziemlich tödlich.
Man kann das Buch kaum aus den Händen legen – so mancher wird es in einem Zug auslesen!
Und sich den bereits erschienenen Bänden mit Sneijder & Co des Autors zuwenden.
Lauschattacke
Im Thriller "Das Therapiezimmer" von Aimee Molloy (Nov. 2021, Rowohlt Polaris) ziehen der gutaussehende Psychotherapeut Sam Statler und seine Frau Annie Potter von New York in die verschlafene Kleinstadt Chestnut Hill, in der Sam aufgewachsen ist und als Schwerenöter so manches Herz gebrochen hat, um in der Nähe seiner dementen Mutter zu sein.
Sam verbringt den ganzen Tag im Souterrain eines Hauses in seiner Praxis, die er per Zufall gefunden hat.
Und dort wird er bei seinen Sitzungen mit den Patienten belauscht durch einen Lüftungsschacht in der Decke.
Die clevere Erzählweise von Molloy wechselt rasant zwischen Sam und Annie, die erst kürzlich geheiratet haben und es lieben, ihren Sex durch Rollenspiele anzuheizen, und dem Stalker oder ist es eine Stalkerin?
Eines Tages kehrt Sam nicht zu Annie nach Hause zurück nach der Arbeit, obwohl sie verabredet waren zu einem ihrer Spielchen.
Die Polizei findet weder Sam noch sein Auto, sondern nur Hinweise, dass er untergetaucht sein könnte, ist er doch hoch verschuldet – davon wusste Annie zum Beispiel nichts, auch nicht davon, dass er seine Mutter im Pflegeheim schon länger nicht mehr besucht hat.
Als Leser brauch man länger – und das ist auch gut so, damit ist die unterschwellige Spannung dieses Krimis ohne Actionfeuerwerk garantiert – was hier eigentlich los ist.
Unheimlich
Hat man einmal Sarah Nisi's Psychothriller „Ich will dir nah sein“ (Mai 2021, btb Verlag) gelesen, wird man sich seine Nachbarn ganz genau anschauen … Psychopathen gibt es ja genug!
Der seltsame Mr. Lester Sharp arbeitet im Londoner Fundbüro des öffentlichen Nahverkehrs und kümmert sich dort um herrenlose Fundsachen: Handys, Schlüssel, Portemonnaies – besonders gern um Kleidungsstücke und medizinische Gerätschaften. Immer wieder lässt er für ihn besondere Teile heimlich verschwinden und nimmt sie mit nach Hause. Lester ist ein mehr als eigenartiger Sonderling, der sich schwertut mit Frauen – das kommt besonders in Rückblenden auf seine eingebildete und obsessive Beziehung zur gehörlosen Shannon zutage.
Als in der Nachbarwohnung – er hat einen
Nachschlüssel dazu - die junge Tänzerin Erin einzieht, ändert sich sein Leben dramatisch, er sucht nach allen Möglichkeiten, ihr nah zu sein und belauscht sie über sein Badezimmer. Er stalkt sie
und verfolgt sie bis ins Theater. Immer wieder betritt er heimlich ihre Wohnung, wenn sie nicht zuhause ist.
Erin, die gerade eine Premiere vor sich hat und mit einem verletzten Fuß kämpft, hat gleich ein ungutes Gefühl, als ihr der neue Nachbar zum ersten Mal begegnet.
Die Story spitzt sich zu als Erin eine Beziehung zu Rhys White, dem Makler, der ihr die Wohnung vermittelt hat, eingeht. Rhys ermittelt im Gebäude, weil es in der Vergangenheit immer wieder ganz
rasche Auszüge von Frauen gegeben hat, die sich in ihren Wohnungen beobachtet und verfolgt fühlten. Lester will Erin für sich alleine und Rhys ist im da im Weg, er muss weg!
Die Autorin braucht kein Blutvergießen um Spannung aufzubauen, sie erzählt die Geschichte aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten und lässt sie richtig eskalieren. Das Ende ist
unvorhersehbar – das lieben die Leser!
(JT 2022)
Bücher für Fortgeschrittene
Die vielfach ausgezeichnete österreichische Literatin Christl Greller schreibt mit einer großen poetischen Kraft, die nachhaltig berührt – in ihren Gedichtbänden stemmt sie sich gegen das Vergängliche, das Vergehen, den Tod.
Greller ist eine Tüftlerin, die lange und intensiv an ihren Gedichten arbeitet. Ihre Gedichte genießt man am besten häppchenweise, damit sie lange im Gedächtnis bleiben.
Gefühlvolle Gedichte, ein spannender Roman und charmante Bücher mit Erzählungen sind von der Autorin erschienen. Genug Lesestoff für lange Winterabende.
Der Roman „Nachtvogeltage“ (Edition Roetzer) ist die Aufzeichnung einer spannungsgeladenen Dreiecksbeziehung: auf der einen Seite stehen Mann und Frau mit ihren persönlichen Lebensfäden und als drittes Element mischt die Arbeitswelt mit oft verhängnisvollen Einflüssen mit. Dort ist der Mensch zum Verbrauchsgegenstand geworden, dessen Wert mit dem Grad der Abnützung, mit dem Älterwerden sinkt.
Nachtvogeltage zieht den Leser in das Netz der Zusammenhänge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen Karriere und Partnerschaft, zwischen Abhängigkeit und Unterdrückung - abwechselnd aus der Sicht des Mannes oder der Frau. Jedes Jahr mehren sich bei ihnen die Altlasten, oft mit Alkohol zugeschüttet, machen ihr Leben zur Extremsportart. Können sie selbst sich aus dem Dunkel befreien? Können sie den Rucksack abwerfen, in dem sie Ängste und Traumata gesammelt haben bis hin zum Grauen vor dem Alter? Dies ist die Geschichte einer erschütternden Auseinandersetzung und einer berührenden Liebe.
Mit den spannenden und berührenden Erzählungen „Im Narrenturm“ (Edition Rösner) illustriert Christl Greller, wie wir in unseren selbstgestalteten gesellschaftlichen Zwängen eingekerkert sind, gegen Wände prallen, an versperrten Türen rütteln und ein Leben lang im Kreis rennen. In der Auseinandersetzung mit den undurchschaubaren Facetten des Lebens geht es von harmlosen Narreteien bis zum nackten Wahnsinn menschlichen Verhaltens. Die Erzählungen sind praktisch ein sozialer Befund in literarischen Einzeluntersuchungen..
Der Lyrikband „und fließt die zeit wie wasser, wie wort“ (Edition Lex Liszt 12) ist eine Hommage an das Leben. Dieses Buch ist ein großes Fließen. Intuitiv und emotional reiht Christl Greller ihre Verse aneinander – über die Zeit, gegen die Zeit, die erbarmungslos verrinnt und alles mit sich schwemmt wie Wasser. Wasser, das sich selbst auch ständig verändert, keine Minute gleich bleibt. Dieses Verändern, aus dem alles Neue entsteht, sowie das Vergehen mit seinen schmerzhaften Abschieden gehört zu den essenziellen Erfahrungen des Menschseins, die die Lyrikerin in fließendes Wort fasst. In berührend poetischer Weise stemmt sie sich gegen dieses Vergehen, das auch in den vielen Naturbeobachtungen deutlich wird.
Das genaue Hinschauen und seine poetische Umsetzung ist eine der Stärken von Christl Greller. Alles ist mit allem verbunden wie kommunizierende Gefäße. Alles ist im Fluss und mündet in seinem Ende – wenngleich es nicht die Zeit ist, die vergeht, sondern wir.
Die Bücher können per Email an grellerc@a1.net bestellt werden.
(JT Dez. 2021)
Coverfotos beigestellt von Christl Greller, Illustration: Pinterest
Die Methode heißt Mord
Jan Beck schreibt mit „Die Nacht –
Wirst du morgen noch leben?“ (Juli 2021, Penguin Verlag) wieder einen Thriller mit seinem Ermittlerduo Bjärk und Brand, die sich erneut auf die Jagd nach einem grausamen Mörder begeben.
Als Hanna sich während eines Gewitters im dunklen Wald verläuft, scheint ihre größte Angst wahr zu werden – doch sie weiß nicht, dass ihr das Schlimmste noch bevorsteht. Ein paar Stunden später
tritt ein Unbekannter, der sich selbst „Der Nachtmann“ nennt, an die Öffentlichkeit und gibt bekannt, dass er 5 Menschen in Glaskästen gefangen hält und jede Nacht einer von ihnen
sterben wird – es sei denn, jemand schafft es, eine seiner Forderungen zu erfüllen.
Sofort wird Europols Topermittlerin Inga Björk auf den Fall angesetzt. Als Leiterin der Sondereinheit für Serienverbrechen kennt sie die menschlichen Abgründe. Zusammen mit Christian Brand begibt sie sich auf die Suche nach einem Täter, der nichts dem Zufall überlassen hat, der Rache will und auf Mord aus ist.
Die Aufgaben des Täters sind scheinbar einfach um das Leben seiner Gefangenen zu retten, die dem Sterben eines anderen zusehen und hoffen, einen weiteren Tag lang verschont zu bleiben. Doch es ist nicht nur die Qual, die den Täter antreibt. Je näher Björk und Brand ihm kommen, desto schrecklicher werden die Zusammenhänge, die sich hinter seinen Plänen verbergen.
So spannend diese mysteriöse Story klingt, so zäh und banal schreibt sie Beck, streckenweise hat man trotz aller Twists das Gefühl, es passiert nicht wirklich etwas. Aber man will unbedingt das Ende wissen!
Willkommen in Aimee Sinclair's wirrer LügenWelt
Aimee Sinclair ist Schauspielerin, Ehefrau, Mörderin? Ihr Ehemann Ben ist spurlos verschwunden, und die Polizei glaubt, sie verheimlicht etwas. Glaubt, sie hätte ihn umgebracht. Obendrein scheint jemand zu wissen, was sie getan hätte.
Aimee lebt schon so lange eine Lüge, dass sie
selbst mittlerweile daran glaubt.
Sie hat es immer getan, hat sich immer als jemand anderes ausgegeben.
Alice Feeney's Roman „Ich weiß, wer du bist“ ((Aug. 2020, rororo) ist verwirrend merkwürdig und bleibt in den 2 Handlungssträngen der Story trotzdem einigermaßen seltsam farblos.
Der Roman ist in der Ich-Form erzählt wie ein
innerer Monolog. Aimee erinnert sich an den Beginn ihrer Beziehung mit Ben und an so manch schöne, aber auch nicht so schöne Dinge ihres Zusammenlebens. Als sie eines Tages nach Hause kommt, ist
Ben nicht da. Sie sucht ihn und meldet ihn schließlich bei der Polizei als vermisst.
Am nächsten Tag stellt sie fest, dass ihr Bankkonto aufgelöst worden ist. Aber nicht von ihrem Mann, wie sie in der Bank erfährt.
Schauspielert Aimee? Lesen wir die Wahrheit? Nichts ist klar, denn Aimee war schon als Kind in andere Rollen geschlüpft um zu überleben.
Der Leser muss sich entscheiden, ob er die Geschichte der Protagonistin, die sie erzählt, glaubt oder nicht.
Welch Lügengespinst!
Twist and Shout
"Wenn die Stille schreit" ist ein Psychothriller im Miniformat von Roman Klementovic (Sep. 2021, Gmeiner). Der Autor ist der wahre Meister des Thrills und der Twists.
Allzu viel wollen wir hier nicht verraten über
die ShortStory und die Protagonisten, weil die Geschichte wieder so genial und wendungsreich ist, dass man den Spaß am flotten LeseQuickie nicht verderben sollte.
Tim muss bei einem katastrophalen Schneesturm noch einmal in die Arbeit. Erst spät abends kommt er durch fast unpassierbare Straßen wieder zurück und freut sich auf seine schwangere Frau
Nathalie, die nicht wollte, dass er das Haus überhaupt verlässt. Er stellt schnell fest, dass sie nicht da ist. Tim weiß, dass zwei entflohene Mörder die Gegend unsicher machen und ihr Unwesen
treiben. Haben sie etwas mit Nathalies Fehlen zu tun? Tim sucht seine Frau im Sturmgeschehen und in totaler Finsternis durch einen Stromausfall.
Ein grandioser Plot mit höchster Spannung! In der Kürze liegt die Würze!
Vom Leben emigrierter Juden im New York der 1940er Jahre
Von Isaac Bashevis Singer, 1978 Nobelpreisträger für Literatur, fand sich im Nachlass ein unveröffentlichtes Werk: „Der Scharlatan“ (April 2021, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag). Der Roman zeichnet ein eindrückliches Bild vom Leben der emigrierten Juden im New York der 1940er Jahre, deren grundsätzliche Stimmung angesichts der Kriegssituation in Europa düster ist, die aber natürlich auch Freude am Leben und der Liebe haben.
Hertz Minsker, ein Schürzenjäger, ist Singer's Scharlatan. Im Prinzip ist er nichts so richtig und doch von allem ein wenig, ein selbsternannter Philosoph, Lebemann und Pleitier, den die Frauen lieben. Bronja, seine vierte Ehefrau, hat für ihn ihren Ehemann und ihre Kinder in Warschau zurückgelassen, jetzt schlagen sich die beiden mehr schlecht als recht durchs Leben. Sie – obwohl Hertz das nicht will - strudelt sich in einer Fabrik am Fließband ab, während er vortäuscht, an einem Buch zu arbeiten und sie hint und vorn betrügt.
Morris Calisher, sein Freund aus Jugendtagen, ist mit Immobilien reich geworden und führt mit seiner Frau Minna, einer Möchtegern-Dichterin, ein Leben im Wohlstand. Er unterstützt Hertz wo er kann, weiß allerdings nicht, dass dieser längst eine leidenschaftliche Affäre mit Minna begonnen hat. Als plötzlich Minnas mieser Ex-Mann auftaucht und versucht, Morris Calisher gefälschte Kunstwerke anzudrehen, fliegt alles auf, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
(JT 2021)
Schuhmann und Fuchs ermitteln
Ein brutaler Mord an einen Polizisten, dessen
Mund und Rachen mit flüssigem Silber ausgegossen wurde, hält ganz Frankfurt am Main in Atem. Während Kriminalhauptkommissar Joachim Fuchs gemeinsam mit der jungen ehrgeizigen Fallanalystin Lara
Schuhmann und dem humorigen Rechtsmediziner Lehnhardt in dem rätselhaften Fall ermitteln, geschieht ein weiterer Mord.
In der Stadt herrscht drückende Hitze, als ein enger Freund von Fuchs an ominösen Verbrennungen stirbt.
Der grausame Killer arbeitet mit ebenso ungewöhnlichen wie brutalen Mordwerkzeugen, doch die Taten erscheinen willkürlich. Bis eine Spur mitten in die Reihen der Polizei führt. Fuchs muss sich dem dunkelsten Kapitel seiner traumatischen Vergangenheit stellen um weitere Morde zu verhindern und um nicht selbst zum Opfer zu werden.
Es geht um eine verpatzte Operation vor 25 Jahren gegen RAF-Terroristen und die erneute Jagd nach Schatten aus der Vergangenheit.
Unerwartete Wendungen und ein unerwartetes Ende machen „Rachekult“ von Frederic Hecker
(Feb. 2021, blanvalet TB) zu einem packenden Thriller.
Schwule Abenteuer in München
Nur zu gerne lässt sich der junge Bulle Maik auf ein heißes Abenteuer mit dem coolen Influencer Max ein. Gemeinsam mit seinem geilen Sommerflirt erlebt er Münchens Nachtleben und erfährt, dass der Influencer grad hinter einer brandheißen Story her ist.
Max' russischer Kumpel Sergey scheint ebenfalls von dieser Sache zu wissen.
Noch eh aus der heißen Affäre mehr werden kann, wird Max unweit vom Englischen Garten erschossen aufgefunden. Wurde ihm seine Neugierde zum Verhängnis?
Maik sucht sofort nach Max‘ Killer. Unterstützt wird er dabei von seinem Kölner Kumpel Marco, der für ein paar Wochen beruflich in München ist. Der Kölner kann den coolen Bullen auch bremsen, als der versucht, über den Russen mehr zu Max's letzter Story zu erfahren und sich damit in Gefahr zu begeben. Sind sie doch einem ehemaligen Agenten auf der Spur, der Naziverstecke von wertvollen Kunstwerken kennt.
Als Marco versucht, einem alten Münchener ein Grundstück für seinen Arbeitgeber abzukaufen, lernen er und Maik dessen Großneffen Felix kennen, in den sich Maik sofort verknallt, während Marco sich über Felix' Familie informiert. Irgendwie hat das natürlich gefährlicherweise auch alles mit Max' Tod zu tun.
Der Inhalt von Marc Förster's Buch „Cooler Bulle – gefährlicher Influencer“ (Juni 2021, Himmelstürmer Verlag) und guter Schreibstil sind sowieso zweitrangig, hauptsächlich geht es heftig zur Sache. Explosiver Sex wird großgeschrieben!
Wer einen PornoGroschenroman möchte, ist hier gut bedient!
Um die Zivilisation in die Knie zu zwingen braucht es keine Bomben ...
Mitten in der Urlaubszeit bricht europaweit das Internet zusammen. Flugzeuge können nicht mehr landen, Ärzte nicht mehr operieren, der Verkehr versinkt im Chaos. Kommunikation funktioniert nicht mehr. Europa befindet sich im Ausnahmezustand, die Menschen werden panisch, die Versorgung bricht zusammen.
BND-Ermittler Nelson Carius vermutet ein hochkomplexes Computervirus hinter den Internetausfällen. Eine Spur führt ihn zum IT-Experten Daniel Faber aus München, einem unbescholtenen Familienvater, der in dem heillosen Chaos nun seine Unschuld beweisen muss.
Wolf Harlander entwirft in „Systemfehler“ (Juli 2021, Rowohlt Polaris) ein Szenario, das unsere Zivilisation in die Knie zwingen würde - einen totalen Internetausfall.
Gerade die jüngsten Cyberangriffe haben gezeigt, wie anfällig unser digitales Netzwerk ist, wie sehr jeder vom Handy und Computer abhängig ist - und wie schnell Unternehmen, Krankenhäuser, Supermärkte, Industrieanlagen oder Zug und Flugverkehr lahmgelegt werden und damit unser gewohntes Leben zunichte machen.
Als Leser hätte man sich einen rasanteren Stil gewünscht, weniger langwierige Details,
aber das Buch ist wegen seines hochaktuellen Inhalts trotzdem wie ein Hollywood-Blockbuster!
Das Leben am Rand einer abgründigen Gesellschaft
Anne Goldmann's Werk „Alle kleinen Tiere“ (Mai 2021, Ariadne/Argument Verlag) landet bei uns gleich einmal auf der AuswahlListe der besten Bücher 2021!
Der in Wien lebenden, in einer Kärntner Großfamilie aufgewachsenen Autorin ist ein großer Wurf gelungen. Geschickt webt sie in ihrer toxischen Geschichte über Figuren, die alle so manche Schäden im Leben abbekommen haben, ein kaum zu durchbrechendes Spinnennetz und schildert deren Nöte beim Kampf um ein möglichst gutes Leben – jeweils aus der Perspektive der handelnden Personen, deren Schicksale irgendwie miteinander verstrickt sind.
Die „nicht ganz normale“, aber immer freundliche und hilfsbereite Rita Vesely, betreut von Frau Freese, fürchtet sich vor Hunden. Eigentlich will sie ja nur ihren Freund Tom Kralik besuchen, als sie einen toten Hund auf der Fahrbahn bemerkt und sich danach die Ereignisse überstürzen. Sie wird von der Polizei verletzt aufgegriffen und in die Psychiatrie verfrachtet, wo sie Ela – Manuela Kiliç - kennenlernt, aus deren wirren Geschichte sie nicht ganz schlau wird. Sie hätte einen gewissen Gottlieb Kornmesser gepflegt, der war nun tot und hat ihr ein Haus vermacht, das Nachbarhaus von Tom, wie sich später rausstellt. Nun werde sie vom skrupellosen Sohn des Verstorbenen, Lukas, verfolgt, der ihr das Erbe streitig machen möchte. Ela ist sehr undurchsichtig, einmal behandelt sie Rita als Vertraute und bittet sie um Unterstützung, dann wieder weist sie sie schroff zurück. Rita wird nicht recht schlau aus ihrer neuen Freundin. Während Tom hin und weg ist von ihr, aber durch seine beschämende Vergangenheit – er wurde der Entführung eines Mädchens angeklagt und saß im Gefängnis – prinzipiell bei allen Menschen auf Abstand geht. Er will nur nicht auffallen.
Und da ist noch Marisa Faber, die es über einige Ecken mit Ela, Rita,Tom und dem jungen Kornmesser zu tun bekommt. Marisa arbeitet in einer undurchsichtigen Immobilienfirma, die Ela und Tom die Häuser für ein großes Bauprojekt abjagen möchte.
Alle Protagonisten stecken fest im kriminellen Zentrum der ganzen unglaublichen Geschichte.
Wie bei einem Puzzle fügt Goldmann die einzelnen Teile zusammen, mit ihrer wunderbaren filigranen Sprache, die einen richtig reinsaugt in all die Ecken, hinter denen Unheil lauert.
(JT 2021)
Schonungslose Utopie
Sarah Hall schlüpft mit dem futuristischen Abenteuerroman „Die Töchter des Nordens“ (April 2021, Penguin Verlag) in die Schuhe der Zukunftsvisionen von Margaret Atwood, wenn sie ihr auch ein bisschen zu groß sind!
Die düstere Geschichte rund um die namenlose
Protagonistin, „Schwester“ genannt, ist stark, wird aber manchmal von der Autorin ein wenig distanziert und zäh erzählt.
Wir befinden uns in England, in einer unbestimmten, scheinbar nahen Zukunft, jedoch das England, dass wir kennen, gibt es schon lange nicht mehr. Umwelt- und Wirtschaftskatastrophen haben das
politische System scheitern lassen. Die Menschen leben in einer Diktatur beengt in städtischen Zentren, Frauen bekommen nur durch "Losglück" das Recht, schwanger werden zu dürfen. Kinder kriegen
ist verboten und so werden die Einwohnerinnen ungefragt mit der Spirale ausgestattet.
Eine junge Frau, die „Schwester“, lauft ihrem Mann und dem verhassten Regime weg und schließt sich einer Gruppe weiblicher Abtrünniger an, den Carhullans, die in den Bergen des Lake District isoliert leben und eine einsame Farm bewirtschaften. Unter Führung der charismatischen Jackie hat sich diese Gemeinschaft zunehmend radikalisiert. Gewalt und militärischer Drill geben den Ton an. Jackie ist nicht nur Besitzerin der Farm, sie ist auch unumstrittene Herrscherin.
Wird „Schwester“ Jackies Kampf mittragen?
Deine Freundin ist eine Mörderin – was
jetzt?
Als Jugendliche waren Jessica Fox und Heather Underwood die beste Freundinnen. Sie teilten alles miteinander. Bis ein einziger Tag ihre Freundschaft zerstörte.
Jahre später kehrt Jess, nun Journalistin beim Bristol & Somerset Herald in ihre idyllische Heimatstadt Tilby an der Küste Englands zurück. Dort soll sie die Berichterstattung zu einem brutalen Doppelmord an Deirdre und Clive Wilson übernehmen, bei dem Heather die Hauptverdächtige ist.
Jess kann nicht fassen, dass ihre frühere Freundin eine eiskalte Mörderin ist und beginnt zu recherchieren. Bald muss sie feststellen, dass alle Hinweise zu dem Tag führen, den sie für immer aus ihrem Leben streichen wollte. Der Tag, an dem Heather's Schwester Flora spurlos verschwand und sie alle ins Unglück stürzte.
Claire Douglas schreibt mit „Beste Freundin. Niemand lügt so gut wie du“ (April 2021, Penguin TB) einen britische Krimi der feinen Art. Spannend durch geschickt gewählte Zeit- und Erzählwechsel und falsche Fährten, auf die die Autorin die Leser schickt.
Es muss nicht immer nach Verwesung riechen ...
Simon Becketts neuer Roman „Die Verlorenen“ (Juli 2021, Wunderlich) ist der Auftakt einer neuen Thrillerreihe mit Schauplatz in London, in der der Polizist Jonah Colley im Mittelpunkt steht. Beckett ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter bleibt unerreicht, trotz des neuen Protagonisten Colley mit all seinen Schrammen und Verletzungen!
Detective Sergeant Jonah Colley ist Mitglied eines bewaffneten Eliteteams der Metropolitan Police. Ein riskanter Job, der ihm hilft, zu vergessen. Denn seit sein vierjähriger Sohn Theo vor zehn Jahren auf einem Spielplatz spurlos verschwand, ist nichts mehr, wie es einmal war. Damals deutete alles auf eine Entführung hin, doch schließlich wurde der Fall zu den Akten gelegt. Theo ist durch ein ungesichertes Kanalgitter gefallen und ertrunken, so die Vermutung der Polizei. Die Frage, was wirklich mit seinem Sohn geschah, holt Jonah immer wieder ein.
Ein Anruf seines ehemaligen besten Freundes Gavin, der bei der Einheit für Organisiertes Verbrechen arbeitet, wirft Jonah aus der Bahn. Früher waren die beiden unzertrennlich, seit Schulzeiten befreundet. Doch seit Jonahs Sohn Theo spurlos verschwand, herrscht Funkstille. Als Gavin ihn nun aus heiterem Himmel um ein Treffen bittet, zögert Jonah zunächst, fährt aber dann doch zu dem angegebenen Treffpunkt, einem verlassenen Lagerhaus am Slaughter Quay an der Themse. Dort findet er nur Gavin's Leiche und drei weitere Opfer. Fest in Plastikplane eingewickelt, sehen sie aus wie Kokons. Ein weiteres Opfer, eine Frau, atmet noch. Als Jonah das Blut roch, war ihm klar, dass er in Schwierigkeiten steckte. Er wird hinterrücks niedergeschlagen, gefesselt und schwer verletzt, doch später zieht die Polizei seine Schilderungen in Zweifel. Stattdessen gerät er selbst ins Visier der Ermittler. Für Jonah beginnt ein Albtraum.
Was geschah wirklich in der Nacht am Slaughter Quay? Was ist Theo damals zugestoßen?
Exzessive Welt mit Schattenseiten
Duncan Hannah, 1952 im verschlafenen Minneapolis geboren, ging mit 18 Jahren an die Ostküste, wo er von 1971 bis 1973 am Bard College und anschließend an der Parsons School of Design in New York Malerei studierte. Heute zählt er zu den meistbeachteten zeitgenössischen Künstlern der USA. Seine Arbeiten sind in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen und im Metropolitan Museum of Art zu sehen.
Hannah hat die 70iger Jahre über Tagebuch geführt – das ist ein echter Glücksfall. „Dive“ (April 2021, Rowohlt Berlin) liest sich wie der letzte große Beatroman.
In New York ist der Junge aus der Provinz Amerikas immer auf der Suche nach Partys, Sex, Alkohol, Drogen, Rock ’n’ Roll und was die Kunsthauptstadt der Welt ihm sonst noch zu bieten hat.
Bald ist er Teil jener brodelnden Boheme, die
heute legendär ist – besucht mit Andy Warhol die Talking Heads, zieht mit Bryan Ferry und David Bowie um die Häuser, dreht Filme mit Debbie Harry, wird von Lou Reed umworben, philosophiert mit
David Hockney. In einem LSD-Rausch hat er den besten Sex nicht etwa mit der umschwärmten Patti Smith, sondern mit Mutter Erde, und auch sonst lässt er nichts aus – am Ende der Aufzeichnungen, als
mit dem Mord an John Lennon im Jahr 1980 eine Ära zu Ende geht, ist der junge Kunststudent selbst zu einem Künstler geworden.
Duncan Hannahs Tagebuch ist ein Zeitdokument einer elektrisierenden Epoche und eines rauschhaften Lebensgefühls. Die 70iger – ein Mythos!
(JT 2021)
Verblüffend
Martin Mosebach's „Krass“ (Jan. 2021, Rowohlt) ist ein gelungenes Werk, aber nix für Leseanfänger, jedoch großartig für Literaturfreunde. Man muss sich schon auf diese dunkle, durchaus raffinierte und überraschende Geschichte einlassen, dann erlebt man eine verblüffende, detailverliebte, sprachgewaltige, opulente Erzählung, die nicht langweilt und das Zeug zu einem Meisterstück hat!
Die Hauptfigur ist Ralph Krass, ein verschwenderischer Geschäftsmann, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Ob er reich ist oder doch nur ein Hochstapler, wer weiß das schon? Er will sich seine Gesellschaft kaufen, immer nur selbst der Schenkende sein.
Als in Neapel, wo er mit seiner Entourage residiert, die junge Abenteuerin Lidewine Schoonemaker - eine Flämin, die in sich immer nur ein Anhängsel der Männerwelt sieht - in seinen Kreis tritt, die Assistentin eines Zauberers, bietet er ihr einen ungewöhnlichen Pakt an.
Beobachtet wird das alles von seinem Sekretär,
dem Pechvogel Dr. Jüngel - ein Jammerant - mit einem Blick voll Neid und Eifersucht. Aber erst nachdem die Gesellschaft von Herrn Krass durch einen Eklat auseinandergeflogen ist, gelingt es ihm,
an seinem Zufluchtsort in der französischen Provinz, die Mosaiksteine des Geschehenen zu einem Bild zu ordnen und zu erkennen, wie alles mit allem rätselhaft zusammenhängt.
Das Buch ist eigentlich ein Liebesroman mit originellen Protagonisten – oder doch nicht? Durchtrieben, spannend, fabelhaft, krass!
Hochspannung
Dunkel ragt die Silhouette der alten Deichmühle in den Himmel. Es ist ein unheimlicher Ort, an den sich der alte Josef Hader vor vielen Jahren zurückgezogen hat. Seither meidet er jeden Kontakt mit den Menschen im Dorf.
Als eines Nachts die Polizistin Frida Paulsen die Leiche des Eigenbrötlers entdeckt, ist das nicht ihr einziger grausiger Fund in dem alten Gemäuer.
Unter einer Bodenklappe verbirgt sich eine möblierte Kammer, die Schreckliches erahnen lässt. Auf dem Bett liegt ein Sommerkleid, das Fridas Kollegen Bjarne Haverkorn bekannt vorkommt. Vor zehn Jahren verschwand in der Marsch eine junge Frau, von ihr fehlt bis heute jede Spur.
Romy Fölck schreibt in „Sterbekammer“ (Jan. 2021, Bastei Lübbe TB) in einem einnehmenden atmosphärisch dichten Stil über die Elbmarsch und ihre Bewohner.
Ihre sympathischen Hauptfiguren Frida und Bjarne mag man einfach.
Auch wenn in diesem spannenden Krimi, der einen aktuellen mit einem alten Fall verwebt, nicht die Frage „Wer war es?“ im Vordergrund steht, möchte man wissen „Warum?“.
Der Lenz ist da!
Felix Haß erdachte seine KrimiromanReihe rund um Kommissar Steffen Lenz vor über fünf Jahren. Sie hat sich seitdem auf drei Bände vermehrt. Die Serie begann im Jahre 2015 mit dem Band "Angst ist stärker als der Tod". Mit diesem Buch sollte zuerst angefangen werden, wenn man sämtliche Teile in ihrer Chronologie lesen will. Das zweite Buch "Sein letzter Schritt" folgte im Anschluss zwei Jahre später im Jahr 2017. Ihr bisheriges Ende findet die Reihenfolge heuer mit dem dritten Band "Blank" (März 2021, Querverlag).
Ein nackter junger Mann in einer Sauna am Prenzlauer Berg im Schwimmbad im Ernst-Thälmann-Park ist durchaus nach dem Geschmack von Kommissar Steffen Lenz – wenn er ihm auch lebendig bedeutend lieber gewesen wäre. Schließlich hat der Polizist, Mitte 30, eine Schwäche für körperliche Genüsse und einen Hang zu dem, was manche „Laster“ nennen würden.
Der Tote mit einem Nasenring hatte dunkle Haare und war sehr klein, so um die 1,60 Meter.
Der Fall selbst erscheint erst einmal nicht allzu kompliziert, was Lenz in der Vorweihnachtszeit durchaus entgegenkommt.
Leider wird, was einfach scheint, doch sehr verwirrend. Die Ermittlungen des Teams von Lutz Klawitter, es gehören noch Andrea und Monika und eben der Lenz dazu, konzentrieren sich auf zwei schwule junge Männer, die zum Tatzeitpunkt in der Sauna gesehen wurden. Einer von beiden ist flüchtig. Der andere hat durch eine Kopfverletzung sein Gedächtnis verloren. Er ist entweder Zeuge, Täter oder weiteres Opfer.
Um dem Geschehen auf den Grund zu gehen, ermittelt der Kommissar des öfteren am Rand des Erlaubten. Privat und dienstlich zu trennen war ja noch nie seine Stärke.
Pünktlich wie die Sonnenuhr gibt es vor dem Sommer einen neuen Brunetti-Krimi!
Wer einmal mit Donna Leon's Commssario Brunetti in den schönen Gassen Venedigs Verbrecher jagte, wird sich keinen einzigen Fall, den Leon prinzipiell vor dem Sommer veröffentlicht, entgehen lassen. Heuer ist es „Flüchtiges Begehren. Commissario Brunettis dreißigster Fall“ (Mai 2021, Diogenes).
Ein scheinbar harmloser Fall entpuppt sich wie immer mit tiefergehenden Hintergründen.
Nach einem Drink auf dem Campo Santa Margherita lassen sich zwei junge Touristinnen von ein paar Einheimischen zu einer Spritztour in die Lagune verführen. In der Dunkelheit rammt das Boot einen Pfahl, und die Amerikanerinnen enden bewusstlos auf dem Steg des Ospedale. Warum alarmierten ihre Begleiter nicht die Notaufnahme, wenn alles nur ein Unfall war? Es gibt zwar schnell zwei Verdächtige, aber der Commissario wittert dunkle Machenschaften. Je hartnäckiger Brunetti ermittelt, desto näher kommt er einem Monstrum, vor dem sich selbst die Mafia fürchtet.
Elettra, Patta, Vianello und die Familie
Brunetti haben wie gehabt ihren Auftritt, besonders aber die schöne Commissaria Claudia Griffoni und die neue Figur der Capitana Laura Nieddu stehen aber mehr im Mittelpunkt des neuen
Falles.
Es gibt auch einen Hinweis, dass die Autorin ihren Protagonisten vielleicht einmal in Rente schickt, denn mit seiner Frau Paola spricht er über seinen Traum vom Landleben mit Arbeit auf dem
Felde.
Fix is nix!
(JT 2021)
Kommissar Joona Linna ermittelt wieder
Lars Kepler (das ist das Pseudonym der Eheleute Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril) lässt im Thriller „Der Spiegelmann“ (Nov. 2020, Lübbe) Joona Linna bereits zum achten Mal ermitteln und sich gegen das Böse stellen.
Den Kommissar umgibt immer so ein großes Geheimnis. Anders als so manche Superhelden trägt er aus jedem Fall physische und seelische Narben davon. Seine Erfahrungen machen etwas mit ihm, aber trotzdem bleibt er doch er selbst: eine sehr menschliche Mischung aus Sherlock Holmes und Jason Bourne mit Einfühlungsvermögen, der es vermag, sich in den Kopf eines Täters hineinzuversetzen, er fühlt dessen Ängste, seinen Schmerz und versteht deshalb, was ihn zu furchtbaren Taten treibt.
Eine Schülerin, Jenny Lind, verschwindet vor fünf Jahren auf dem Heimweg spurlos. Joona hatte damals mit dem Fall zu tun. Jetzt wird sie auf einem Spielplatz mitten in Stockholm ermordet aufgefunden. Das Mädchen wurde an einem Klettergerüst qualvoll erhängt. Eine Hinrichtung und Machtdemonstration.
Linna ist von der Kaltblütigkeit des Täters alarmiert und ermittelt unter Hochdruck.
Das Mädchen ist wahrscheinlich nicht das einzige Opfer. Als es gelingt, einen Mann aufzuspüren, der den Mord gesehen haben muss, ist der Zeuge, eine schillernde Figur, nicht in der Lage, darüber zu sprechen. So traumatisch sind offenbar seine Erinnerungen. Jonna Linna bittet Erik Maria Bark, den Hypnotiseur, um Hilfe, auch wenn ihre Beziehung nicht gerade freundschaftlich ist.
Das Buch war DER Jahresbestseller in Schweden 2020. Vielleicht waren andere Joona Linna-Krimis spannender, aber es ist spannend genug, auch wenn wir es nicht so gerne mögen, wenn Thriller mit einem Cliffhanger enden!
Wer schön sein will, muss leiden!?
"Dornteufel" (Nov. 2020, Bastei Lübbe TB) von Eva Almstädt ist eine packende Alternative zu ihren bisher veröffentlichen Ostseekrimis! In ihrem flüssigen, oft ein wenig zu detailliertem Schreibstil führt die Autorin die Leser in die Welt eines internationalen Pharmakonzerns ein, der ohne Rücksicht auf Verluste von einer skrupellosen Männerriege, deren einziges Ziel der maximale Profit ist, geführt wird.
Julia Bruck geht als Ingenieurin für ein halbes
Jahr ins Forschungszentrum des Konzerns nach Indien. Dort macht sie eine schaurige Entdeckung und muss fliehen. Obwohl sie hartnäckig verfolgt wird, will sie herausfinden, was genau passiert ist.
Parallel dazu wird ein französischer Journalist ermordet und in New York stürzt sich ein junge Frau, die aussieht wie eine Greisin, von einer Feuertreppe in den Tod. Wie hängen all diese
Ereignisse zusammen?
Der Plot rund um die Story von ewiger Jugend und Schönheit, deren Preis tödlich ist, ist ziemlich rasant, ein wenig zwischen Abenteuerroman und einer romantischen Liebesgeschichte changierend und
vielleicht nicht ganz „ausgeschrieben“, aber durchaus spannend.
Jesus von Nazareth - intim
„Ich wusste schon immer, dass sie mich zum Tode verurteilen würden“, so beginnt Amélie Nothomb's Buch „Die Passion“ (Okt. 2020, Diogenes). Hier spricht Jesus Christus in der Nacht vor seinem Tod. Mutterseelenallein in seiner Zelle, vertraut er uns seine geheimsten Gedanken an, seine Zweifel, seinen Groll. Leidenschaftlich und konsequent wie immer, ohne Geschwafel, fühlt sich die Autorin in die mystische Leidensgeschichte Jesu ein. Hier wird Jesus tatsächlich Mensch.
Nothomb versetzt sich in aller Kürze in Jesus Christus kurz vor, während und nach seiner Kreuzigung hinein und zeigt einen Mann, der auch vor Lästerungen nicht zurückschreckt, was der Kirche wahrscheinlich so gar nicht gefallen wird, ihn aber glaubhaft macht.
Man muss sich schon ein wenig für Jesus und seine Religion und die Bibel interessieren, was ja speziell um Ostern herum meist der Fall ist.
Ob Jesus von Nazareth nun eine historische Person war oder nicht, er ist der Inbegriff des Glaubens und Amélie Nothomb zeigt ihn göttlich-menschlich.
Kein Weg zurück
New York, Flughafen JFK: Claire Cook soll für ein Wohltätigkeitsprojekt nach Puerto Rico reisen um ihren Mann Rory, einen ehrgeizigen Politiker, beim Wahlkampf zu unterstützen. Doch in Wahrheit
will sie nichts als fliehen – vor seinen gewalttätigen Übergriffen und der lückenlosen Kontrolle, die er über sie ausübt. Sie kommt mit Eva ins Gespräch, die bei ihrem schwerkranken Mann
Sterbehilfe geleistet hat. Zu Hause in Kalifornien erwartet sie die Polizei. Innerhalb weniger Sekunden beschließen sie, die Bordkarten zu tauschen und sich gegenseitig ein neues Leben zu
schenken.Erleichtert landet Claire in Kalifornien. In Evas Haus gibt es allerdings keine Hinweise auf einen Ehemann. Dann erfährt sie, dass das Flugzeug nach Puerto Rico abgestürzt ist. Und kurz
darauf entdeckt sie die vermeintlich abgestürzte Eva in einer Fernsehreportage über das Unglück. Lebendig. Hat sie die Flucht in das Leben einer anderen Frau am Ende doch nur in eine Falle
gelockt?
"Der Tausch" (Jan. 2021, Heyne TB) stammt aus der Feder von Julie Clark. Sie erzählt die Story aus den beiden Perspektiven von Eva und Claire. Die Erzählstränge sind unterschiedlich im Stil, aber Clark verwebt sie gut miteinander, wenn auch manchmal ein bisschen oberflächlich.
Durchaus interessanter Plot, vielleicht zu langsam um wirklich ein Pageturner zu sein.
(JT 2021)
TabuThema Homosexualität in der muslimischen Kultur
Yasar Destan schreibt mit „Deniz“ (Jan. 2016, Himmelstürmer Verlag) eine spannende Geschichte über einen jungenTürken, der sein Schwulsein geheimhalten muss, weil ein guter Muslim ist nicht homosexuell.
Der 17jährige Deniz Arslan führt mit seiner Familie ein bescheidenes Leben im verschlafenen Nest Govern. Eines Tages nimmt ihn sein Freund Knorpel auf eine Party der Fachhochschule mit. Eigentlich wollen sie dort nur Ganja kaufen, doch Deniz hat in der Mensa eine schicksalhafte Begegnung mit Raphael. Er spürt in sich Gefühle aufkeimen, die er bisher nie zugelassen hat und verliebt sich Hals über Kopf in den rebellischen Querdenker. Ein Umstand, den es mit allen Mitteln zu unterdücken gilt, denn eine über Freundschaft hinausgehende Liebe zwischen zwei Männern ist mit den Idealen seiner Familie und Kultur unvereinbar. Trotzdem beginnt er mit Raphael eine leidenschaftliche Beziehung – natürlich unter strengster Geheimhaltung. Die Ereignisse überschlagen sich, als seine Eltern schließlich doch unerwartet von seinem Schwulsein erfahren. Aber sie haben ihre ganz eigenen Vorstellungen von der Zukunft ihres Sohnes.
Der Autor erzählt die Geschichte von Deniz, der nun in Berlin lebt, als Überlebenden der Intoleranz Schwulen gegenüber in Anatolien. Sein Protagonist fühlt sich zerrissen zwischen seiner traditionellen anatolischen Familie und dem westlichen Leben und seinen Gefühlen. Es herrscht eine weit verbreitete Homophobie in der Türkei und Homosexualität gilt als Tabuthema. Auch heute noch passiert jungen schwulen Türken genau das, womit Deniz in seiner Jugend zu kämpfen hatte. Vielleicht gibt seine Geschichte all jenen Mut, die sich in einer ähnlichen Lage befinden wie er vor vielen Jahren. Mut, für ihre Freiheit einzustehen und einen Neuanfang zu wagen. Damit auch sie leben können wie er heute: schwul, geoutet und als Türke!
Ein Highlight der Gay-Literatur!
Eiskalt
Die 30jährige Rebecca Friedrichsen lebt mit ihrer Frau Lucy Hagen und ihrer 5 Monate alten Tochter Greta in ihrem Traumhaus in Rerik an der Ostsee. Nur wenn Lucy beruflich in Hamburg ist, fühlt
Rebecca sich einsam. Das ändert sich jedoch, als sie an einem kalten Oktober-Tag am Strand die Urlauberin Julia Beyer kennenlernt, die splitterfasernackt ist und vorgibt, bestohlen worden zu
sein, während sie schwimmen war. Die beiden Frauen freunden sich an und treffen sich täglich – bis Julia plötzlich spurlos verschwindet. Rebecca begibt sich auf die Suche nach ihr, stellt jedoch
bald fest, dass Julia ein Phantom ist. All ihre Geschichten waren gelogen. Aber warum suchte diese mysteriöse Julia eigentlich die Nähe zu ihr? Und was hat sie mit Lucy zu tun?
Der rasant geschriebene Thriller „Die Frau vom Strand“ von Petra Johann (Feb. 2021, rütten & loening) stellt die Frage nach Freundin oder Feindin? Sehr spannend und an den
Nerven zerrend. Als dann etwas passiert, wir wollen hier nicht sagen, was, um die Vorfreude auf den Krimi nicht zu stören, wechselt die Perspektive von der Ich-Erzählerin Rebecca zur Sicht von
Kripo-Ermittlern rund um Edda Timm.
Die Autorin führt die Leser bis zur schlüssigen Auflösung gekonnt an der Nase herum und immer wieder in die Irre. Ein Pageturner!
Arthurs schwuler Sohn
Arthur und Melanie wollten unbedingt Kinder. Leider ließ ein Herzfehler die kleine Tamara nur ein paar Wochen am Leben bleiben. Erst nach sechs langen Jahren wurde Robby geboren. Arthur träumte davon, dass sein Sohn einmal ein großer Fußballstar würde: sein Favorit!
Hans van der Geest schreibt in seinem Buch „Arthurs Favorit“ (Juli 2020, Himmelstürmer Verlag) über eine Regenbogenfamilie spezieller Art. Berührend.
Robby war anders. Die schwerste Enttäuschung
erlebte Arthur, als er feststellen musste, Robby ist schwul. Er litt darunter, obwohl er im Prinzip nichts gegen Schwule hatte. Der Zwiespalt zwischen seiner toleranten Einstellung und seiner
inneren Abscheu raubte dem einst fröhlichen Mann seine Heiterkeit.
In Marek fand Robby schließlich einen festen Partner und sein Vater arrangierte sich damit.
Robbys Jugendfreundin Wilma konnte von ihrem Mann Berto nicht schwanger werden. Berto hatte die Idee, Robby könnte doch einspringen! Und schließlich war Robby der biologische Vater eines Jungen
und eines Mädchens. Arthur konnte nur dankbar staunen, wie Robby seine Hoffnungen völlig anders erfüllt hatte, als er gedacht hatte.
Als Wilma völlig unerwartet starb, nahm Berto die Hilfe von Robby und Marek in der schrecklichen Situation gern an. Es kam so weit, dass sie alle in eine große Wohnung zogen: die Freunde, Berto
und die Kinder.
Robby blieb Arthurs Favorit bis zum letzten Atemzug.
Er liebt den Boss
Ysold Abay schreibt im Genre "Gay Romance". Ihre Protagonisten Adrien Soule und Lian Hook führen eine geheime Beziehung, von der die Autorin in „Der verdammte Geschäftsführer“ (Aug. 2020, Himmelstürmer Verlag) erzählt.
Adrien will mit seiner Karriere im Marketing
vorankommen und bewirbt sich bei der Hook-Tone-Company, einem millionenschweren Unternehmen in der IT-Branche. Sein Bewerbungsgespräch führt er mit dem Geschäftsführer der Firma, Lian Hook, den
er enorm anziehend findet und der ihm eigentümlich bekannt vorkommt. Hook steckt ihm unauffällig seine Visitenkarte in die Jackentasche.
Erst nach reichlicher Überlegung wählt Adrien am späten Abend die Nummer und findet sich kurz darauf beim Mittagessen mit dem attraktiven CEO wieder. Und natürlich bleibt es nicht bei diesem
einen Treffen.
Adrien ist sich nicht sicher, was Lian und
seine Absichten anbelangt. Der CEO ist sehr darauf bedacht, sein Privatleben vor der Öffentlichkeit fernzuhalten. Wie auch immer, die beiden können die Finger nicht voneinander lassen.
Als Lians Geschäftspartner Dale Tone nach einer Auslandreise einige Zeit in der Stadt verbringt, weiß Adrien sofort, dass Ungemach droht. Dale findet heraus, was zwischen Adrien und seinem Boss
läuft. Und damit ist er ganz und gar nicht einverstanden.
(JT 2021)
Eine Frau mit Ecken und Kanten
Allison Dickson liefert mit „Die gefährliche Mrs. Miller“ (Dez. 2020, Aufbau TB) einen kurzweiligen Krimi, mit dessen Hauptdarstellerin, Phoebe Miller, sich sicher viele Frauen identifizieren können,
Phoebe führt mit ihrem Ehemann in einem noblen Vorort von Chicago ein komfortables Leben, das sie ihrem reichen Vater verdankt. Ihre Ehe ist nicht mehr das Gelbe vom Ei, sie ist nicht glücklich, obwohl ihr Mann durchaus um ihr Wohl besorgt ist. Sie lebt, von diversen Ängsten beherrscht, in Selbstisolation und verlässt kaum das eigene Haus, außerdem fühlt sie sich auch beobachtet. Ihr fällt auf, dass seit einer Weile ein alter, rostiger Wagen in ihrer Straße steht.
Eines Tages zieht nebenan eine neue Familie ein – mit dem achtzehnjährigen Jake, von dem Phoebe sich von Anfang an angezogen fühlt. Die beiden kommen einander ziemlich nahe. Phoebe achtet durch die kleine Affäre daher nicht mehr auf das verdächtige Auto. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Phoebes Leben gerät immer mehr aus den Fugen.
Dickson erzählt Phoebes Sichtweise der Ereignisse in Ich-Form, macht aber Einschübe einer unbekannten Person, die sich ebenfalls als eine unbekannte Beobachterin des Geschehens offenbart. Die Autorin bedient sich überraschender Wendungen im Buch um die Spannung zu steigern. Die Leser geraten dadurch einige Male aufs Glatteis.
Nichts ist, wie es scheint!
Ein Buch, das man ganz schnell „verschlingt“!
Gruselig
Es kann durchaus sein, dass Sie sich nach der Lektüre von „Der Bewohner“ von David Jackson (Dez. 2020, rororo) nicht mehr auf ihren Dachboden trauen!
Der Plot: Der brutale Serienkiller Thomas Brogan ist ausgebrochen. Auf der Flucht vor der Polizei findet er Unterschlupf in einem unbewohnten Reihenhaus und entdeckt, dass die Dachböden der Häuserzeile miteinander verbunden sind. So kann er die alte Elsie besuchen, aber auch Pam und Jack und Martyn und die junge Colette. Diese fasziniert ihn besonders und er will sie als neue Spielgefährtin. Doch zunächst einmal muss er sich um Nahrung kümmern und die neuen Nachbarn beobachten. Bald schon kann sein perfides Spiel beginnen, wenn auch nicht ganz so wie er und die Stimme in seinem kranken schizophrenen Kopf das geplant hatten.Er will alles über Colette herausfinden, er muss sie besitzen, sie seinem Willen unterwerfen und sie töten. Doch Colette will nicht spielen, sondern lieber am Leben bleiben. Und in Brogans Kopf streiten sich die Stimmen!
Der Autor gibt Einblick in die inneren
psychischen Konflikte des Serienkillers. Der verstrickt sich immer stärker in das Leben der Bewohner, die er als ihr heimlicher Mitbewohner beobachtet. Er hinterlässt keine Spuren, manchmal nur
so ein ungutes Gefühl, das etwas nicht stimmt, bleibt aber meist unentdeckt. Eines Nachts überrascht ihn die schwerhörige Elsie, die glaubt, ihr verstorbener Sohn sei zurückgekehrt. Fortan
bekocht sie den Mörder und zeigt Zuneigung, was er so nicht kennt. Ist er nicht Täter sondern vielmehr Opfer? Jackson schreibt so kurzweilig, wie es früher oft in Schundromanen zu finden war!
Aber nicht minder spannend!
Als Leser erlebt man die ungute Vorstellung, dass jemand unbemerkt im eigenen Haus umherschleichen könnte, was mehr als gruselig ist und großes Unbehagen verursacht!
Rache, Eifersucht oder was?
„I love you all“, ruft der gefeierte Rockstar Brad Galloway seinen Fans in der Berliner Waldbühne zu. Der Jubel von über zwanzigtausend Menschen schwillt an. Plötzlich tritt eine unbekannte Frau ins Scheinwerferlicht und überreicht Brad einen mysteriösen Umschlag. Der ist wattiert, mit einem roten Stempel „Urgent“, die Oberfläche knistert leise. Was könnte das sein? Brad zieht eine längliche, rechteckige Metalldose heraus und runzelt die Stirn. In der Aluminiumdose liegt eine kleine weiße Vogelfeder in einem Bett aus geronnenem Blut. Die Härchen sind verklebt und an manchen Stellen im dunklen Bodensatz eingetaucht, als wäre die Feder ausgeblutet und im eigenen Saft erstarrt.
Am nächsten Abend wird Galloways ausgeblutete
Leiche ans Bett gefesselt im Gästehaus der Polizei gefunden.
LKA-Ermittler Tom Babylon wird zum Tatort gerufen. Gemeinsam mit der Psychologin Sita Johanns fahndet er nach der unbekannten Frau. Die Spur führt dreißig Jahre zurück – zu einer heimtückischen
Kindesentführung mit dem Decknamen „Hornisse“ – und zu einer Frau, die zwischen zwei Männern stand. Beide waren bereit zu töten. Einer sinnt noch heute auf Rache.
Und das kann Tom Babylon alles kosten, was er liebt. Denn plötztlich deuten alle Spuren auf Tom - hat er aus Eifersucht gemordet? Oder will ihm da jemand etwas in die Schuhe schieben? Tom bleibt
nichts anderes übrig, als zu fliehen und auf eigene Faust nachzuforschen. Seine Kindheit wird näher beleuchtet, ebenso das Leben seiner Eltern.
Marc Raabe schreibt mit dem Thriller „Die Hornisse“ (Nov. 2020, Ullstein Paperback) den Band 3 aus seiner Tom Babylon-Serie. Die Ereignisse sind nicht vorhersehbar und daraus entsteht die Spannung. Das Buch endet mit einem Cliffhanger, obwohl es fast nicht mehr möglich scheint, dass Tom Babylons Familie in noch mehr dunkle Verbrechen verwickelt wird!
Haarsträubend
Liest man die Kurzbeschreibung zu Jan Beck's Thriller „Das Spiel – Es geht um dein Leben“ (Juli 2020, Penguin Verlag), dann will man das Buch sofort haben!
Der Plot dreht sich um eine ekelhafte
Menschenjagd, die anonym über das Darknet organisiert wird. Jeder kann mitmachen, der eine bestimmte Geldsumme in den Jackpot einzahlt. Je mehr Jäger es gibt, desto höher ist der mögliche Gewinn.
Die Gejagten verbindet ein gemeinsames Kennzeichen: das UV-Tattoo eines Skorpions, der im Alltag unsichtbar bleibt und sich erst zeigt, wenn UV-Licht drauf fällt. Eines der Opfer ist die junge
Mavie, die ihr Tattoo im Discolicht einer Party entdeckt und nicht ahnt, in welcher Gefahr sie schwebt. Sie hält das alles noch für einen Scherz. Mavie weiß nicht, wie alle anderen gejagten Opfer
auch, dass das Zeichen sie zur Zielscheibe eines perfiden Spiels macht.
Zur gleichen Zeit übernehmen die Ermittler Inga Björk und Christian Brand den Fall einer brutal im Wald ermordeten Joggerin. Noch wissen sie nicht, dass dies erst der Anfang einer grausamen
Mordserie ist. Und dass sie nur eine Chance haben, diese zu stoppen: Sie müssen die Seiten wechseln – und das tödliche Spiel mitspielen.
So weit, so gut.
Leider hat Jan Beck eine Erzählweise gewählt, die Kapitel für Kapitel mit ständigen Ortswechseln und anderen Protagonisten, Daten und Zeitangaben arbeitet. Als Leser verliert man schnell den Überblick, es ist nicht möglich, eine Lesepause zu machen, weil man komplett den Faden verliert, wer gerade wann was und warum macht.
Aufgrund der wirren Story geht unter, dass der Krimi eigentlich ein Leckerbissen wäre für Leser, die psychisch schwer angeschlagene Mitwirkende, harte Kost, Schockmomente und Brutalität mögen. Der Schluss der Gewaltorgie bietet dann wenigstens eine Überraschung, auf die man so sicher nicht gekommen wäre.
(JT 2021)
Und da flogen sie zu den Sternen
Andreas Eschbach, einer der deutschen Top-Thriller-Autoren, schreibt mit seinem Roman „Eines Menschen Flügel“ (Sep. 2020, lübbe) einen Abenteuerroman der Extraklasse. Dafür muss man sich aber schon Zeit nehmen, denn es gibt viel zu entdecken und die Zahl der Protagonisten in dieser High Fantasy Story ist hoch und manchmal schon alleine ob ihrer Namen kaum überschaubar.
Die Idee zu diesem Buch fußt darin, dass Menschen gentechnisch so verändert werden, dass ihnen Flügel wachsen. Es wurden die menschlichen Gene mit denen des Pfeilfalken gemischt und damit eine geflügelte Rasse erschaffen. Der Traum vom Fliegen wird in diesem Buch wahr.
Etwas Mörderisches lauert unter der Erde. Der Margor, so heißt das Grauen, vernichtet alles, was den Boden berührt. Interessant ist, dass die Menschen den Margor einfach so hinnehmen, ihn nicht bekämpfen, sondern lieber ihre Kinder gentechnisch aufrüsten.
Da auf dem Boden also das Unheil lauert, leben die Menschen in den Nestbäumen. Dort wohnen sie in verschiedenen Clans zusammen.
Man liest die Abenteuer dieser geflügelten Menschen auf der Suche nach den Sternen. Noch nie nämlich haben die Menschen die Sterne gesehen. Der Himmel ist immer bedeckt, als würde sich dahinter etwas verbergen. Den Himmel, so heißt es, kann man nicht erreichen. Und wem es gelingt, der hat mit tödlichen Folgen zu rechnen. Owen, ein junger Mann, startet den Versuch, die Grenzen, die den Menschen gesteckt sind, zu überwinden, das bringt nicht nur für ihn Bedrohung, sondern auch für seine Familie und den ganzen Clan.
Lovestory mit Fellnase
Das Buch „Nalas Welt“ von Dean Nicholson (Sep. 2020, lübbe) weckt große Emotionen in den Lesern, speziell wenn sie selbst Katzenfreunde sind und sich in vielen Situationen wiedererkennen – als Dosenöffner ihrer Fellnase, bei denen man ja nie sicher ist, ob sie glauben, Menschen sind einfach nur Nacktkatzen und ihre Diener!
Als Dean von seiner Heimat Schottland aus zu einer Weltreise aufbrach, wollte er so viel wie möglich über die Erde erfahren. Er war schon eine Weile unterwegs, als er auf einem Berg zwischen Bosnien und Montenegro auf ein struppiges Kätzchen traf. Sein Verstand sagte, es sei verrückt, eine Katze mitzunehmen und zu versuchen, mit ihr um die Welt zu reisen. Wie sollte er sich um sie kümmern? Die Verantwortung wäre zu groß und seine Pläne würden komplett über den Haufen geworfen. Aber sein Herz sagte, er könne sie nicht einfach so in der Wildnis zurücklassen. Sie war so zart und verletzlich. Als sie auf seine Schulter sprang wie ein kleiner Co-Pilot, war der Deal besiegelt. Dean nahm das kleine Bündel mit, nannte es Nala, und seitdem sind die beiden unzertrennlich. Ihre Erlebnisse verbreiten sie auf TheDodo und Youtube und bezaubern so die Menschen auf der ganzen Welt.
Nala hat Dean vom ersten Moment an verändert. Sie hat ihn gelehrt, es ruhiger angehen zu lassen und die besonderen Momente zu genießen, die sie gemeinsam erleben. Es geht nicht darum, einmal um den Globus zu reisen, sondern darum, was man auf dem Weg erlebt. In gewisser Weise sieht Dean die Welt nun durch die Augen seines Katzenmädchens.
Es ist Nalas Welt – Dean lebt nur darin.
Bangkok – Oriental City
Im brodelnden Bangkok spielt „Der Jadereiter“ von John Burdett (Feb. 2020, Unionsverlag). Ein böser Fall für den einzigen nicht korrupten Polizisten von Thailand, dem schwulen Buddhisten Sonchai, der ihn persönlich hart trifft. Seine Jagd nach den Tätern gerät zu einer Reise in die eigene Vergangenheit, in die Unterwelt Bangkoks, in die berüchtigten Bordelle bis hinein in die Vorzimmer der amerikanischen Botschaft. Der Krimi liefert tiefe und atmosphärisch dichte Einblicke in den Alltag der flirrenden Metropole, in die Korruption der Polizei, in das Geschäft der bezahlten Liebe und in den Drogenhandel sowie in den organisierten Jadehandel.
Sonchai Jitpleecheep und sein Partner Pichai verfolgen einen Wagen, in dem der Marine William Bradley sitzt. Bradley, ein skrupelloser Jadehändler, arbeitet im Sicherheitsdienst der amerikanischen Botschaft. Plötzlich stoppt das Auto. Eine Schlange wickelt sich um den Hals des Marines, weitere Kobras verrichten ihre tödliche Arbeit. Bei der Bergung des Toten wird auch Pichai von einer giftigen Schlange gebissen. Mitten ins Auge. Das geht nicht gut, weiß Sonchai. Und so ist es leider auch. Sein Partner, ein Freund aus Jugendtagen, stirbt.
Sonchai folgt den Spuren des Verbrechens durch Bangkoks düstere Halbwelt.
Mörderisch gut.
Märchen sind nicht einfach nur Geschichten
Seit Jahrhunderten sind Märchen ein wichtiges
Werkzeug um Botschaften zu übermitteln - von Erwachsenen an Kinder aber auch an andere Erwachsene. Märchen sind nur an ihrer Oberfläche hübsche Geschichten mit einem stimmungsvollen Bild und
einer einprägsamen Handlung. In ihnen steckt viel mehr. Man kann von ihnen lernen und sich weiterentwickeln. Und man kann mit ihnen Dinge ausdrücken, die herkömmliche Gespräche nicht zu
vermitteln vermögen.
Das Ziel von Gabriella Mühlbauer mit ihren zauberhaften „Märchen zum Träumen und Nachdenken“ (2015) war es, Märchen zu schaffen, die zum Nachdenken anregen. Sie sind
romantisch und manchmal auch ganz schön traurig. Und dadurch auch einprägsam.
Die Geschichten eignen sich zur Lektüre und zum stillen Nachdenken, aber auch für das Gespräch mit Kindern. Kinder sind nämlich besonders empfänglich für Fantasie und es ist für sie leicht, in andere Welten einzutauchen und mit den verschiedenen Charakteren zu fühlen. Und sich vielleicht selbst in einer Figur wiederzufinden. Da Märchen eine bestimmte Lebenseinstellung und bestimmte Werte übermitteln sollen, ist es wichtig, dass der erwachsene Leser mit den Kindern über die Märchen spricht. Das kann zum Beispiel beim abendlichen Vorlesen geschehen oder während eines gemütlichen Sonntagnachmittags im Bett.
Das Märchenbuch ist online unter https://amzn.to/2WilFXX zu finden.Coverfoto © pixabay.com
(JT 2020)
Eine Nacht in Neapel
Fans von Bella Italia werden den komödiantischen Krimi „Der Fall Caruso. Ein fränkisch-neapolitanischer Krimi“ von Johannes Wilkes (Juni 2020, Ars Vivendi) rund um die Ermittler Mütze und Karl-Dieter so richtig mögen!
Die beiden sind ein Paar und machen sich von Nürnberg aus auf in die Heimatstadt Carusos, nach Neapel. Karl-Dieter liebte diesen begnadeten Tenor. Mütze musste zwar beruflich hin, denn bei einer gigantischen Explosion an der Piazza Amedeo wurde der Erlanger Ingenieur, Felix Buchinger, mitsamt seinem Auto in die Luft gejagt, aber was soll's!
Weil sie den lokalen Behörden wegen deren Verbindungen zur Camorra misstraut und sich um das Leben der jungen Witwe vor Ort sorgt, schickt die Erlanger Polizei Kommissar Mütze nämlich undercover nach Italien.
Vergeblich versucht Mütze, die Witwe, Flora Buchinger, zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen. Was hatten sie und ihr Mann überhaupt in Neapel gewollt? Nur nächtliche Fotos von Neapel für ein Buch machen? Wurde der Ingenieur etwa von seiner BND-Vergangenheit eingeholt? Die Spuren führen zurück nach Franken.
Windig! Amüsant!
Die Dunkelheit in mir
Robert Lindström hütet ein Geheimnis: In einem Wutanfall tötete er seinen besten Freund. Aber war es wirklich so? Als Elfjähriger des Mordes am gleichaltrigen Max Sander beschuldigt, wurde er angesichts seines Alters nie verurteilt. Als Erwachsener lebt er sehr zurückgezogen und ist nach wie vor in psychiatrischer Therapie.
An seinem 39. Geburtstag kontaktiert ihn Lexa Andersson. Sie ist Journalistin und schreibt ein Buch über den Fall. Ihre Theorie: Robert ist unschuldig. Zur gleichen Zeit wird die Leiche des jungen Mädchens Olinda Sikonova, 11 Jahre alt, gefunden. In jenem Stockholmer Vorort, in dem Robert aufwuchs. Und in dem er mit Lexa den Ereignissen von damals nachgeht. Lexa wird von einem Unbekannten bedroht, die Recherchen einzustellen. Das kann doch alles kein Zufall sein? Angeblich kann Robert sich nicht an die Vorfälle von damals vor 28 Jahren erinnern.
Hauptkommissar Carl Edson von der Reichsmordkommission leitet die Ermittlungen im neuen Fall. Seltsame Zwischenfälle führen ihn immer näher heran an die Wahrheit über Robert.
Der Thriller „Spiele“ von Bo Svernström (Aug. 2020, rororo) verläuft in zwei Zeitebenen und man ist sich nicht sicher, ob der Herr Lindström mit seinen Gedächtnislücken etwas bewusst verschweigt, beschönigt oder vertuscht. Das macht die Spannung aus! Man will die Lösung einfach wissen.
Wer ist der Täter, wer ist das Opfer?
Eine Kleinstadt jagt einen Serienmörder. Darauf
könnte man den Thriller „55 – Jedes Opfer zählt“ von James Delargy (Okt. 2020, Heyne) runterbrechen.
Wilbrook, eine Kleinstadt im australischen Outback mit 1.000 Einwohnern, bedeutet glühende Hitze und raue Wildnis. Police Sergeant Chandler Jenkins ist stolz darauf, gemeinsam mit seiner
Stellvertreterin Tanya und 3 Kollegen für Ruhe und Sicherheit zu sorgen.
Bis eines Tages ein blutüberströmter Mann mit Fesselspuren im Revier auftaucht. Außer Atem. Gabriel Johnson erzählt von einem Serienmörder namens Heath, dem er entkommen sei. Chandler bringt den Fremden zu seiner Sicherheit in einem Hotel unter.
Doch bevor er sich auf die Suche nach dem Mörder machen kann, wird er zurück ins Revier gerufen: Ein Mann ist dort aufgetaucht, der sich Heath Barwell nennt. Außer Atem. Blutbefleckt. Er erzählt von einem Serienmörder, dem er entkommen sei ...
Angeblich geht es um bereits 54 Opfer, daher ruft Chandler nach Verstärkung und bekommt seinen ehemals besten Freund, jetzt besten Feind, Mitch Andrews vor die Nase gesetzt.
Mitch ist ein arroganter Unsympathler, ein
Karrierist, der auf seinen Vorteil bedacht ist. In Auszügen erzählt Delargy die Geschichte von Chandler und Mitch, bei der es auch um eine Frau geht.
Die Story ist sehr sehr spannend. Wer ist der Böse? Wer ist der Gute? Gabriel? Heath? Mitch? Chandler?
Einst gab es Lila und Lenù, jetzt folgen wir Giovanna!
Elena Ferrante hat es wieder getan! Einen Roman über ein junges Mädchen, das in Neapel lebt, zu schreiben.„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ (Aug. 2020, Suhrkamp) führt die Leser nach Neapel in den 1990iger Jahren. Hier lebt Giovanna, dreizehn Jahre alt, eine Vorzeigetochter der bürgerlichen Mittelschicht, eine strebsame Schülerin. Sie liebt ihren Vater, der sie allerdings hässlich findet, wie ihre ihr fremde Tante Vittoria. Die unbedachte Äußerung hört sie zufällig und damit gerät ihr Selbstbild ins Wanken. Sie sucht Kontakt zur schillernden Vittoria, die in ihrer Familie als Monster gilt, und entdeckt die verstörende Vorgeschichte ihres Herrn Papa und als sie auch noch merkt, dass ein Freund der Familie ihrer Mutter Avancen macht, bricht ihre Welt ob des elterlichen Lügengebäudes zusammen. Sie erfährt, das niemand makellos ist. Wem kann sie trauen und was soll ihr Halt geben in dieser verlogenen Welt der Erwachsenen?
Ferrante erzählt vielschichtig über den Verfall einer Familie, über die Heucheleien der Erwachsenen, die Verwirrungen und Spannungen der Jugendzeit und über das Drama der Pubertät, wenn ein behütetes Mädchen zur Frau wird. Über Intrigen, Freundschaften, Feindschaften und Liebschaften – und über das Ende der kindlichen Unschuld.Wie immer ein Meisterwerk. Wobei – den manchmal zähen Stil der Autorin muss man mögen, Männer gehören meist nicht dazu!
(JT 2020)
Ein Krimi zum Zerkugeln
Joe R. Lansdale hat mit der Hap & Leonard-Reihe eine Krimiserie geschrieben, die ihresgleichen sucht. Witzig, schräg und voller Absurditäten!
Die beiden immer ein wenig vom Pech verfolgten,
unkonventionellen, völlig unterschiedlichen und sich doch ähnlichen Freunde Leonard Pine und Hap Collins müssen bei „Mucho Mojo“ (Juni 2019, Golkonda Verlag) wieder ran zum Ermitteln - und
man muss sie einfach mögen, sind sie doch wirklich coole Typen.
Diesmal lässt der Autor seine beiden Protagonisten der Frage nachgehen, was schlimmer ist - das vermüllte und verwahrloste Haus von Chester, dem Onkel von Leonard, im Schwarzenbezirk von LaBorde
in Texas zu erben, mitsamt Kinderleiche im Keller, die Hap und Leonard beim Aufräumen finden, oder Nachbarn, die dümmliche Drogendealer sind?
Die Entdeckung des kleinen Skeletts lässt den Männern natürlich keine Ruhe, und sie suchen nach den Hintergründen.
Bei Lansdale finden sich neben Amüsantem aber auch ernste Themen wie Rassismus, Homosexualität und sonstige Vorurteile und Diskriminierungen.
Glück und Erfolg sind kein Zufall
Was unterscheidet glückliche, erfolgreiche Menschen von anderen? Dieser Frage geht Gabriele Wimmler, Mentaltrainerin und Expertin für Persönlichkeitsentwicklung, in ihrem Buch „Weil ich alles sein kann, was ich will“ (Juni 2020, Goldegg Verlag) nach und erzählt darin vom Schlüssel zu mehr Selbstvertrauen, Lebensfreude und Erfolg.
Mithilfe anschaulicher Übungen und Praxisbeispielen aus ihrer eigenen Lebensgeschichte zeigt die Autorin, wie es gelingt, sein Potential voll auszuschöpfen und durch mehr Selbstbewusstsein und
-bestimmung zu mehr Eigenmotivation und -verantwortung zu gelangen.
Ein Mutmach-Buch, das Lust auf Leistung machen will, denn glückliche, selbstbewusste Menschen mit der ‚Ich-schaffe-das’-Mentalität glauben daran, alles erreichen zu können, was sie wollen.
Warum öffnet sich für manche die Tür, während sie für andere verschlossen bleibt? Glück und Erfolg sind aktive Entscheidungen, kein Produkt des Zufalls. Wir haben die Wahl, ob wir in der Opferrolle verharren oder ob wir bereit sind, die Verantwortung für ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben zu übernehmen. Wir selbst sind der wichtigste Mensch in unserem Leben – nur wir selbst sind für unser Glück zuständig!
Es braucht Mut zur Veränderung. Der Weg beginnt bei Eigenverantwortung, einem gesunden Selbstwert beim Glauben an die eigenen Stärken und bei der Suche nach dem, was uns begeistert. Denn wenn wir an uns selbst glauben, glauben auch andere an uns. Wenn wir von dem begeistert sind, was wir tun, können wir auch andere begeistern.
Erfolgreiche und anhaltende Persönlichkeitsentwicklung führt – ob im Beruf oder im Alltag – zu nachhaltigem Erfolg.
Was geschah wirklich mit Anna
Venz?
In der Nacht zu ihrem 18. Geburtstag im Jahre 1997 wird Anna Venz ermordet. Ihre Leiche wird im Moor gefunden. Der Täter, der sogenannte Moorkiller, ist noch immer auf freiem Fuß. 22 Jahre später
wird Annas Tod in der Reportage „Mörder im Visier“ aufgearbeitet und löst bei Anna's Eltern und bei Elisabeth, deren Tochter Anna's beste Freundin war, ein tödliches Chaos sondergleichen
aus.
Roman Klementovic gelingt mit „Wenn das Licht gefriert“ (Sep. 2020, Gmeiner-Verlag) wieder ein Thriller, der seinesgleichen sucht. Der Autor ist ein Meister seines Fachs und führt den Leser gekonnt auf falsche Spuren um ihn am Ende mit offenem Mund dastehen zu lassen!
Seit 40 Jahren schon ist Elisabeth mit
Friedrich verheiratet. Auch seine Alzheimererkrankung, die ihn viel zu jung heimgesucht hat, kann ihre Liebe nicht erschüttern. Während des TV-Beitrags über den ungeklärten Mord ist er sehr
aufgeregt und macht verstörende Bemerkungen. Er erwähnt Details, die er eigentlich so gar nicht kennen dürfte. In Elisabeth regt sich ein schlimmer Verdacht, sie stellt schließlich
Nachforschungen an und bringt sich dabei selbst in größte Gefahr.
Sie verdächtigt alle und niemanden. Hat etwa Norbert, Friedrich's Bruder Dreck am Stecken, was treiben eigentlich die Eltern Venz nächtens und was haben Valerie und Philipp, ihre Kinder, zu
verbergen? Außerdem treibt ein geheimnisvoller Frauenschläger sein Unwesen, Elisabeth selbst und dann Sarah, ihre Schwiegertochter, werden zu Opfern.
Elisabeth verheddert sich immer mehr in einem Lügengespinst, das um sie gezogen wurde, und weiß nicht, wem sie noch vertrauen kann.
Klementovic-Kenner wissen es: niemand ist frei von Schuld!
Herrlich dunkle Geschichten
Simon Beckett ist wohl einer der erfolgreichsten englischen ThrillerAutoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter lieferte mehrere Bestseller wie zum Beispiel „Die Chemie des Todes“ oder „Kalte Asche“, ebenso wie sein atmosphärischer Psychothriller "Der Hof".
Exklusiv auf dem deutschsprachigen Buchmarkt sind nun drei Krimi-Kurzgeschichten von Beckett erhältlich: „Versteckt. Dunkle Geschichten“ (Okt. 2020, Wunderlich). Der Corona-Lockdown hat dem Autor Zeit und Motivation beschert, diese alten, von ihm versteckten Geschichten endlich ans Tageslicht zu holen. Wie man sich vorstellen kann, sind sie unglaublich gute Kleinode!
„Der Eckpfeiler“ beschreibt das Geheimnis eines Sommers, das die Gegenwart von Alex plötzlich überschattet, als seine Kindheitsfreundin Kelly Halliday Selbstmord begeht und er ihr einziger Erbe ist.
Ein Banküberfall mit fatalen Folgen für alle Beteiligten wird in „Ein kurzer Bericht“ genial abgehandelt - in wirklich aller Kürze.
Terry, ein dicklicher Junge, der sich verlaufen hat und Zuflucht auf der heruntergekommenen Farm von Mrs. Perrin findet, die ihn mit köstlichen Leckereien verwöhnt, erlebt binnen Tagen einen Albtraum in „Mutter Gans“.
Drei dunkle Geschichten, die so spannend sind, wie nur Simon Beckett sie schreiben kann.
Eigentlich will man mehr davon!
(JT 2020)
Das Alter voller Ernst und Humor
Jeder möchte gerne
alt werden, aber kaum einer möchte gerne alt sein. Der körperliche Zustand verschlechtert sich, damit häufig auch das Wohlbefinden, das Gedächtnis
schwächelt ebenso wie das Bindegewebe, Stichwort schwabbelige Arme, und der Blick in den Spiegel wird zu einem Moment der Wahrheit in Richtung Gesichtsfalten, die doch vor der Augenoperation gar
nicht dort waren.
Die amerikanisch-jüdische Kultautorin Lily Brett erzählt in ihrer unverwechselbaren schwarzhumorigen Art in „Alt sind nur die anderen“ (Juli 2020, Suhrkamp) von Begebenheiten ihres Alltags in New York, davon, wie sie wildfremden Menschen
auf der Straße zuwinkt, weil sie sie mit ihrem Mann verwechselt, wie sie Zeugin eines SpeedDatings für Senioren wird und über die Anschaffung eines Dreirads für Erwachsene nachdenkt, von
peinlichen Arztbesuchen und von Apple-Mitarbeitern, die sich ihr nur im Doppelpack gewachsen fühlen und sie wie eine Dreijährige behandeln beim Erklären des iPads.
Erfrischend, höchst komisch und liebevoll wirft sie einen schonungslosen Blick auf ihr eigenes Altern – und macht – vom Ehrgeiz der Jugend befreit - es dem Leser leicht, sein eigenes Alter mit Humor zu sehen. Nebenbei porträtiert sie auch noch ihre Stadt New York. So manche Tragödie des Älterwerdens wird bei Brett zur Komödie!
Mit dem Alter kommt eine gewisse Heiterkeit, die einem ganze stressfreie Tage mit planlosem Bummeln verbringen lässt. Schlecht?!
Bösartige Fantasien
Alex North schreibt mit „Der Schattenmörder“ (Aug. 2020, blanvalet) einen Roman, der Thriller und Gruselgeschichte zugleich ist, dessen Erzählung trotz des interessanten Plots aber nicht so wirklich zu packen versteht.
Paul kommt nach 25 Jahren in seinen Heimatort Gritten zurück, weil seine Mutter im Sterben liegt. Gritten hat er nach einem grausamen Mord an einer Mitschülerin, in die er verliebt war, verlassen. Zwei Schulfreunde von ihm hatten das Mädchen getötet, einer wurde verhaftet, einer, Charlie Crabtree, ist seitdem verschwunden.
Niemals hat Paul den Tag vergessen, an dem er Charlie Crabtree in der Schule zum ersten Mal begegnete. Jenen Charlie mit dem überlegenen Lächeln und den dunklen Fantasien, mit denen er alle in seinen Bann zog. Er zwingt Paul und die anderen Jungs, luzides Träumen zu trainieren um seine Bösartigkeiten auszuleben. Paul kann sich gerade noch rechtzeitig aus seinen manipulativen Fängen befreien - er hat es zwar befürchtet, aber nicht damit gerechnet, dass Charlie seine Vorstellungen verwirklichen könnte. In Internet-Foren sorgt die Tat als Vorbild für ähnlich grausige Morde mit Charlies Visitenkarte: blutrote Handabdrücke am Tatort. Detective Amanda Beck führt hier die Ermittlungen.
Gleich nach Pauls Ankunft in Gritten passieren seltsame Dinge. Seine schwer demente Mutter behauptet, jemand sei in ihrem Haus gewesen, und als Paul den Dachboden betritt, findet er alles übersät mit blutig-roten Handabdrücken. In der Stadt bemerkt Paul, dass ihn jemand verfolgt, und er beginnt sich zu fragen: Was geschah damals mit Charlie Crabtree am Tag des Mordes? Und weil man das endlich wissen will, bleibt man an den Gruselmomenten dran.
Diese unendliche Sehnsucht nach Glück im
Leben
„Queenie“ (Aug. 2020, Blumenbar/Aufbau Verlage), das Buch von Candice Carty-Williams, MUSS man in Zeiten wie diesen, wo der Rassismus wieder einmal fröhliche Urständ feiert,
unbedingt lesen.
Queenie ist eine intelligente junge schwarze Frau mit jamaikanischen Wurzeln, sie hat studiert, arbeitet in einer Londoner Zeitungsredaktion und hätte eigentlich gute Chancen, die Karriereleiter raufzuklettern, doch sie verplempert ihre Zeit selbstzerstörerisch damit, sich nach dem Beziehungsaus mit ihrem weißen Boyfriend Tom mit Männern zu treffen, die keinen Hehl daraus machen, dass sie nur an Sex interessiert sind.
Dabei sollte sie sich jenen Themen widmen, die ihr wichtig sind: Black Lives Matter, Feminismus, seelische Gesundheit – aber sie ist traurig und hat Liebeskummer. Eigentlich weiß sie mit ihrer neuen Freiheit nichts anzufangen. Und erkennt nur langsam, als schließlich nach und nach ihr Leben zerbricht, dass sie Hilfe braucht, schleppt sie doch einen Rucksack voller Probleme seit ihrer Kindheit mit sich herum.
Cary-Williams schreibt die tragikomische
Geschichte der unbedarften Queenie auf ihrem Weg ins eigene Unglück, die manche vielleicht ganz entfernt an Bridget Jones erinnern wird, voll Witz und Weisheit.
Zurecht ausgezeichnet als bestes Buch und bestes Debüt des Jahres bei den British Book Awards!
Das Böse lauert in der Laufenstraße
Udo Rauchfleisch beweist mit „Mord unter lauter netten Leuten“ (Juli 2017, Himmelstürmer Verlag), dass er es hervorragend beherrscht, Krimis im schwulen Milieu zu schreiben.
Die Laufenstraße in Basel ist eine ruhige Seitenstraße, trotzdem kommt es zu einem tödlichen Unfall.
Herr Karl Schiesser wird von einem Lastwagen überfahren, was die Lehrerin und Nachbarin, Frau Adelheid Feiner, komplett aus dem Häuschen bringt. Sie erzählt Urs Braun, einem Psychologieasstenten in einer Ehe- und Familienberatungsstelle, von ihrem Verdacht, dass der unheimliche Hausmeister, Heinrich Schulte, Herrn Schiesser wahrscheinlich ermordet hat, hat er ihr doch prophezeit, dass ein Mord geplant ist und jeder das Opfer sein könnte.
Urs vertraut sich seinem Chef, Walter Steiner, an. Und so wird der Unfall ein Fall für den schwulen Basler Kommissar, Jürgen Schneider. Privat ist der zurzeit sehr glücklich, weil er mit seinem Partner Mario Rossi und einem Lesbenpaar erfolgreich eine Regenbogenfamilie gründen konnte.
Jetzt steht er vor der verzwickten Frage, ob ein älterer Mann Opfer eines banalen Verkehrsunfalls oder eines Mords ist. Der unsympathische Hausmeister prophezeit weitere Morde und versetzt die Hausbewohner dadurch in Angst und Schrecken.
Als eines Morgens eine der Mieterinnen erstochen in ihrer Wohnung liegt, ist klar, dass hier ein Mörder umgeht. Weitere Mieter berichten von Mordversuchen, denen sie nur mit Glück entgangen seien. Was ist nur los bei diesen harmlos wirkenden Leuten? Jeder scheint ein Motiv für die Morde und Mordversuche zu haben.
Wie Schneider das Rätsel löst, verraten wir hier nicht!
(JT 2020)
Sex & Crime ohne Tabu
Der Autor Marc Förster schreibt Romane und Kurzgeschichten aus allen Genres schwuler Literatur. Seine erotischen Bücher sind tabulos und er formuliert, was Sache ist!
Sein neuestes Werk „Action nach Drehschluss“ (Mai 2020, Himmelstürmer Verlag) entführt die Leser in die Filmbranche.
Sven hat sich schon vor Jahren aus seinem Dorf Richtung Köln verabschiedet und ist dort im Medienbereich tätig. Als er nun in der Heimat kurz zurück ist und im Dorfzelt mit Jörg quatscht, ahnt er noch nichts davon, wie sehr ihn Tino, Jörgs Cousin, anhimmelt.
Tino hat voll Bock auf Film und City. Er steht
schon seit Jahren auf Sven, quatscht ihn an und bekommt eine Einladung nach Köln und gleich einen Ferienjob.
Vom aufregenden Leben in der Filmbranche ist der Youngster schnell begeistert und die Kölner ihrerseits von dem Schnuckel. Svens Chef Bernd, der Produktionsleiter eines neuen Gay Films, der in
den Bergen gedreht werden soll, will Tino zu den Dreharbeiten mitnehmen.
Kurz vor Drehbeginn ist fast die ganze Crew auf einer Party beim Produzenten Armin eingeladen. Noch während Tino mit einem der Schauspieler flirtet, kommt es zu einem Aufschrei im Garten. Bernd
liegt tot im Pool. Er wurde vergiftet, wie die Kripo feststellt. Dennoch will Armin, dass der Film gedreht wird – mit Sven als neuen Teamchef.
Während tagsüber die Dreharbeiten am Wilden Kaiser in Tirol laufen, genießt Tino die Abende in einer Gay Pension bei so manchem geilen Abenteuer. Der Mord an Bernd lässt ihm aber keine Ruhe,
besonders nachdem sein Schwarm Sven durch die Ermittlungen der Polizei rund um Kommissar Günter Berger unter Verdacht gerät. Tino will den Mörder auf eigene Faust finden, obwohl er ein bisschen
angepisst ist, weil sich Sven statt mit ihm mit dem blonden Oli vergnügt. Es scheint immer klarer, dass Bernds Mörder im Team zu finden ist, wem kann Tino also trauen?
Da tritt auch noch Arian, Svens Nachbar und Lover, auf die Bildfläche. Und Tino verknallt sich auch in ihn.
Förster's Roman bietet Gay-Sex, Spannung und Action!
Hintergründig
Mercedes Rosende schreibt mit „Falsche Ursula“ (Feb. 2020, Unionsverlag) einen Kriminalroman, bei dem man sich nicht gleich entscheiden kann, ob er einem gefällt oder nicht.
Am Ende weiß man dann, dass die Autorin aus Montevideo, Uruguay, wo auch ihr Buch spielt, mit ihrem bissigem Humor und einer feinen ironischen Klinge zum Amusement verführt hat!
Die Hauptfigur Ursula Lopéz – sie ist
Übersetzerin - ist mit sich sehr unzufrieden, ist sie doch zu fett, zu hässlich, zu hungrig, zu allein – ihr Leben läuft überhaupt nicht so, wie sie es gern hätte, wie zum Beispiel jenes ihrer
Schwester Luz, die ist schöner, glücklicher und reicher. Das Dasein mit einer ewigen Gemüsesuppen-Diät und Weight-Watchers-Treffen, zu denen sie sich ohne Erfolgt hinschleppt, und den scheelen
Blicken der Mitmenschen ob ihres Übergewichts nervt. Auch ihr Vater und sein Gspusi, die eigentlich ihre Tante Irene war, haben ihr schon zu Lebzeiten den letzten Nerv gezogen.
Da kommt ihr ein mysteriöser Erpresseranruf eigentlich ganz gelegen: Man habe ihren Ehemann Santiago Losada entführt und fordert eine Million Lösegeld. Nur: Ursula hat gar keinen Ehemann. Doch
ihr unstillbarer Hunger auf das Leben der anderen verbietet ihr, die Verwechslung mit Losadas richtiger Ex-Frau, die eben auch Ursula Lopéz heißt, aufzudecken. Sie entdeckt ihr kriminalistisches
Talent, das sie in ein abstruses Abenteuer führt. Ursula ist in ihrer herrlich zynischen Art skrupellos und versucht den unglücklichen und mehr als vertrottelten Kidnapper
auszutricksen.
Die unerwartete Wendung, zu der es
schlussendlich kommt, hat man so nicht erwartet!
Das Buch macht mehr Spaß, als man anfangs glauben will!
Süchtigmacher
Colleen Hoover schreibt mit „Verity“ (März 2020, dtv) einen faszinierenden RomantikThriller. Sie kennen das sicher: Sie beginnen ein Buch und können es einfach nicht mehr aus der Hand legen! So ist das mit diesem spannenden, Herzklopfen garantierenden Pageturner.
Lowen Ashleigh, eine junge Autorin, bekommt ein Angebot, das sie unmöglich ablehnen kann: Sie soll die gefeierten Psychothriller der Starautorin Verity Crawford zu Ende schreiben. Crawford ist seit einem Autounfall, der unmittelbar auf den Tod ihrer beidenTöchter folgte, nicht mehr ansprechbar und ein Pflegefall. Lowen akzeptiert – auch, weil sie sich zu Veritys Ehemann Jeremy hingezogen fühlt.
Während ihrer Recherchen im Haus der Crawfords findet sie Veritys Tagebuch und darin offenbaren sich so manche Schrecklichkeiten.
Lowen stellen sich viele Fragen: schreibt Verity die Wahrheit oder doch nur wieder einen fiktiven Roman?
Wie sie, ist auch der Leser verstört, schockiert, emotional und will dem Geheimnis auf die Spur kommen. Der packende PsychoThriller bietet so manche Wendung. Das Ende ist dann unerwartet. Aber wir sagen nichts dazu, das wäre ein Spoiler!
Rache ist süß
Camilla Läckberg ist die Königin des schwedischen Kriminalromans. „No Mercy. Rache ist weiblich“ (Mai 2020, List) ist ihr neuer Roman, eigentlich eine knapp erzählte Kurzgeschichte.
Es geht um drei Frauen, drei Schicksale. Ingrid Steen wird von ihrem Mann betrogen. Aufgrund eines Ehevertrages ginge sie im Falle einer Scheidung leer aus. Die Lehrerin Birgitta Nilsson wird von ihrem Mann misshandelt. Ihre Söhne begegnen ihr mit Gleichgültigkeit und merken nichts von den jahrelangen Misshandlungen. Viktoria Brunberg wurde von ihrem Mann aus Russland importiert und von ihm ans Haus gefesselt. Als gekaufte Frau ist sie nur dazu da, seine Bedürfnisse, sei es Essen oder Sex, zu befriedigen.
Keine von ihnen sieht einen Ausweg. Als sie in
einem Internetforum aufeinandertreffen, erkennen sie, dass die Lösung zum Greifen nahe liegt. Sie schmieden einen teuflischen Plan, der sie alle befreien soll.
Ihre perfiden Pläne sind nicht immer durchschaubar, weil Läckberg die durchaus spannende Geschichte nicht ganz ausschreibt. Es ist nichts, wie es scheint. Erzählt wird jeweils aus der Sicht
von Ingrid, Birgitta und Viktoria und es gibt Wendungen bis zum Ende.
Männer zieht euch warm an, wenn Frauen Rache üben!
(JT 2020)
In München geht’s drunter und drüber
Marc H. Muelle kennt München und die schwule Szene wie seine Westentasche und er scheut sich nicht, auch die nicht so schönen Seiten der Community zu zeigen. „Wer hat den Alten kalt gemacht Oder: Der Kampf gegen den Kindermarkt“ (März 2020, Himmelstürmer Verlag) bietet eine spannende Unterhaltung mit deftiger Sprache, nicht nur für die Gay-Szene.
Der Münchner Medienmogul Theo Kapell wird umgebracht und die Polizei – Wolfhardt Zoeger und Karl Ziegler von der Kripo - macht es sich verdächtig einfach bei der Aufklärung des Falls. Das lässt den schwulen Druckerei-Chef Joseph „Sepp“ Upphoff nicht kalt, denn ausgerechnet sein Partner Christian „Chris“, ein Steuerberater, der nur inoffiziell schwul ist, ist der Hauptverdächtige. Wo der eifersüchtige Sepp doch vermutete, dass Chris ihn mit „Peka“, dem Unternehmensberater Peter Kapell, dem Sohn des Opfers, betrogen hatte.
Zusammen mit seinen schwulen und lesbischen Freunden macht Sepp das, was die Kripo anscheinend nicht will: die Feinde des Alten suchen. Jedoch finden sie keine wirkliche Lösung für den Mord an Theo Kapell. Es gibt nur Ungereimtheiten.
Unappetitlicherweise ergibt sich im Buch eine Vermischung mit der pädophilen Szene. Und schließlich kommt die Polizei doch noch in die Gänge, als die internationale Pädophile einen Kindermarkt veranstaltet. Das Finale findet seinen Höhepunkt im Münchner Christopher Street Day.
Das Buch liest sich superrasant, wer Namensmerkprobleme hat, tut sich ob der vielen Personen, die da mitspielen, vielleicht schwer, wird aber belohnt mit viel Humor zwischen Trachtenopas, Tatterichs und Sabberleichen!
Farbangriff aus Frankreich
Mariam Kühsel-Hussaini's Roman „Tschudi“ (März 2020, Rowohlt) ist ein Meisterwerk so wie die malerischen Meisterwerke, um die es im Buch geht. Es ist ein sehr starkes Buch mit unbekannten Wortkombinationen, an das man sich trotz seiner Eigenwilligkeit schnell gewöhnt und nicht mehr aus der Hand legen kann. Voraussetzung: man ist lese- und kunstaffin und will sich auf das Thema einlassen!
Die Nationalgalerie Deutschlands erwirbt und zeigt als erstes Museum der Welt 1896 die Pariser Moderne: Manet, Monet, Renoir, Rodin. Ein Mann unternimmt das Wagnis, den Impressionismus nach Berlin zu bringen - Hugo von Tschudi.
Tschudi ist ein imposanter, immer wieder als lässig beschriebener Mann, mit brennenden dunklen Augen, unübersehbar, schwerst krank und schlimm anzuschauen, leidet er doch an der sogenannten Wolfskrankheit, der Autoimmunerkrankung Lupus, die sein Gesicht unaufhaltbar zerfrisst. Da er sich selbst nicht mehr ertragen kann im Spiegel und von den Nichtwissenden als ekeliges Monster bezeichnet wird, lässt er sich eine Gesichtsmaske anfertigen, hinter der er seinen Schmerz verbirgt, den körperlichen und den seelischen.
Die Schriftstellerin erzählt in einer
opulenten, virtuosen, florientalen Sprache, abwechselnd auch in Berlinerisch, über die Streitigkeiten, die Tschudi mit dem konservativen deutschen Kaiser Wilhelm II., der selbst mit seiner
körperlichen Unzulänglichkeit, einem missgebildeten Arm, kämpft, und den angeblich so modernen deutschen Malern wie Anton von Werner ausficht.
Großindustrielle, Geldgeber, Politiker oder Künstler wie Max Liebermann unterstützen den Visionär Tschudi bei seinen Französeleien, seiner Kunstwilderei. Aber Berlin ist nicht wirklich bereit für
die Moderne, für deren Farben und Licht. Tschudis Gegner sind entsetzt und sammeln sich zum Angriff gegen die Bilder jüdischer Ausländer und gegen ihn. Nationalistische, rassistische und
antisemitische Parolen werden immer lauter. Die Kritiker formieren sich.
Kühsel-Hussaini gelingt die Studie dieser interessanten Epoche in Berlin hervorragend.
Heiß ist es in Venedig
Passend zum Titel „Geheime Quellen. Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall“ (Mai 2020, Diogenes) lässt Donna Leon diesmal das Geschehen in ihrem Venedig-Krimi rund um Umweltschutz und Umweltverschmutzung dahin plätschern. Wie meist geht es um Bestechung, korrupte Politiker und Beamte, marode Wirtschaft, dunkle Machenschaften. Wenn auch diesmal vielleicht nicht ganz so aufregend!
Guido Brunetti und Claudia Griffoni stehen auf
einer Brücke und schauen zu, wie ein Teil der Wasserstraßen vom Schlamm des Bodens und sonstigem Dreck befreit wird. Sie sind auf dem Weg ins Ospedale Fatebenefratelli. Die Patientin Benedetta
Toso liegt dort im Sterben. Die Questura wurde verständigt, dass sie nicht mit einem Pfarrer, sondern mit der Polizei sprechen wollte. In ihren noch jungen Jahren hat sie der Krebs im Würgegriff.
Sie hat kürzlich ihren Mann Vittorio Fadalto - er war für die Wasserqualität in der Lagunenstadt verantwortlich - bei einem Motorradunfall verloren. Alle glauben an einen Unfall, sie nicht. Das
ist auch der Grund warum sie die beiden Ermittler kommen lässt. Mit stark geschwächter Stimme kann sie noch „schlechtes Geld“ herauspressen.
Signorina Elettra findet heraus, dass Signora Toso erst in einer teuren Privatklinik lag, aber die finanziellen Reserven der Familie bald aufgebraucht waren. Und Vittorio, der durch die Krankheit
seiner Frau sehr angespannt war, hatte Ärger mit Kollegen und Vorgesetzten. Brunetti weiß bald, dass der Tod Vittorios nicht natürlich war und dass dies mit der Arbeit des Opfers in Zusammenhang
steht. Es geht um brisante Betrügereien bei der Qualitätsüberprüfung des Trinkwassers. Wobei: auch Vittorio ist kein unbeschriebenes Blatt.
Wenn wir zurzeit nicht nach Venedig kommen coronabedingt, dann holen wir uns die Serenissima eben nach Hause! Mit Leon's Brunetti können wir das sowieso verlässlich jeden Sommer aufs Neue tun.
Und auch diesmal ist es in der Lagunenstadt so richtig heiß!
Niemals frei
Als zuerst die bildhübsche Carly May und später dann die außergewöhnliche Lois in das Auto eines Fremden steigen, fühlt sich zunächst alles wie ein großes Abenteuer für die beiden Zwölfjährigen
an. Endlich gibt ihnen jemand das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Zuhause haben sie das nicht. Beide fühlen sich von ihren Familien unverstanden. Sind Außenseiter. Der Mann, Zed, bringt
die beiden in eine abgelegene Waldhütte und lässt sie nicht aus den Augen. Langsam dämmert den Mädchen, dass noch etwas Schreckliches geschehen wird in diesem langen Sommer, den sie nie vergessen
werden. Von der Außenwelt werden sie nach fast zwei Monaten ihres Verschwindens für tot gehalten. Nach ihrer Befreiung werden sie von den Eltern gezwungen, sich aus den Augen zu verlieren um die
Entführung besser verarbeiten zu können.
Maggie Mitchell schreibt mit „The
other Girl. Du kannst niemals ganz entkommen“ (2016, List) einen wirklich guten Entführungs-Roman. Krimis über entführte Kids gibt es ja viele, aber der ist einfach anders!
Zwei Jahrzehnte nach ihrer Freilassung ist Lois Lonsdale Anglistikdozentin und Autorin - unter dem Pseudonym Lucy Ledger schreibt sie den Thriller „Der Wald so still“ und verarbeitet darin die
Entführung. Sie wird von einem unangenehmen Studenten, Sean, gestalkt, der etwas über ihre Vergangenheit wissen dürfte.
Carly May Smith schlägt sich als mehr oder minder erfolglose Schauspielerin Chloe Savage durch. Ein Drehbuch, das die Geschichte der beiden Frauen erzählt, bringt sie wieder mit Lois zusammen. Ihre Geschichte ist noch nicht vorbei. Sie ist nie vorbei. Auch wenn sie beide unabhängig voneinander niemals Fremden gegenüber etwas von ihrer gemeinsamen Vergangenheit erzählen würden.
(JT 2020)
Bist Du es oder bist Du es nicht?
Vor sieben Jahren ist der reiche und zurückgezogen lebende Geschäftsmann Philipp Petersen während einer Südamerikareise in Kolumbien spurlos verschwunden. Seither zieht seine Frau Sarah den gemeinsamen Sohn alleine groß.
Doch dann erhält Sarah wie aus heiterem Himmel die Nachricht, dass Philipp am Leben ist. Die Rückkehr des vermeintlichen Entführungsopfers löst ein gewaltiges Medieninteresse aus. Sarah war gerade dabei, sich von der Vergangenheit zu lösen. Ihr Ehemann taucht zur Unzeit auf.
Sie ist auf alles vorbereitet, nur auf das eine nicht: Der Mann, der aus dem Flugzeug steigt, ist nicht ihr Ehemann. Sie und nur sie erkennt, dass der Mann am Flughafen ein Fremder ist, nicht ihr so vorbehaltlos geliebter, regelrecht glorifizierter Partner. Der Fremde droht Sarah: Wenn sie ihn bloßstelle, werde sie alles verlieren.
Melanie Raabe beschreibt mit „Die Wahrheit“ (Aug. 2016, btb) ein Bild der Angst und die Abgründe, die sich in Menschen so ansammeln während eines Lebens.
Sarah lässt sie jedoch ein bisschen zu sehr outrieren, ständig ist ihr heiß, hat sie Herzklopfen, ist schlaflos, wütend, hysterisch, melodramatisch. Und muss sich - vom fremden Mann gezwungen - an einen schweren Unfall erinnern, der zum Mord stilisiert wird.
Ein intensiver Plot, den man schnell liest, weil man auf die Auflösung gespannt ist!
Die Außerirdischen werden dich holen!
„Tödliche Gefahr aus dem All“ von Udo
Rauchfleisch (Februar 2020, Himmelstürmer Verlag) ist bereits der fünfte Fall von Jürgen Schneider, dem schwulen Kriminalkommissar bei der Mordkommission Basel. Und der, eingebettet in einem
Wirrwarr von Verschwörungstheorien und Esoterik, fordert ihm so einiges ab.
Eine ältere Frau wird von Anita Meister bei ihrem Morgenspaziergang ermordet im Margarethenpark in Basel aufgefunden. Die Tote ist die Transfrau Annegret Peter, Partnerin von Franziska Braun. Die
wiederum ist die Tante von Urs Braun, einem Psychologen in der Ehe- und Familienberatungsstelle, die ihren Neffen schon vom Verschwinden von Annegret unterrichtet hat.
Franziska und die anderen Mitglieder eines esoterischen Zirkels sind überzeugt, dass die Tote Opfer der Außerirdischen geworden ist, die Menschen entführen, sich ihrer Organe bedienen und die Leichen dann fortwerfen.
Jürgen Schneider und Bernhard Mall, sein Mitarbeiter, sind zwar sicher, dass sie es mit einem menschlichen Täter zu tun haben, haben jedoch Mühe, sich im heillosen Gewirr von esoterischen Ideen zurechtzufinden und mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität zu bleiben.
Immerhin bietet das Leben Schneider in seiner Regenbogenfamilie mit seinem Partner Mario Rossi und dem neunjährigen Sohn Antonio für den Kommissar eine willkommene Ablenkung von der schwierigen Ermittlungsarbeit.
Als wenig später ein Transjunge tot aufgefunden wird, stellt sich aber die Frage, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Morden gibt? Die minutiöse Ermittlungsarbeit in diesen turbulenten Fällen führt Jürgen Schneider auf die Spur möglicher Täter, bis er das Rätsel um die Morde schließlich lösen kann.
Udo Rauchfleisch ist ein exzellenter Autor, was die Themen Homosexualität und Transsexualität/ Transidentität betrifft. Seine Bücher sind immer eine besondere Empfehlung für die LGBTI-Szene, aber auch für alle Heteros!
Die liebe Familie
Alafair Burke hat schon mit „The Wife“ bewiesen, dass sie es kann, nämlich Thriller mit dem gewissen Twist zu schreiben, die den Leser dauernd auf die falsche Spur führen! Das ist ihr mit
„Die perfekte Schwester“ (März 2020, Aufbau Taschenbuch) wieder sehr gut gelungen.
Chloe Anna Taylor ist erfolgreich. Als Verlegerin eines erfolgreichen Magazins in New York hat sie durch ihre Kampagne Themtoo, angelehnt an die Metoo Bewegung, Berühmtheit erlangt, die ihr in der Machowelt aber so manche Gehässigkeit und Drohung eingehandelt hat. Mit dem Anwalt Adam hat sie einen attraktiven Ehemann und mit Ethan einen vielversprechenden Sohn, der allerdings der Sohn ihrer Schwester Nicky ist, die zuerst mit Adam verheiratet war, aber das wissen die Leute nicht. Nicky ist jedoch eine Totalversagerin und Trinkerin, die fast ihr Kind umgebracht hätte und ganz weit weg ist von der vorgeblichen Perfektion ihrer Schwester.
Als Adam in ihrem Haus auf den East Hamptons ermordet wird, bricht die Welt von Chloe zusammen. Es gibt doch einige Geheimnisse in ihrem Leben, die jetzt zutage kommen könnten.
Nicky wird von der Polizei über Adams Tod
verständigt und quartiert sich bei Chloe ein. Und dann wird zu allem Überfluss Ethan verhaftet: Er soll seinen Vater aus Hass getötet haben.
Burke's vage Andeutungen und die undurchsichtigen Hauptfiguren lassen den Leser immer im Ungewissen. Die perfekte äußere Fassade der Protagonisten und die Hasspostings im Internet, versteckt
hinter der Anonymität, erzeugen Spannung und einen guten Einblick in die Tiefe der menschlichen Seele.
Wie wird man Killer?
"Du stirbst für mich" (Okt. 2019,
Scherz) ist der 13. Fall in der Roy-Grace-Serie von Peter James. Da die Bände in sich abgeschlossen sind, kann man das Buch aber auch getrost
lesen, wenn man noch keinen Teil der Reihe kennt.
Lorna Belling hat genug. Genug von ihrer höllischen Ehe und ihrem brutalen Ehemann Corin. Zu gerne würde sie ein neues Leben mit ihrem heimlichen Geliebten Greg beginnen, der sich aber als Lügner
erweist. Er ist einfach nicht der, für den er sich ausgibt. Bei der nächsten Begegnung mit ihm in ihrem Liebesnest rastet Lorna aus und droht ihm. Schon bald
darauf wird ihre Leiche gefunden. Obwohl man ihren Tod quasi miterlebt, weiß man nicht, was eigentlich passiert ist.
Für Detective Superintendent Roy Grace schaut zunächst alles nach einem einfach zu lösenden Fall aus. Zumal der brutale Ehemann ein perfekter Hauptverdächtiger ist. Der Fall entpuppt sich aber
als sehr wendungsreich und geht in eine völlig andere Richtung als gedacht – für Grace und den Leser!
Peter James versteht es, falsche Spuren zu legen, durch rasche, wechselnde Perspektiven wird man förmlich in die Geschichte gesogen. Das Finale ist dann ziemlich rasant!
(JT 2020)
Welch schöne Liebesgeschichte!
Katarina Jensen und Jacqueline Schiesser gelingt mit dem Roman „Gone with the Heat – Damals und heute“ (Februar 2020, Himmelstürmer Verlag) eine außergewöhnliche Geschichte, mit dem hervorragenden Trick, dass man ein Buch im Buch liest.
Ihr Protagonist Aidan ist 15 Jahre alt, schwul und lebt in den konservativen Südstaaten der USA, in Georgia. Er fühlt sich in seiner Familie geliebt, doch er weiß, dass es ein Geheimnis um seine Herkunft gibt. Außerdem ist da der kühle und abweisende Großvater, der prinzipiell so tut, als gäbe es den Jungen nicht.
Aidan ist in seinen besten Freund Vince verliebt und beide gehören zur Fangemeinde eines Werks namens Gone with the Heat. Die schöne und tragische Geschichte in ihrem Lieblingsbuch spielt im Sommer 1979 in ihrem Heimatort. Es geht darin um den schüchternen Will und den Redneck Heath, die sich in einer sehr schweren Zeit, in der Homosexualität in ihrem Staat noch illegal war, in einer BikerBar kennenlernen und einige Hürden bewältigen müssen um miteinander glücklich sein zu können.
Aidan findet durch die Geschichte über die verbotene Liebe den Mut, seine Familie dazu zu drängen, ihm die Wahrheit über seine Herkunft zu erzählen und sie mit seiner Sexualität zu konfrontieren. Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus und er gibt seinem Großvater eine Ausgabe von Gone with the Heat in die Hand, in der Hoffnung, in dem alten Mann das Verständnis zu wecken, dass Liebe niemals falsch sein kann.
Der Leser spürt alle Emotionen von Liebe über Hass bis zur Angst und bekommt ein gutes Verständnis dafür, dass jeder so leben können sollte, wie er will, egal wen er liebt.
Die Story geht ans Herz und ist mehr als eine Familiensaga mit Geheimnissen und unbequemen Wahrheiten und eine Liebesgeschichte!
Das Gesicht eines Mörders
Katherine John lässt in ihrem Thriller „Leblos“ (rororo Erstausgabe 2009) Inspector Trevor Joseph und seinen Kollegen Peter Collins mit ihren Teams in einem Mordfall unter Obdachlosen ermitteln.
Ein Mann wird bei lebendigem Leib verbrannt.
Viel ist von ihm nicht mehr übrig, der Rest reicht aber für eine Identifizierung aus. Es ist ein ehemaliger Anwalt, der schon seit zwei Jahren tot ist. Wie kann das sein? Bei einer Recherche
stellen die Kommissare fest, dass er zwar wirklich tot ist, ihm aber damals bei einem Einbruch in der Leichenhalle die Gesichtshaut fachgerecht entfernt wurde. Was macht jemand mit einem
abgetrennten Gesicht? Funktionieren Gesichtstransplantationen tatsächlich?
Bei der Suche nach Antworten stößt Trevor, der gerade eine schwere Zeit mit seiner Freundin Lyn durchlebt, da sie kaum Verständnis für seine unregelmäßigen Dienste hat, auf die einst von ihm
angehimmelte Dr. Daisy Sherringham. Sie weiß von einigen geglückten Gesichtstransplantationen, aber nicht alle sind dokumentiert worden. Damit gerät der letzte Fall eines entflohenen Sträflings
in ein neues Visier. Ein bekannter Schauspieler hat angeblich seine Frau umgebracht, im Indizienprozess wurde er schuldig gesprochen. Ein idealer Kandidat also für einen Gesichtswechsel.
Peter, ein Saubermann, unterdessen verliebt sich in seine Kollegin Anna, deren Wohnung im Chaos versinkt. Die beiden Liebesgeschichten überlagern den ganzen Fall.
Die Polizisten ermitteln im Obdachlosenmilieu undercover und hoffen, von den Gutmenschen, die sich um diese Menschen kümmern, Hinweise zu bekommen.
Die Geschichte ist ein spannendes, vertracktes Verwirrspiel und nimmt ungeahnte Wendungen. Obwohl schon „älter“, ist das Buch lesenswert!
Ein Blick hinter die Kulissen des Terror-Staates Gilead
Am Ende des dystopischen Kultbuches „Report der
Magd“ von Margaret Atwood blieb das Schicksal von Desfred für die Leser ungewiss. Mit „Die Zeuginnen“ (Sep. 2019, Berlin Verlag) nimmt Margaret Atwood den Faden der grandiosen
Erzählung fast 35 Jahre später wieder auf, in Form dreier explosiver Zeugenaussagen von drei Erzählerinnen aus dem totalitären Schreckensstaat Gilead.
Die komplexe Fortsetzung spielt 15 Jahre nach dem Report und beantwortet offen gebliebene Fragen rund um den Kosmos der Mägde aus unterschiedlichen Perspektiven, die sprachlos machen im Angesicht
der ganzen Schrecklichkeiten. Komplex, düster, mit Atwood's feinem Humor und bissig, wird das Scheitern des patriachalischen Reichs Gilead erzählt und in seine Abgründe
geblickt.
Die angeblich so frommen Führer dieses Landes waren nur auf ihr eigenes Wohl bedacht. Frauen, ob Ehefrauen oder Gebärsklavinnen waren gefangen in ihren Rollen, sie hatten keine Wahl in diesem Gottes-Staat.
Der großartige Roman, der nur funktioniert, wenn man den Report kennt, besteht aus den schriftlichen Aufzeichnungen von drei Protagonistinnen: Die erste ist Tante Lydia, die im fundamentalistisch religiösen Gilead-Staat eine beinah staatstragende Funktion innehat. Die beiden anderen sind die Kinder von Desfred, Agnes und Daisy, von denen ein Mädchen innerhalb Gileads lebt und die andere im freien Kanada bei Pflegeeltern.
Atwood – wie immer spektakulär!
Die Gier ist ein Hund
Im Thriller „Rachewinter“ (Sep. 2018, Goldmann) von Andreas Gruber werden mehrere Männer im besten Alter, erfolgreich und vermögend, grausam ermordet, was aber aufgrund der perfiden Vorgangsweise des Täters oft nicht gleich ersichtlich ist. Die Toten leben in verschiedenen Städten, haben sich aber alle kurz vor ihrem Tod mit einer geheimnisvollen dunkelhaarigen Frau im roten Kleid getroffen. Doch diese bleibt ein Phantom.
Kommissar Walter Pulaski in Leipzig, der sich mehr als einmal über Vorschriften hinweg setzt, und Anwältin Evelyn Meyers in Wien werden beide in die verzwickten Fälle verwickelt. Sie erkennen, dass sie die Mordserie eines raffinierten Täters nur gemeinsam lösen können. Bis es soweit ist, glaubt man allerdings als Leser, der Autor hätte einfach 2 Krimis geschrieben, die sich kapitelweise abwechseln!
Andreas Gruber hat charismatische Charaktere
neben den Hauptprotagonisten erschaffen. Er gibt Flo, dem jungen Assistenten von Evelyn, eine größere Rolle. Voll Ecken und Kanten ist auch Pulaskis Tochter, deren Freundin durch den Tod ihres
Vaters in den Fall hineingezogen wird.
Man bekommt einen guten Einblick in das Thema Transgender und Transsexualität und taucht in die Welt der von Kotten's ein, die voll Machthunger und Gier ist.
Die Story ist gut durchdacht, rasant geschrieben, mit überraschenden Wendungen.
(JT 2020)
Blutoper
Als Leser braucht man schon einen guten Magen und muss ein erfahrener KrimiKonsument sein bei der Lektüre vom starken Debütroman „Opfer“ von Bo Svernström (Juli 2019, rororo) - ist der fesselnde Thriller doch ganz schön brutal.
Kommissar Carl Edson von der Reichsmordkommission in Stockholm ermittelt mit seinem Team in schockierenden Mordfällen, bei denen es zu unfassbaren Folterungen gekommen ist. Die Opfer sind selbst Schwerkriminelle, die einem nicht unbedingt leid tun müssten, aber solche Tode vergönnt man nicht einmal seinen ärgsten Feinden!
Reporterin Alexandra Bengtsson berichtet über die Fälle. Weder die Ermittler noch die Medien sind sich sicher, ob hier jemand persönliche Rache übt oder ein blutiger Krieg in der Unterwelt geführt wird. Man sucht fieberhaft nach einem Muster. Bis eine Spur sowohl Carl Edson als auch die Journalistin in die Vergangenheit führt, zu äußerst düsteren, gewalttätigen Ereignissen.
Der Pageturner mit Schockelementen und unglaublichen Wendungen raubt einem die Nachtruhe – ist aber wirklich zu empfehlen!
Verworren
Remigiusz Mróz neuer Thriller „Bis zum Ende“ (März 2020, rororo) schließt inhaltlich an sein Buch „Die kalten Sekunden“ an und setzt die Geschichte von Damian Werner, dessen Verlobte Ewa vor elf Jahren verschwunden ist, und Kasandra Reimann, die auf der Flucht vor einer Verbrecherorganisation ist, fort.
Selbst wenn man den ersten Band kennt, kann man
der recht verworrenen, vielschichtigen Handlung kaum folgen. Schon die Namen der Protagonisten sind sehr verwirrend, weil sich Mróz entschlossen hat, einer Person mehrere davon zu geben.
Der Krimi ist schwer durchschaubar aufgrund von Wendungen, obwohl Mróz ein guter Erzähler ist.
Damian hat in seiner neuen Wohnung eine
VHS-Kassette zugespielt bekommen, die ihn erneut dazu motiviert, nach Ewas Verbleib zu forschen. Kasandra, die ihn ein Jahr zuvor bei der Suche nach Ewa unterstützen sollte und ihn für ihre
eigenen Zwecke übel ausgenutzt hat, steht eines Tages vor seiner Tür und erbittet seine Hilfe, da ihr neunjähriger Sohn Wojtek entführt worden ist.
Ihr bleibt keine andere Wahl: Sie muss Damian um Hilfe bitten. Der glaubt noch immer, dass Ewa am Leben ist. Doch um das zu beweisen, braucht er Kasandra. Die beiden schließen einen Deal. Und
kommen der Wahrheit gefährlich nahe. Während Kasandra in einem berüchtigten Frauengefängnis ums Überleben kämpfen muss, steht Damian nach all den Jahren plötzlich Ewa
gegenüber.
Schon spannend, aber ohne die Kenntnis des ersten Bandes sollte man das Buch nicht lesen!
Was geschah wirklich mit Becca?
Sophie Kendrick schreibt in „Das Echo deines Todes“ (Feb. 2020, rororo) über das Verschwinden von Becca vor sechzehn Jahren. Die Malerin war mit ihren Freundinnen Lara, die aufgrund ihres Asperger-Syndroms sehr seltsam ist, Michelle, einer geborenen Anführerin, und Eileen, einer schüchternen jungen Frau, kurz nach dem Abitur für längere Ferien auf einer schwedischen Schäreninsel. Besuch bekamen die sehr unterschiedlichen Mädels nur von den Jungs Vincent und Leon vom Festland.
Am Morgen nach dem letzten Abend, bei dem es wegen des bevorstehenden Abschieds mehr als feuchtfröhlich zuging, ist Becca verschwunden – und bleibt es spurlos. Alles, was die Polizei fand, war ein verlassenes Motorboot – die einzige Verbindung zwischen der Insel und dem Festland.
Als Lara plötzlich, eben sechzehn Jahre später, eine anonyme Einladung auf die Schäreninsel erhält, wirft sie das völlig aus der Bahn ihres streng strukturierten Alltags, den sie braucht um keinen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Michelle und Eileen erreicht auch die Einladung und die drei brechen auf auf die Insel, in der Hoffnung, dem damaligen Geschehen auf die Spur zu kommen. Kaum angekommen, geschehen merkwürdige Dinge: Jemand bricht in das Haus ein und hinterlässt rätselhafte Botschaften, Fotos tauchen auf Laras Handy auf, die sie nie gemacht hat. Und in der Nacht sehen sie eine Gestalt um das Haus schleichen, die sie für Becca halten. Die beiden Männer von damals finden sich überraschend auch auf der Insel ein.
So manches Geheimnis kommt zutage und so manche neue Katastrophe passiert. Die Story wird aus der Sicht Laras erzählt und man erfährt aus alten Vernehmungsprotokollen in etwa, wie die Protagonisten einst das Verschwinden von Becca erlebt haben.
Kendrick gelingt ein spannend geschriebener Krimi mit so manchen überraschenden Wendungen.
Mutter undTochter – eine schwierige Kiste!
Elena Ferrante's neapolitanische Saga „Meine geniale Freundin“ ist ein weltweiter Bestseller. Ihr Debutroman „Lästige Liebe“ (März 2020, SuhrkampTaschenbuch) aus dem Jahre 1992 wurde im deutschsprachigen Raum nicht wahrgenommen und ging unter, jetzt wurde diese Mutter-Tochter-Geschichte über Liebe und Hass und einen wirren Knoten aus Lügen, Eifersucht und Gewalt, der die beiden aneinanderbindet, neu übersetzt.Zur Beerdigung ihrer Mutter Amalia kehrt die 45jährige Delia, eine Comiczeichnerin, von Rom nach Neapel zurück, in die chaotische Heimatstadt, in ihre verhasste Vergangenheit.
Sie muss die Wahrheit wissen: Warum starb ihre Mutter? Sie war doch auf dem Weg zu ihr nach Rom, warum wurde ihre Leiche kaum bekleidet am Strand von Spaccavento an Land gespült? Sie ist im Meer ertrunken – ein Unfall, Selbstmord, Mord? Und welche Rolle spielt der undurchsichtige Caserta, ein ehemaliger Freund ihres Vaters, der plötzlich wieder auftaucht? Er scheint der Letzte zu sein, der die Mutter lebend gesehen hat. Delia entwirrt in verwirrenden Rückblenden Erinnerungen an ihren gewalttätigen Vater, einen Möchtegern-Künstler, und ein Geheimnis ihrer eigenen Kindheit, die sie lange unterdrückt hatte. Es geht um einen Verrat, als sie als 5jährige ihrer Mutter eine Affäre mit einem Geschäftspartner des Vaters angehängt hat, und seine Folgen.
Delia ist keine Sympathieträgerin und Identifikationsfigur – ein Manko des Romans, der aber – Ferrante sei Dank – lesenswert ist. Die Autorin hat ein Gefühl für Frauenfiguren, man kann sich vorstellen, dass ihre direkte Erzählart aber Männern wahrscheinlich nicht so ganz liegt und viele Frauen vielleicht aufgrund ihres oft ausschweifenden Stils überfordert.
(JT 2020)
Der Preis des Lebens
Claire Adam, selbst in Trinidad aufgewachsen, entführt den Leser mit ihrem Roman „Goldkind“ (Jan. 2020, Hoffmann und Campe) auf diese exotische Insel, die die wenigsten Europäer kennen und die meisten nach der Lektüre froh sein werden, in hiesigen Breiten zu leben.
Im tropisch-heißen Trinidad ist die Bevölkerung ist verarmt. Clyde und Joy geht es hier nicht anders. Eine gute Schulbildung für ihre Jungs ist nicht bezahlbar. Die Zwillinge Paul und Peter könnten gegensätzlicher nicht sein. Peter ist hochbegabt, während Paul, der bei der Geburt unter Sauerstoffmangel litt, geistig behindert ist. Clyde versucht, beiden ein guter Vater zu sein. Joy möchte, dass die beiden zusammenbleiben und Peter lernt, für seinen Bruder da zu sein.
Plötzlich verschwindet Paul bei einem Streifzug
durch den Busch spurlos und seine Familie wartet ängstlich auf seine Rückkehr. Clyde ist wütend, denn schon immer hat sein Sohn ihm Ärger bereitet, ganz anders als dessen alles überstrahlender
Zwillingsbruder Peter, das Goldkind. Stunden vergehen, Tage. Schließlich melden sich Entführer und fordern ein hohes Lösegeld. Als Clyde begreift, worum es ihnen geht, steht er vor einer
ungeheuerlichen Entscheidung: Darf er wirklich das Leben eines seiner Kinder zugunsten des anderen opfern? Ist ein Mensch wertvoller als der andere?
Die Autorin beginnt bei Pauls Verschwinden und rollt die düstere und traurige Geschichte von hinten auf. Ihr Schreibstil ist etwas ungewöhnlich unaufgeregt, aber der Plot ist spannend und doch
einigermaßen schockierend.
Rom – abseits ausgelatschter Touristenpfade
In Rom gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten von Weltrang, die jeder Besucher der Stadt gesehen haben muss. Daher drängeln sich am Kolosseum, am Trevi-Brunnen, an der Spanischen Treppe oder im Vatikan stets Massen von Touristen.
Wer aber schon ein kleiner Römer ist und die Geheimnisse der Stadt entdecken will, findet sie vielleicht gleich um die nächste Ecke.
Und ganz sicher nach der Lektüre von Gerhard Kotschenreuther's Handbuch für individuelles Entecken „Rom. 100 unbekannte und geheimnisvolle Orte“ (Nov. 2019, Reise Know-How Verlag Peter Rump).
Richtig spannend wird ein Besuch in der antiken Stadt, wenn man sich auf die Suche nach den unzähligen übersehenen, unbekannten oder auch geheimen Sehenswürdigkeiten begibt.
Der Autor besucht Rom seit Jahrzehnten immer wieder und und begibt sich immer wieder auf die Spur nach neuen faszinierenden Orten. Sein gebündeltes Wissen lässt Reisende Rom mit neuem Blick sehen und Orte finden, an denen man oft achtlos vorüber gegangen ist.
Am Anfang gibt es eine kleine Betriebsanleitung
für die Nutzung des Buches. Es wird zwischen drei Empfehlungsgraden unterschieden: sehr interessant, außergewöhnlich oder sensationell.
Da es sich um besondere Plätze handelt, sind diese Orte nicht immer so leicht zu erreichen. So unterscheidet der Autor hier weiters unter: problemlos zugänglich, klare Öffnungszeiten, unklare
oder seltene Öffnungszeiten (Anmeldung oder Führung empfohlen) bzw. schwierig, nur nach Anmeldung, sehr selten geöffnet.
Hat man sich einmal orientiert kann man die verborgenen Schätze erkunden.
Der Reiseführer ist alles andere als üblich und klassisch, aber definitiv nichts für Erstbesucher der Metropole, jedoch hat er 100 Gründe für Rom-Liebhaber für ihre nächste Reise nach Rom!
Das Grauen
Der Psalm 44 ist ein Klagelied, an Gott gerichtet: „Ja, um deinetwillen wurden wir den ganzen Tag getötet, wir galten als Schafe, zum Schlachten bestimmt. Wach auf! Warum schläfst du, Herr? Erwache, verstoß nicht für immer! Warum verbirgst du dein Angesicht, vergisst unser Elend und unsre Bedrückung? Unsere Seele ist in den Staub gebeugt, unser Leib klebt am Boden. Steh auf, uns zur Hilfe! In deiner Huld erlöse uns!“.
Danilo Kiš, 1935 in Subotica als Sohn
eines ungarischen Juden und einer Montenegrinerin geboren, zählt zu den bedeutendsten europäischen Autoren der Gegenwart. Er starb 1989 in Paris. Zum 30. Todestag wurde erstmals sein Roman
„Psalm 44“ (Sep. 2019, Hanser Verlag) auf Deutsch übersetzt.
Das beeindruckende Buch von Kiš aus dem Jahr 1962 erzählt von der Jüdin Maria, die im Lager Auschwitz den Arzt Jakob kennen lernt. Sie lieben sich, Maria wird schwanger. Jakob gelingt es, Maria
nach Birkenau verlegen zu lassen, wo Jan zur Welt bringt. Das Kind gibt ihr Mut und Kraft, sie macht sich zur Flucht bereit. Im Winter 1944 – kurz vor dem Ende der Nazi-Schreckensherrschaft -
flieht sie mit ihrem sieben Wochen alten Sohn aus Birkenau. Die Geschichte der Flucht verwebt Kiš mit Rückblenden aus der Kindheit Marias in Serbien, auf die antisemitischen Übergriffe in der
Schule, wo ihr vorgeworfen wurde, dass ihr Papa Christus gekreuzigt und sie die Nägel gereicht hätte und auf das bestialische Massaker der Judenvernichtung von Novi Sad.
Die Erzählung ist nicht einfach zu lesen, trifft mitten ins Herz, lässt den ganzen unvorstellbaren Horror spüren. Und doch – diese Schilderungen müssen gelesen werden, besonders jetzt im Gedenken
an
75 Jahre der Befreiung des Todeslagers Auschwitz.
Es muss nicht immer Brunetti sein – Venedig aber schon!
Philip Gwynne Jones entführt uns mit seinem Buch „Das venezianische Spiel“ (Feb. 2020, rororo) in die Serenissima. Der Krimi ist charmant wie die Stadt und eigentlich will man nix wie hin bei der Lektüre!
Nathan Sutherland, der getrennt von seiner Frau in Venedig als Übersetzer von Mähmaschinenbeschreibungen sein Leben zwischen Prosecco und Sprizz verbringt, ist auch britischer Konsul. Das ist nicht gerade der aufregendste Job der Welt! Meist schlägt er sich in seinen Sprechstunden mit verlorenen Pässen und Wegbeschreibungen herum. Gesellschaft leisten ihm dabei seine immer grantige Katze und das Porträt der Queen.
Eines Tages spielt ihm ein Unbekannter ein Päckchen zu und bittet ihn, dieses für ihn sicher zu vewahren. Von Neugier gepackt schaut Sutherland hinein und findet ein kleines Buch mit augenscheinlich originalen Illustrationen des Künstlers Giovanni Bellini aus dem 15. Jahrhundert über das Leben von Maria. Schon bald muss Nathan feststellen, dass sich noch jemand für das Buch interessiert und er und seine Freunde sich im Handumdrehen in höchster Gefahr befinden.
Wirklich amüsanter und auch spannender KunstKrimi rund um ein Spiel zweier undurchsichtiger Brüder, in das man eigentlich nicht geraten sollte!
Herrlich venezianisch!
(JT 2020)
Wem vertraut man?
Die britische Schriftstellerin Gytha Lodge schreibt mit „Bis ihr sie findet. Sechs Freunde. Ein Mörder. Wem vertraust du?“ (Sep. 2019, Hoffmann und Campe) einen packenden Krimi über Freundschaft und Verrat.
Von einer sommerlichen Zeltnacht mit den Freunden ihrer großen Schwester Topaz kehrt die vierzehnjährige Aurora nie zurück. Aurora fühlte sich anfangs geschmeichelt ob der Einladung, mit der Clique zu zelten, aber bald nicht zugehörig, teilweise sogar abgestoßen vom Reden, Alkohol, Drogen und Sex. Dreißig Jahre später wird ihre Leiche neben einem Drogendepot gefunden. In einem Versteck, von dem eigentlich nur die sechs Freunde gewusst haben können. Detective Chief Inspector Jonah Sheens ist fest entschlossen, den Cold Case ein für alle Mal zu lösen. Er ist mit den Jugendlichen damals auf eine Schule gegangen. Schnell deckt er Ermittlungsfehler und sich widersprechende Aussagen der Freunde auf. Wer von ihnen hat Aurora wohl getötet und warum?
Der messerscharf geschriebene, erste Band der
spannenden Krimireihe um Jonah Sheens ist eine clevere Geschichte über ein dunkles Geheimnis von Jugendlichen, das niemals an Licht gezerrt werden sollte.
Spannung vom Feinsten!
Eine kulinarische Rundreise durch die Steiermark
Claudia Rossbacher und Sabine Flieser-Just begeben sich in „Genuss.Spur Steiermark“ (Sep. 2019, Gmeiner-Verlag) auf eine genüssliche Reise durch die grüne Mark. Zu Fuß, mit Schneeschuhen, auf dem Rad und im Genussmobil führen sie uns zu den kulinarischen Plätzen in den neun Regionen des Landes – Weststeiermark, Hochsteiermark, Südoststeiermark, Oberes Murtal, Alpine Steiermark, Oststeiermark, Südsteiermark, Region Graz und Graz.
Sie blicken in die Küchen, Weinkeller und Lebensmittelwerkstätten regionaler Leitbetriebe, stellen interessante Persönlichkeiten vor und entdecken so manchen Geheimtipp. Zudem kochen sie ihre Lieblingsrezepte, die natürlich abgedruckt sind, mit frischen saisonalen Produkten, geben kompetente Ratschläge und servieren dazu kulinarische Krimischmankerln aus der Feder von Claudia Rossbacher. Tolle Fotos von Lucija Novak von den Speisen und der Landschaft vervollständigen den Prachtband und machen Lust, den nächsten Urlaub in der Steiermark zu verbringen oder selbst den Kochlöffel zu schwingen.
Sabine Flieser-Just ist gelernte Gastronomin,
Diplom-Sommelière für Wein und Käse und Präsidentin des Steirischen Sommeliervereins. Sie arbeitet als Dozentin für Tourismusberufe und selbstständiger Genusscoach.
Claudia Rossbacher, gebürtige Wienerin und Wahlsteirerin, ist diplomierte Tourismusmanagerin, war Model, Texterin und Kreativdirektorin, ehe sie mit ihren Steirerkrimis zur Bestsellerautorin
wurde.
Ein schönes Geschenk für Liebhaber der Steiermark und jene, die es unbedingt noch werden sollten.
Außer Kontrolle
Der legendäre Thriller-Autor Frederick Forsyth veröffentlicht mit „Der Fuchs“ (Nov. 2019, C. Bertelsmann) angeblich wirklich sein letztes Buch, weil sein Alter ihm gebietet, das fieberhafte Tempo, das er beim Schreiben an den Tag legt, zu drosseln! Der immer raffinierte Geschichtenerzähler ist wieder in Bestform und fesselt mit seinen Infos über die Geheimnisse der Spionageszene wie eh und je.
Forsyth's Roman zeigt die Rollen in der Welt klar verteilt. Die Briten und die Amerikaner sind gut, Nordkorea, Iran und Russland sind die Schurkenstaaten und denen will der MI6 mithilfe der Fähigkeiten des 18-jährigen Hacker-Genies Luke Jennings das Fürchten lehren.
Der britische Junge, ein digitaler Einsiedler wie so viele seiner Altersklasse, hat einen scharfen Verstand und knackt im Alleingang die sichersten Computersysteme. Luke, ein Autist mit Superhirn, ist eine gefährliche Waffe, der Verteidigungssysteme so manipulieren kann, dass sie sich gegen die Supermächte selbst richten würden. Waffen tun meist, was man ihnen befiehlt, man glaubt, sie unter Kontrolle zu haben. Was ist, wenn sie in falsche Hände gelangen?
Der Thriller ist ein Wettlauf mit der Zeit, um eine Waffe zu fassen, die das Gefüge der Weltmächte in die Knie zwingen könnte. Und was dann?
Ganz dicht ist er nicht, der Kurt!
Kurt Morgan, 35, ist ein erfolgloser Schriftsteller, der bei seiner gelinde gesagt überspannten Mutter in einem viktorianischen Haus an einem alten Friedhof in der Peripherie von New York lebt, das geschwängert ist von Zigarettengestank, denn die Mutter raucht Marlboro Mediums Kette, während er über ihr extravagantes Leben für sie die Memoiren verfassen soll. Sie hält ihn für einen lächerlichen Schreiberling und ist mit seinen lausigen Ergüssen alles andere als zufrieden.
Eines Tages fällt ihm beim Blick aus dem Fenster eine elegante, rothaarige Frau auf dem Friedhof auf – Kurt ist wie gebannt von ihrer Erscheinung und folgt ihr heimlich in das Mausoleum, das sie immer wieder besucht. Er hört sie in der Gruft stöhnen und will ganz genau wissen, was die Fremde dort treibt. Seine Leidenschaft erlischt fast, als sie sich wochenlang nicht mehr blicken lässt.
Doch anstatt sich dem Frondienst bei seiner nörgelnden Mutter hinzugeben, wartet er darauf, dass die geheimnisvolle Frau wieder erscheint. Seine Obsession lässt ihn sogar ein Fernrohr kaufen um sie besser beobachten zu können als sie wieder da ist. Da taucht sie auch in seiner Stammkneipe auf. Der Wirt kennt sie und Kurt weiß endlich ihren Namen: Catherine Embers.
Durch seine Schwärmerei für Catherine wird Kurt regelrecht zum Stalker und in einen Strudel hineingezogen, der ihm den Boden unter den Füßen wegzieht.
Scott Adlerberg zeigt in seinem raffinierten Psychothriller „Graveyard Love“ (Okt. 2019, ars vivendi) die Abhängigkeitsverhältnisse Kurts zu seiner Mutter und zu Catherine und die tiefsten Abgründe menschlicher Obsessionen.
Ein Horrorbuch rund um Begehren und Todessehnsucht!
(JT 2019)
Das Elend einer Frau
Elena Ferrante's Buch „Tage des Verlassenwerdens“ wurde jetzt neu übersetzt (Sep. 2019, Suhrkamp) und wird wie alle Bücher der großen Unbekannten die Leser in absolute Fans ihres Schreibstils und all die anderen, denen sie zu langatmig ist, teilen.
Olga ist achtunddreißig und seit fünfzehn Jahren verheiratet, sie hat zwei Kinder, eine schöne Wohnung in Turin und ein solides Leben. Sie führt eine glückliche Ehe. Zumindest denkt sie das. Bis ein einziger Satz alles zerstört. Mario, mit dem sie alt zu werden hoffte, hat eine zwanzig Jahre jüngere Freundin und eröffnet ihr kurz nach einem Mittagessen, dass er sie verlassen wird. Alleingelassen mit den Kindern und dem Hund verfällt Olga fast dem Wahnsinn – und das bei glasklarem Verstand.
Ferrante's Geschichte zeigt eine eigentlich starke Frau, die plötzlich vor den Trümmern ihres Lebens steht und in einen dunklen Abgrund abzurutschen droht. Sie beschreibt Olgas Abgleiten in einer bedrohlichen Atmosphäre aus Hass auf Mario, den einst geliebten Mann, radikal und wortgewaltig.
Ick werde ein Berliner
Jens Mühling klappert ganz Berlin ab, Ortsteil für Ortsteil. Überlegt nicht lang, fährt einfach hin und geht los. Quatscht Leute an, stürzt sich in Zufallsbegegnungen, erlebt Abenteuer.
Es ist das ganze, das ungeteilte Berlin, das er erkundet, mit wirklich allen seinen unglaublichen 96 Ortsteilen, vom kleinsten Teil, dem Hansaviertel, bis zum größten, nämlich Köpenick, vom einwohnerreichsten Viertel, Neukölln, bis zum einwohnerärmsten, Malchow.
Und Mühling sowie der Leser erfährt, dass sich Berlin wie eine fremde, neue, andere Stadt anfühlen kann, sobald man nur mal ein paar Haltestellen weiter raus fährt, als man es sonst tut, ob als Berliner oder Tourist.
Die Streifzüge des Autors sind in „Berlin – Spaziergänge durch alle 96 Ortsteile“ (Nov. 2019, rororo) nachzulesen und nachzulaufen!
Leidenschaft in Worpswede
„Die Kunst und das Glück eines Sommers“
(Nov. 2019, Droemer) ist ein berührender Roman und Sittengemälde über die Liebe der jungen Malerin Paula Modersohn-Becker (1820-1907) und ihre Zeit in der Künstlerkolonie Worpswede von der
Autorin Sophia von Dahlwitz. Die Gemeinde Worpswede liegt inmitten des Teufelsmoores, Heimat armer Torfbauern und ist heute hauptsächlich als Künstlerkolonie bekannt.
Im Spätsommer 1900 entwickelt sich in Worpswede zwischen Paula, die in einer Schaffenskrise steckt, und ihrem Mentor Otto Modersohn eine enge Beziehung. Doch Otto hat Probleme, sich so kurz nach
dem Tod seiner Frau wieder zu binden, während sie hin und hergerissen ist zwischen ihrer aufkeimenden Zuneigung und ihrem Wunsch, zurück nach Paris zu gehen um sich endlich als Künstlerin zu
verwirklichen.
Auch Rainer Maria Rilke beginnt, die Malerin zu umwerben – zum Missfallen von Modersohn.
Paula malt häufig das Bauernmädchen Marleen, das plötzlich spurlos verschwindet, wahrscheinich im tückischen Moor. Das ganze Dorf beginnt, nach Marleen zu fahnden.
Der Roman hat viel Zeit- und Lokalkolorit und vermittelt das Thema der Rolle der Frau in der Kunst dem Leser unterhaltsam und intelligent. Frauen war früher wenig Ruhm
beschieden.
Sophie von Dahlwitz zeigt auch das harte Leben der Torfstecher, die für einen Hungerlohn im Morast schufteten. Vor diesem Hintergrund wirkt das schöngeistige Leben der Künstler in der Kolonie umso dekadenter. In den Augen der kleinen Leute treiben sie nur Müßiggang. Man erlebt die Gefühle, den Zwiespalt und die Unterschiede der armen Torfbauern und der Künstlergemeinde.
Auf nach Minga!
Wie könnte ein perfekter Tag in München aussehen? Man frühstückt auf einem der stimmungsvollsten Plätze der Stadt, dem Gärtnerplatz, dann streift man durchs Kunstareal und lässt sich inspirieren von Alten Meistern und jungen Wilden. Am Nachmittag flaniert man auf den Spuren des Schwabing-Mythos durch den legendärsten Teil der Stadt. Dann geht es zu den Surfern am Eisbach und zum Abendessen in einen Biergarten im Englischen Garten, bevor man sich in ein Theater, zu einer Kleinkunstbühne oder zum Tanzen aufmacht. Zum Abschluss wartet die Bar auf der Dachterrasse des Hotels Mandarin Oriental mit einem Drink mit Blick auf die beleuchteten Türme Münchens.
Das Buch „München“ (Sep. 2019, Insel-Lieblingsorte) von Franziska & Stefan Ulrich ist ein feines Geschenk für Münchner und NichtMünchner! Es ist alles dabei: tolle Fotos, kulturelle Klassiker, Kulinarisches, Hintergrundinfos zu den verschiedensten Ecken Münchens und Geheimtipps, die nicht jeder kennt.
Der Reiseführer lässt einen das Lebensgefühl der Stadt an der Isar entdecken und macht neugierig darauf.
(JT 2019)
Es ist die neue Zeit
Und es ist die Zeit ihres Lebens: 1922 beginnen 5 junge Menschen - der homosexuelle Walter, der distanziert-unentschlossene Kenö, Irmi, die Pragerin Charlotte und der unglücklich verliebte Paul - ihr Studium am Bauhaus in Weimar. Es sind Jahre voller Glanz, Ekstase und dem Rausch der Freiheit. Sie glühen für die Ideale dieser Kunstwelt. Sie wollen sich hier weiterentwickeln und verwirklichen, wollen zur neuen Moderne gehören und von berühmten Künstlern wie Itten, Kandinsky, Klee oder Albers lernen. Der Unterricht bringt sie an ihre Grenzen – körperlich und seelisch.
Die Zeit ist durchwirkt von Geheimnissen,
Intrigen und unglücklicher Liebe. Und als die goldenen Zwanziger in die düstersten Jahre des 20. Jahrhunderts übergehen, zieht es die Freunde in einen tiefen Abgrund.
Naomi Wood schreibt mit „Diese goldenen Jahre“ (Aug. 2019, Atlantik) eine emotionale Geschichte von bedingungsloser Liebe, tiefer Freundschaft und einem großen
Verrat.
Wood zeigt eine Gruppe junger Menschen, die eigentlich fortschrittlich und frei sein wollen, sich dabei aber in Intrigen und Beziehungswirren verheddern. Der Zusammenhalt der Gruppe bröckelt, ob aufgrund von vermeintlich falschen Paarbildungen oder dem freizügigen Drogenkonsum.
Aus einem Leben wie Gold wird ein dunkelschweres Zusammensein in den Zeiten, als Hitler unglaublicherweise Reichskanzler wurde.
2019 werden 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Das Buch gibt einen guten Einblick auch in das Bauhaus und die Künstler, die dort unterrichteten und studierten.
Tour de force
Alicia in Lupang Pangako aus dem Großraum Manila sorgt sich um ihre kleinen Söhne, als ihr Cousin Marlon sie zwingt, aus dem Slum zu flüchten.
In Berlin hilft zeitgleich der Obdachlose Oscar seinem neuen Freund, den er Noah nennt, wieder auf die Beine zu kommen. Noah weiß nicht, wer er ist, was er in der Stadt will, warum er auf der Straße lebt und eine frische Schusswunde in der Schulter hat. Welches Geheimnis, von dem scheinbar das Schicksal der gesamten Welt abhängt, trägt er in sich, dass ihn jemand töten will?
In New York City sorgt sich derweil die Journalistin Celine Henderson um ihr ungeborenes Baby, als eine Ultraschalluntersuchung Probleme mit der Nackenfalte aufzeigt. Ihre Zeitung, die New York News sucht zu der Zeit den Maler eines Kunstwerks und hat eine Million auf den Urheber ausgesetzt, als sich Noah bei ihr meldet.
Jonathan Zaphire, reicher als reich, Besitzer von Fairgreen Pharmaceutics, begrüßt in Los Angeles bei einem Wohltätigkeitsbrunch sein stinkreiches Publikum und beschimpft die Gäste als verlogene Heuchler. Da passiert ein Anschlag.
Und was haben die Bilderberger mit der Geschichte zu tun, die schon längst beschlossen haben, dass es zu viele Menschen auf der Welt gibt. Wieviel ist zu viel?
Was verbindet diese Leute miteinander? In erster Linie der Autor Sebastian Fitzek, der in „Noah“ (Sep. 2019, Bastei Lübbe TB) die Erzählstränge apokalyptisch und weltumspannend mehr als spannend zusammenführt mit der Spange der hochinfektiösen „Manila-Grippe“.
Die Story zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist die schonungslose Aufdeckung der Folgen einer ständig wachsenden Weltbevölkerung, wo Millionen an Hunger leiden und im Gegensatz dazu einer „kranken“ Gesellschaft, die nur Konsum, Wachstum und Aktienkurse kennt.
Nicht nur Verschwörungstheoretiker werden ihre helle Freude mit diesem Thriller der Extraklasse haben!
Horrortrip
Jennifer König von Fuchs Telecom, einem
Dienstleister der Telekommunikationsbranche, macht mit ihren Mitarbeitern Thomas, Anna und Florian einen Digital-Detox-Trip in ein von Gott verlassenes Bergsteigerhotel auf dem Watzmann am
Königssee, das gerade renoviert wird. Sie sind Teil einer Truppe, die mit den Reiseleitern Johannes und Ellen fünf Tage ohne Handy und ohne Internet verbringen soll. Offline – und damit raus aus
dem Stress, einfach nicht erreichbar sein.
Der Psycho-Thriller „Offline“ von Arno Strobel (Sep. 2019, Fischer Taschenbuch) entwickelt sich natürlich zum Horror-Thriller – wie könnte es bei Strobel, diesem Grenzgänger, der in
seinen Büchern immer die dunklen Winkeln der menschlichen Seele zum Vorschein bringt, auch anders sein.
Schon am zweiten Tag – in der Zwischenzeit sind sie total eingeschneit - verschwindet Thomas im weitläufigen Hotel, wo es außer der angereisten Gruppe nur zwei ziemlich verdächtige Gestalten als
Hausmeister gibt, und wird kurz darauf schwerst misshandelt gefunden. Blind, taub, gelähmt. Er stirbt. Jetzt beginnt für alle ein Horrortrip ohne Ausweg. Denn sie sind offline, sie können keinen
Notruf absetzen und niemand wird kommen um ihnen zu helfen. Und sie haben die Gewissheit, dass der Killer einer von ihnen sein muss. Sie sind auf sich allein gestellt. Und der Täter hört nicht
auf, er ist noch nicht fertig.
Strobel war vielleicht schon mal „besser“, aber sein Katastrophenszenario bewirkt sicher, dass wir alle nicht mehr offline sein wollen!
Das Böse ist immer und überall
Karen Krupp führt mit ihrem Mann Tom, für den sie ein Engel ist, eine glückliche Beziehung. Bis zu dem Tag an dem Karen einen schweren Autounfall hat – in einer Gegend, wo sie sonst nie ist. Laut Polizei hat sie die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten und ist gegen einen Strommast geknallt. Karen leidet unter Amnesie und kann auch nichts zu der Leiche sagen, die in der Nähe ihres Unfallorts gefunden wird.
Die Ermittler Rasbach und Jennings glauben an einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen. Was hat Karen mit dem Toten zu tun? Sie trägt ein Geheimnis mit sich herum ...
Und das lüftet Shari Lapena in ihrem Buch „A Stranger in the House“ (Aug. 2019, Bastei Lübbe) nach und nach.
Überraschende Wendungen in der Handlung lassen so manche Spekulation beim Lesen der Geschichte, die aus verschiedenen Sichtweisen erzählt wird, aufkommen. Niemand vertraut niemanden. Jeder ist verdächtig. Gut zum Mitraten!
(JT 2019)
Ein Mann, drei Frauen
Orna sucht ein wenig Trost, nachdem ihr Mann sie und ihren sensiblen Sohn Eran verlassen hat. Eine zweite Frau, Emilia, eine einsame Lettin, sucht nach einem Zuhause und nach einem Zeichen von Gott, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Die dritte Frau, Ella, sucht etwas ganz anderes. Sie alle finden denselben Mann, Gil, einen Rechtsanwalt - im Prinzip ein Durchschnittsmann. Es gibt vieles, was sie nicht über ihn wissen, denn er sagt ihnen nicht die Wahrheit über sich, sein Leben und seine Absichten. Aber auch er weiß nicht alles über sie. Mehr sei nicht verraten!
Die Sprache in Dror Mishani's Roman „Drei“ (Aug. 2019, Diogenes), der in Tel Aviv spielt, ist sehr fein und fesselnd. Er gestaltet die Portraits der drei Frauen so, dass sie den Leser berühren, weil man ihre Ängste und Sorgen und auch die Hoffnung auf ein gutes Leben versteht.
Grausam
Als die junge Ivy Jenkins, hochverliebt in
Alistair, im Jahr 1956 in Sussex schwanger wird, wendet er sich von ihr ab und ihr liebloser Stiefvater schickt sie ins St. Margaret's Heim in Preston für ledige Mütter. Sie wird den düsteren,
berüchtigten, menschenverachtenden Klosterbau nie mehr verlassen. Harte Arbeit, grausame Misshandlungen, schreckliche Nonnen rauben jede Ivy jede Hoffnung.
60 Jahre später stößt die Journalistin Sam, eine alleinerziehende Mutter, in der Wohnung ihrer Großeltern auf einen flehentlichen Brief Ivys. Er ist an den Vater ihres Kindes adressiert – aber
wie ist er in den Besitz von Sams Großvater gelangt? Sam beginnt die Geschichte des Klosters zu recherchieren. Dabei stößt sie auf finstere Geheimnisse, die eine blutige Spur bis in die Gegenwart
ziehen. Und die tief verstrickt sind mit ihrer eigenen Familiengeschichte.
Emily Gunnis schreibt mit „Das Haus der Verlassenen“ (März 2019, Heyne) einen hochaktuellen, sehr traurigen Roman, der den Leser fassungslos macht. Früher verschwanden sogenannte gefallene Mädchen in katholischen Heimen, und heute?
Dieses Buch ist ob des erschütternden Plots keine leichte Lektüre. Gunnis wählte für ihren Debütroman eine komplexe Erzählstruktur mit mehreren Perspektiven und Zeitebenen. Dranzubleiben lohnt sich.
Düster, spannend, einfühlsam.
Die Schatten der Vergangenheit
Catherine Ryan Howard schreit mit „Ich bringe dir die Nacht“ (Jan. 2019, rororo) einen gut komponierten Psychothriller mit unerwarteten Wendungen.
Es geht um Alison, deren Ex-Freund Will Hurley im Gefängnis sitzt, hat er sich doch 10 Jahre davor in Dublin nach einem Geständnis als berüchtigter Kanal-Killer herausgestellt. Auch ihre beste Freundin Liz war damals unter den Opfern.
Mühsam baute sich Alison danach ein neues Leben
auf. Da wird erneut die Leiche einer jungen Frau aus dem Wasser geborgen. Die Polizei will von Hurley Informationen zu dem Nachahmungstäter, aber der will nur mit Alison reden.
Alison schwankt zwischen Glauben, Hoffen, Misstrauen und dem Wunsch nach endgültiger Verdrängung. Wird sie sich Will's Geschichte stellen?
Erzählt wird die flüssig geschriebene Story auf 2 Zeitebenen, auch aus der Sicht des Täters.
Möge man von Leuten wie Will im Leben verschont bleiben!
Die Hoffnung auf ein zweites Leben
Mitte der 1980er Jahre arbeitet der deutsche Auswanderer H.G. Kachelbad in Los Angeles für das kryonische Unternehmen Exit U.S. Er friert Menschen ein, die in ihrer Gegenwart nicht mehr leben können. Skurrile Gestalten mit unterschiedlichen Motivationen für einen postmortalen Kopfüber-Kälteschlaf in einem Stickstofftank, aber alle »kalten Mieter« hegen die Hoffnung, eines Tages wieder aufgetaut werden zu können.
Vom jüdischen Wien der Jahrhundertwende bis ins schwule New York der frühen 1980er Jahre nimmt uns Hendrik Otremba's schräger Roman „Kachelbads Erbe“ (Aug. 2019, Hoffmann und Campe) mit auf eine Reise in die Vergangenheit zwischen Holocaust, Tschernobyl und Aids, um über die Zukunft nachzudenken. Der philosophische Roman erzählt auch die schöne Liebesgeschichte Kachelbads zu einem jungen Mann. Das Buch spielt auf verschiedenen Zeitebenen und ist aus den verschiedensten Perspektiven erzählt, wobei der rätselhafte Kachelbad der Mittelpunkt der ganzen Geschichte ist. Der dramatische Schreibstil des Autors erscheint mitunter schwatzhaft, aber berührend, mystisch, geheimnisvoll und gibt einen durchaus kritischen Einblick in die Kryonik.
Ein pessimistischer Ausblick, dem Tod seine Endgültigkeit zu nehmen.
(JT 2019)
New York City in den 1980iger Jahren …
… war ein einziges Abenteuer! Jarett
Kobeks Roman „Unsere wunderbar kurze Zukunft“ (Juli 2018, Fischer TB) dreht sich um die Erlebnisse eines jungen, naiv-freundlichen Schwulen namens Baby aus der Provinz und seiner
reichen Freundin Adeline, einer Kunststudentin.
Als Adeline in einem besetzten Haus im East Village auf Baby trifft, der mit nicht mehr als ein paar Dollar im Schmelztiegel des Big Apple gestrandet ist, nimmt sie ihn bei sich auf. Sie zeigt
ihm die Bars, die Drinks, die Kunst, das Leben. Nächtelang ziehen die beiden feiernd durch die Clubs von Downtown Manhattan und treffen auf so manchen Selbstdarsteller, Nachtvogel,
Existenzialisten und anderen Menschenkünstler!
In der 1980iger Jahren gab es keine Smartphones, keine SMS, keine Fake-News – und trotzdem wurde gelebt, und wie! Alkohol, Sex, Drogen, Happenings und Partys – ein ständiger Rausch des Genusses.
Für alle, die damals im Big Apple waren und jene, die es zu dieser Zeit mit ihrer locker-lässigen Atmosphäre der Nacht noch nicht kannten.
Ein Kind verschwindet
Die Mai-Mütter treffen einander in New York jede Woche. Sie teilen Freuden, Sorgen und Nöte, sind sie doch alle frischgebackene Mütter, und das schweißt zusammen. Oberflächliche
Freundschaften entstehen unter den sehr unterschiedlichen Frauen und Token, dem einzigen Papa. Und ein Plan - einmal eine klitzekleine Auszeit vom Babyalltag zu nehmen, abends in einer Bar. Ein
an sich harmloser Spaß bei ein paar Drinks. Doch daraus wird schnell bitterer Ernst. Die alleinerziehende Winnie lässt ihren kleinen Sohn Midas für den Abend bei einer Babysitterin. Als Winnie
nach Hause kommt, ist ihr Kind spurlos verschwunden, niemand hat angeblich etwas bemerkt.
Es folgen Tage, in denen jede der Mütter durch die Hölle geht: Winnie sowieso, Sarah will Antworten. Collette weiß zu viel. Nell hat etwas zu verbergen. Und eine Mutter hat etwas Böses getan.
Der Psychothriller „Die Mutter“ von Aimee Molloy (Mai 2019, Rowohlt Polaris Taschenbuch) ist ein Nervenkitzel und hat ein ziemlich spektakuläres Ende. Wenn auch gewisse Längen zu überbrücken sind, die sich daraus ergeben, dass man gar nicht mehr durchblickt, welche Probleme und Geheimnisse welche der Frauen hat, und einem MamiThemen wie Milchfluss, postnatale Depressionen und Erschöpfung durch schlaflose Nächte sowie finanzielle Probleme der neugebackenen Kleinfamilien vielleicht gerade nicht so sehr interessieren.
Der Gedanke, dass ein Baby entführt wird, ist
aber mehr als beängstigend.
Aus verschiedenen, manchmal verwirrenden Perspektiven erzählt die Autorin, wie jede einzelne Frau die Entführung erlebt. Wer die einzige Ich-Erzählerin ist, bleibt jedoch lange verborgen. Molloy
gelingt es schlussendlich, alle losen Fäden der Geschichte zusammenzuführen.
Nichts ist schlimmer als die
Ungewissheit
Auf der Eröffnungsveranstaltung der Berlinale wird zum Entsetzen aller statt des Eröffnungsfilmes ein Snuff-Film gezeigt. Das Opfer: die Tochter des Bürgermeisters Otto Keller.
Tom Babylon vom LKA und die Psychologin Sita Johanns ermitteln unter Hochdruck. Doch eine Gruppe von Prominenten um Keller hat etwas zu verbergen. Wer ist außerdem die Zeugin, die aussieht wie
Tom Babylons vor Jahren verschwundene Schwester Viola? Die Ereignisse überschlagen sich, als ein weiterer Mord passiert. Plötzlich stellt Sita Johanns fest, es gibt eine Verbindung zwischen ihr
und den Opfern: Ein schlimmes Ereignis in ihrer Jugend - und die Zahl 19.
Bei Marc Raabe's „Zimmer 19“
(Aug. 2019, Ullstein Taschenbuch) ist natürlich wieder nichts so, wie es am Anfang erscheint. Rätseln die Ermittler anfangs noch, ob das Snuff-Video ein Fake ist, wird immer deutlicher, dass der
Film echt ist.
Der Krimi ist wie schon „Schlüssel 17“ sehr spannend – übrigens: kein Fehler, wenn man dieses Buch kennt!
Erneut geht es um Menschen, die sich vor Jahren schuldig gemacht haben, um alte Seilschaften und Generationen, die hoffentlich bald aussterben! Und man drückt Babylon wieder die Daumen, dass er
endlich Viola findet oder Gewissheit über ihr Schicksal erlangt.
Schnell lesen sollte man den Raabe nicht, weil man sonst etwas im Facettenreichtum des Buches überliest!
Liebeserklärung an Venedig Der niederländische Autor Cees Nooteboom liebt Venedig, La Serenissima, und setzt ihr mit „Venedig. Der Löwe, die Stadt und das Wasser“ (April 2019, Suhrkamp) ein Denkmal. Das erste Mal, 1964, in Gesellschaft einer jungen Frau. Dann, 1982, mit dem Orientexpress. Erst beim zehnten Mal das Wagnis: eine Gondelfahrt. Und schließlich, 2018, kappt ein heftiger Sturm die einzige Landverbindung zwischen der Stadt und dem Rest der Welt und sorgt dafür, dass der Gast länger bleibt als geplant. Cees Nooteboom's Liebe zu Venedig hält schon über 50 Jahre an. Viele Male hat er die Stadt besucht, wohnt in prachtvollen Hotels und düsteren Apartments, huldigt den Malern und Schriftstellern, die hier lebten und arbeiteten, beobachtet den drohenden Ausverkauf Venedigs ebenso wie das Verhalten der Bewohner und Besucher: klug und selbstironisch, ja zärtlich. Seine Texte sind eine Liebeserklärung an die Lagunenstadt. Man glaubt, mit dem Markuslöwen um den Campanile zu fliegen und auf die Lagune hinauszuschauen! Und verliebt sich spätestens jetzt in Bella Venezia.
(JT 2019)
Die Geschichte der Familie Sandell
Adam, Ulrika und Stella sind eine ganz normale Familie im schwedischen Lund. Adam ist ein kluger Pfarrer, liebt Ehrlichkeit und hat Anstand, seine Frau, die kühle Ulrika ist Anwältin mit ausgeprägtem Rechtsempfinden und Stella ist ihre freche, rebellierende, jähzornige Tochter.
Kurz nach ihrem 19. Geburtstag wird Christopher Olsen, ein erfolgreicher Geschäftsmann, erstochen aufgefunden und Stella als Mordverdächtige verhaftet. Doch woher hätte sie den undurchsichtigen und wesentlich älteren Mann kennen sollen und vor allem, welche Gründe könnte sie gehabt haben, ihn zu töten? Jetzt müssen Adam und Ulrika sich fragen, wie gut sie ihr eigenes Kind wirklich kennen.
Mattias Edvardsson schildert in seinem Kriminalroma „Die Lüge“ (März 2019, Limes) die Geschehnisse aus den jeweils unterschiedlichen Perspektiven der Familie.
Die Spannung in diesem Thriller, der es ganz schön in sich hat, entsteht nicht durch den Mord, sondern durch das gut komponierte Puzzle und durch das Unfassbare, das plötzlich über die Sandells einbricht. Da kommen so manche Geheimnisse ans Tageslicht!
Alle lügen! Alle wollen jemanden schützen. Alle tun das Falsche.
Beklemmende Dystopie
Während sich die Briten und Europa auf einen Brexit mehr oder minder vorbereiten, hat John Lanchester mit seinem Roman „Die Mauer“ (Jan. 2019, Klett-Cotta) einen philosophischen Roman zwischen Fiktion und Realität vorgelegt.
In Großbritannien gilt in einer nicht zu weit entfernten Zukunft das Gesetz des Stärkeren. Das Land ist von einer zehntausend Kilometer langen Betonmauer umgeben, fünf Meter hoch und drei Meter breit, die von den Bewohnern um jeden Preis gegen Eindringlinge verteidigt wird. Die Mauer hält nicht nur das Wasser ab, dessen Oberfläche seit dem Wandel, einem klimatischen Großereignis vor einigen Jahren, stark angestiegen ist, sondern vor allem die sogenannten Anderen, die ins Land wollen, aber nicht dürfen.
Jeder Brite muss für zwei Jahre
Verteidigungsdienst auf dem Bauwerk leisten, es sei denn, er gehört zur regierenden Elite oder er ist Fortpflanzer. Das sind die wenigen Leute, die noch Kinder wollen, und die dafür
Sondervergütungen erhalten. Jene Flüchtlinge, die es über die Mauer schaffen und erwischt werden, werden auf das Meer zurückgeschickt oder versklavt.
Joseph Kavanagh tritt seinen Dienst auf der Mauer an. Der Preis für ein mögliches Versagen ist hoch. Schaffen es Eindringlinge ins Land, werden die verantwortlichen Verteidiger dem Meer – und
somit dem sicheren Tod – übergeben. Das Leben auf der Mauer verlangt Kavanagh einiges ab, doch seine Einheit wird zu seiner Familie, und mit Hifa, einer jungen Frau, fühlt er sich besonders
verbunden. Die Gegner sind gefährlich, weil sie für ein Leben hinter der Mauer alles aufs Spiel setzen. Ein Kampf von jedem gegen jeden ums Überleben.
Lanchesters Buch zeigt eine Zukunft, die sich vielleicht noch verhindern lässt, aber schon sehr knapp vor der Tür steht! Erschreckend. Kein Hirngespinst, nur manchmal erzählt der Autor seine
Story ein wenig zäh mit belanglosen Abhandlungen.
Ein bisschen New York geht immer!
Helene Hannf, die Autorin von "84, Charing Cross Road" und "Die Herzogin der Bloomsbury Street" wurde 1978 dazu überredet, für die Radiosendung „Woman's Hour“ der BBC regelmäßig
Geschichten aus ihrer Stadt zu liefern.
Mit Leib und Seele New Yorkerin, erzählt sie in ihrer unvergleichlichen schrulligen Art humorvolle Geschichten aus ihrem Leben, aus ihrem skurillen Freundeskreis und über die Stadt New York. Aus
diesen Beiträgen für die "Woman’s Hour" wurde später ein Buch: „Briefe aus New York“ (März 2019, Atlantik).
Wieso der Central Park als Garten aller New Yorker gilt, wie sich die Upper West Side von der Upper East Side unterscheidet, wie es zu den unzähligen Paraden auf New Yorks Straßen kommt und warum
das neue Jahr im Big Apple nicht am ersten Januar beginnt, sondern im Oktober, wenn New York nach dem heißen Sommer wieder lebendig wird - auf all diese Dinge gibt Hanff Antworten.
Darüber hinaus erfahren wir, warum sich ihre reiche Freundin Arlene, die Hunde eigentlich hasst, mit dem Bobtail Bentley anfreundet, was alles auf Ninas Dachgarten grünt und blüht und wie die
Autorin rechtzeitig im New Yorker Modedschungel einen Brautjungfern-Hosenanzug findet. Helene Hanff bei ihrem Alltag in ihrer winzigen Einzimmerwohnung zu begleiten ist in jedem Fall kurzweilig.
Die Geschichten sind zauberhaft und vermitteln einen Eindruck vom Leben in New York in den 1980iger Jahren. Aber was hat sich seither schon geändert in Manhattan? Alles und doch nichts. Die einen
sitzen in ihrem Penthouse und die anderen im Ministudio. Die einen haben Geld, die anderen dafür Spaß!
Ein liebevolles, lustiges Buch, das jeder, der die Metropole kennt bzw. zum ersten Mal bereisen möchte, lesen sollte!
Bellissimo
Franz Hlavac und Gisela Hopfmüller, bekannt aus ihrer jahrelangen Tätigkeit beim ORF, haben seit 2002 einen zweiten Wohnsitz in Friaul-Julisch Venetien und sind ausgewiesene Experten für diese wunderschöne italienische Region zwischen der Adria und den Alpen. Über dieses kleine Universum, das Augen, Ohren und Gaumen erfreut, haben die beiden Autoren nun Bezauberndes zu berichten.
„111 Orte in Friaul und Julisch Venetien, die man gesehen haben muss“ (April 2019, Emons Verlag) bietet spannende Entdeckungsreisen im reizvollen Nordosten Italiens, ob am Meer, im Karst, in Städten oder beim Wein.
So sollte man sich in Lignano Sabbiadoro nicht nur dem süßen Strandleben hingeben, sondern auch die Kirche Santa Maria del Mare am Rande des Pinienwaldes besichtigen und die Ruhe genießen, die dieser Ort ausstrahlt. Oder nahe Aurisina die Vedetta Liburnia, ein Aussichtsturm aus Ziegeln und Stein, über dem Meer mitten im Pinienwald, besteigen und den Blick genussvoll über den Golf von Triest schweifen lassen. Und in Gemona del Friuli ist der gotische Dom einen Besuch wert. Da finden sich innen und außen einige Male die Heiligen Drei Könige dargestellt. Schnapsliebhaber werden um Friauls älteste Brennerei nicht herumkommen! Die Distilleria Pagura in Castions di Zoppola produziert Grappa mit hoher Qualität.
Auf den rund 8.000 Quadratkilometern der Region findet garantiert jeder sein Lieblingsplatzerl, nicht nur unterm Sonnenschirm im Sand am Strand!
(JT 2019)
Jagdsaison
Mit „The Fourth Monkey – Das Mädchen im
Eis“ knüpft Autor J.D. Barker (Juni 2019, blanvalet) nahtlos und fulminant an den superspannenden ersten Band „The Fourth Monkey - Geboren, um zu töten“ an. Als Leser
schluckt man Baldriantropfen und folgt atemlos der Spur des des Bösen!
In Chicago herrschen Minustemperaturen, als die Leiche der jungen Ella Reynolds eingefroren im See gefunden wird. Sie wurde vor drei Wochen vermisst gemeldet – der See ist aber seit Monaten
zugefroren. Die Medien beschuldigen den berüchtigten Four Monkey Killer Anson Bishop der Tat, aber Detective Sam Porter will nicht glauben, dass er damit etwas zu tun hat. Er kennt den
Serienkiller gut, denn er hat ihn geschnappt und laufen lassen, und er hat noch eine Rechnung mit ihm offen. Er und seine Kollegen machen sich auf die Jagd nach dem Mörder, während bereits das
nächste Mädchen verschwindet.
Barker wirft wieder gekonnt die Netze aus. Der Spannungsbogen ist hoch und man rätselt, wie Porter – der selbst ins Trudeln kommt - Bishop auf die Schliche kommen wird. Oder ist doch ein anderer
für die Foltereien und Morde zuständig.
Eine Überraschung nach der anderen!
Wo ist Madelin?
Karen Sander schreibt raffinierte Krimis! Der Kriminalfall rund um die verschwundene Madelin McFarland - „Wenn ich tot bin“ (Juni 2019, Rowohlt Taschenbuch) - ist knifflig, kurzweilig und spannend inszeniert.
Nach zehn Jahren in der Gewalt ihres brutalen Peinigers gelingt der 19-jährigen Madelin die Flucht. Ihre Mutter Susan ist überglücklich, die totgeglaubte Tochter in die Arme schließen zu können. Doch wenige Stunden später ist Madelin erneut verschwunden, Susans Mann liegt schwer verletzt in der Küche, und ihre jüngere Tochter Harper ist so verstört, dass sie kein Wort mehr spricht. Detective Sergeant Kate Fincher und ihr Kollege Tom von der Polizei Edinburgh setzen alles daran, Madelin zu finden.
Besonders Tom liegt viel daran, denn bereits
vor Jahren, wurde er auf Madelins Vermisstenfall angesetzt, der ihm auch persönlich sehr unter die Haut ging.
Die Ermittler möchten die Frau befragen, die Madelin nach Hause brachte, die Verlobte des Polizeichefs, doch leider ist diese nicht mehr vor Ort. Telefonisch erfahren sie lediglich, dass auch sie
nichts beisteuern kann zum erneuten Vermisstenfall.
Und auch Susans Mann, hat keinerlei Erinnerungen mehr an den Tag, als Madelin erneut verschwand. Die Polizisten stehen vor einem Rätsel.
Kann es womöglich sein, dass Madelin, die sich nun Amy nennt und in die schottischen Highlands geflohen ist, nur versteckt – doch vor wem?
Als Leser ist man fast sprachlos über die Wendungen der Story und kann so richtig mit den Protagonisten mitfiebern!
Die vielen Geheimnisse von Gullspång
Gullspång, eine öde Kleinstadt in Westschweden, die es tatsächlich gibt, hat Lina Bengtsdotter für ihr Debüt „Löwenzahnkind“ (Mai 2019, Penguin Verlag) als Schauplatz ausgewählt. Dort kennt sie sich aus, denn sie wuchs in diesem Ort auf. Ihr spannendes Buch ist nicht nur für SchwedenkrimiFans perfekt.
Als in einer heißen Sommernacht die siebzehnjährige Annabelle spurlos verschwindet, ist schnell klar, dass von der örtlichen Polizei Verstärkung angefordert werden muss. Mit Charlie Lager schickt die Stockholmer Polizei ihre fähigste Ermittlerin – doch was die Kollegen nicht wissen dürfen: Die brillante Kommissarin ist selbst in Gullspång aufgewachsen. Je tiefer Charlie nach der Wahrheit hinter Annabelles Verschwinden gräbt, desto mehr droht das Netz aus Lügen zu reißen, das sie um ihre eigene, dunkle Vergangenheit gesponnen hat. Doch die Zeit drängt – sie muss Annabelle finden, bevor es zu spät ist.
Die Hauptfigur Charlie ist eine sehr komplexe Person. Sie ist stark und schwach, intelligent und destruktiv zugleich. Sie ist kontrolliert, was ihre Arbeit angeht, aber ihr Privatleben gerät oft genug außer Kontrolle durch exzessives Saufen und durch die falschen Männer. Charlie leidet unter einem Kindheitstrauma und nimmt Medikamente gegen ihre Angststörungen. Ihre größte Angst ist es, wie ihre Mutter Betty zu werden, die psychologische Probleme hatte und diese mit Alkohol zu dämpfen versuchte.
Der Roman ist in verschiedenen Zeitebenen angesiedelt und die Geschichten werden auch aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Da heißt es als Leser dranzubleiben. Langsam, aber spannend und stimmig, lösen sich die Fäden auf.
Es hört nie auf
Oslo ist 1942 von den Nazis besetzt. Die Jüdin Ester kämpft im Widerstand - bis sie verraten wird. In letzter Sekunde gelingt ihr die Flucht nach Schweden. Ihre Familie jedoch wird deportiert. Sie versucht ihr Leben lang, die Schuldigen zu finden, die dies ihrer Familie angetan haben.
In Stockholm trifft Ester den Widerstandskämpfer Gerhard Falkum, der ebenfalls aus Oslo geflohen ist. Er steht unter Mordverdacht
an seiner Frau Åse, Esters bester Freundin, die mit ihm Tochter Turid hat, die in Folge bei Adoptiveltern aufwachsen muss. Gerhard ist ein
undurchsichtiger, aber verführerischer Typ und Ester verliebt sich in ihn. Gerhard fällt aber einem Attentat zum Opfer. Der Verdacht, dass er Åse
umbrachte, konnte nie ausgeräumt werden und beschäftigt Ester, die wieder nach Oslo zurückgekehrt ist, Jahrzehnte später noch. Denn plötzlich taucht Gerhard in ihrem Leben erneut auf,
als er sich bei einem einst gleichgesinnten Kämpfer, Sverre Fenstad, meldet und ihn zwingt, dass er Kontakt zu Turid herstellen soll.
Gleich zu Beginn ist man von der Story „Die Frau aus Oslo“ von Kjell Ola Dahl (Juni 2019, Lübbe) fasziniert, dann heißt es aber, sich gut zu konzentrieren beim
Lesen, weil die Zeitebenen – der Roman spielt 1942, 1967 und 2015 - und Perspektiven aus mehreren Sichtweisen der Protagonisten wilde Sprünge vollführen - mit sehr detailliert beschriebenen
Handlungen, Namen, Ortsbezeichnungen und zum Teil nicht gleich schlüssigen Geschichten. Am Anfang jedes Kapitels sind das aktuelle Jahr und der Ort aber immer als Überschrift angegeben, weshalb
man bei den Zeitenwechseln den Überblick behält. Manches bleibt aber rätselhaft in diesem Katz-und-Maus-Spiel, wo die Figuren sich gegenseitig bespitzeln und misstrauen. Der Krieg wirkt auch
Jahrzehnte nach seinem Ende nach.
„Die Frau aus Oslo“ erhielt 2015 die Auszeichnung als Norwegens bester Krimi.
(JT 2019)
Das ABC einer Reise nach Afrika
Gunther Geltinger widmet sich in seinem waghalsigen Roman „Benzin“ (März 2019, Suhrkamp) einer Langzeitbeziehung von homosexuellen Männern in der MidlifeCrisis.
Alexander und Vinz unternehmen eine Reise nach Südafrika, weil ihre Beziehung nach acht Jahren in eine Krise geraten ist und sie sich Klarheit verschaffen wollen, wie es mit ihnen weitergehen soll. Vinz hatte sich nämlich neu in einen anderen Mann verliebt.
Das homophobe Land zwischen Wohlstand und Armut soll Vinz, er ist Schriftsteller, auch gleich eine Idee für seinen neuen Roman liefern.
Als sie auf ihrem Roadtrip einen jungen Mann – Unami aus Simbabwe - anfahren, fühlen sie sich dem Fremden verpflichtet und bezahlen ihn, als er, der nur leicht verletzt wurde, sich als Guide anbietet. Aber war der Unfall überhaupt ein Unfall? Die Spannungen verschärfen sich und vor allem Vinz beschleicht die Sorge um ihre eigene Sicherheit. Die Welt des Paares gerät immer mehr aus den Fugen.
Der Autor schreibt seine durchaus komplexe Geschichte über Vorurteile, Vertrauen und Verrat mit einem unerbittlichen Blick auf durchaus verstörende, jedoch auch schöne Bilder Afrikas und der schwulen Gesellschaft. Es gelingt ihm ein Spannungsbogen wie in einem Krimi. Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit Überschriften des fortlaufenden Alphabets tituliert, so dass sich daraus das große ABC der Beziehungsreise ergibt.
8 Frauen. 48 Stunden, 1 Mann
Miriam Toews schreibt mit „Die Aussprache“ (März 2019, Hoffmann und Campe) einen philosophischen Roman über die archaische Welt der Mennoniten. Die Kanadierin,
selbst ehemals Mennonitin, gibt damit einen Einblick in eine geschlossene Welt, in der die Frauen unwissend gehalten werden, Analphabetinnen sind und als Gebärmaschinen missbraucht werden, aber
nicht nur das. Jahrelang wurden sie von den Männern der Mennonitengemeinde Molotschna, in der sie leben, nachts betäubt und vergewaltigt - ob alte Frau oder kleines Kind, ob Schwester, Nichte
oder Tochter.
Sie haben versucht, mit dem, was geschehen ist, zurechtzukommen. Jetzt aber reicht es den Frauen, denen ihr Leid lange nicht geglaubt wurde. Während ihre Peiniger in der nahen Stadt, die sie natürlich nicht kennen, vor Gericht stehen, treffen sie sich heimlich auf einem Heuboden und beraten darüber, was sie in Zukunft machen wollen. Sollen sie bleiben oder gehen? Bleiben sie, dann müssen sie verzeihen, so ist es in ihrer Religion vorgesehen. Gehen sie, müssen sie in einer ihnen gänzlich unbekannten Welt den Neuanfang wagen.
Da die 8 Frauen der Familien Friesen und Loewen
nicht schreiben und lesen können, haben sie August Epp, der eine Außenseiterposition in der Kolonie einnimmt, gebeten, ihre Sitzungen zu protokollieren. Epp ist in eine der Frauen, Ona, die nach
einer Vergewaltigung schwanger ist und als nervenkrank gilt, verliebt.
Diese Protokolle, in denen auch Augusts Vergangenheit aufgerollt wird, sind die Grundlage des Romans. Die Frauen diskutieren, lassen Pro- und Contralisten anlegen, doch so schnell werden sie sich
nicht einig. Sollen sie in einem Leben bleiben, das sie kennen, Seite an Seite mit ihren Peinigern, oder wirklich die Kolonie verlassen, und damit vieles aufgeben?
Der Plot klingt vielversprechend, ist es auch in Zeiten von #metoo, das Buch ist jedoch sehr anspruchsvoll und man muss sich mit dieser Geschichte erst zurecht finden, speziell mit dem komplizierten Stil der Autorin, der angesichts der ungebildeten Frauen gekünstelt wirkt. Eine sparsamere Sprache wäre wünschenswert gewesen bei dieser seltsamen Geschichte.
Kein Sommer ohne Brunetti
Auf Donna Leon kann man sich verlassen! Jedes Jahr beschert sie uns einen neuen Brunetti-Krimi. Heuer: "Ein Sohn ist uns gegeben: Commissario Brunettis achtundzwanzigster Fall" (Mai 2019, Diogenes).
Was wäre auch ein Sommer ohne die Tischgespräche des Commissarios mit seiner Frau Paola, die Plaudereien mit Vianello in der Bar, die Szenen mit Vice Questore Patta oder Signorina Elletra in der Questura?
Natürlich geht es auch diesmal um einen Kriminalfall, wenn auch der Mord sehr spät passiert!
Gonzalo Rodríguez de Tejeda – ursprünglich aus Spanien stammend – hat im Kunsthandel ein Vermögen gemacht. Nun verbringt er seinen Lebensabend in Venedig und stellt sich die Frage, ob seine Familie, die mit seinem homosexuellen Lebenswandel noch nie einverstanden war und der er als schwarzes Schaf gilt, seine Schätze erben soll oder vielleicht doch der junge, galante Marchese Attilio Circetti, den er zu adoptieren gedenkt?
Brunettis Schwiegervater, Conte Orazio Falier, fürchtet, seinem Freund Gonzalo könne Übles zustoßen. Der Commissario soll helfen. Er soll sich ganz ohne Aufsehen umhören, wer dieser potentielle Günstling ist.
Bei einem Dinner bietet sich die Gelegenheit, Gonzalo - er ist der Patenonkel von Paola - zu treffen und den neuen an seiner Seite erstmals zu begutachten. Ist er ein Windhund und nur hinter dem immensen Reichtum von Gonzalo her?
Gonzalo bekommt natürlich Wind von den
Ermittlungen des Conte. Er überzeugt Brunetti, seine Entscheidungen zu akzeptieren und ihn in Ruhe zu lassen.
Wochen später erreicht den Commissario die traurige Nachricht vom Tod Gonzalos. Er besuchte seine Schwester in Madrid. Die Reise war scheinbar zu viel für sein altes Herz ... oder auch
nicht!
Und ewig werken die Erben!
Einstimmung auf eine Reise nach Lissabon
Der ehemalige Ermittler der deutschen Polizei, Henrik Falkner, hat sich unter der Sonne Portugals ein neues Leben aufgebaut. In der Altstadt Lissabons betreibt er ein Antiquariat, in dem sein verstorbenen Onkel Martin exotische Exponate angesammelt hat, von denen so manche auf vergangene Verbrechen hinweisen.
Luis Sellano macht in seinen Krimis rund um Falkner richtig Lust auf eine Reise nach Lissabon! Neu erschienen ist jetzt in der Reihe „Portugiesisches Blut“ (April 2019, Heyne).
Als die junge Brasilianerin Paula Cardenas Henrik einen geheimnisvollen Brief zeigt, nimmt ein neuer Fall seinen Anfang. Paulas Mutter fiel einst einem Verbrechen zum Opfer, sie ist auf der Suche nach den Mördern. Die Spur führt zu dem legendären Schamanen Don Alfredo.
Dann verschwindet Paula spurlos. Mit der schönen Polizistin Helena begibt Henrik sich auf die Suche nach ihr und findet sich ganz schnell in ein Netz aus Rache, Korruption und Familienbande verstrickt.
Abenteuerlich.
(JT 2019)
Tyll, ein Gaukler
Daniel Kehlmann's „Tyll“ (März 2019, rororo) gibt es nun auch als Taschenbuch – für alle, die diesen sprachgewaltigen Roman über eine legendäre historische Figur und eine aus den Fugen geratene Welt bisher versäumt haben. Ein Lese-Muss.
Aber Achtung: Kehlmann's Schreibstil ist nichts für Leseanfänger und die Geschichte ist mehr als komplex.
Tyll Ulenspiegel - Vagant, Schausteller und Provokateur - wird zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Müllerssohn geboren. Sein Vater, ein Magier und Welterforscher, gerät mit der Kirche in Konflikt. Tyll muss fliehen, die Bäckerstochter Nele begleitet ihn. Auf seinen Wegen durch das von den Religionskriegen verheerte Land begegnen sie vielen kleinen Leuten und einigen der sogenannten Großen. Ihre Schicksale verbinden sich zu einem Zeitgewebe, zum Epos vom Dreißigjährigen Krieg. Und mittendrin Tyll, jener rätselhafte Gaukler, der eines Tages beschlossen hat, niemals zu sterben.
„Tyll“ ist sicher Kehlmann's wichtigstes Buch, ein große, phantastische Geschichte. Durchaus brutal, aber auch romantisch, voll Bilder über Macht und ihren Missbrauch, unterhaltsam, verblüffend, schwierig, schalkhaft und komisch, ernst und bitter.
Ein Epos.
Guter Mörder
Jeong Yu-jeong schreibt mit „Der gute Sohn“ (Jänner 2019, Unionsverlag) einen Thriller, der nichts für „ein eben mal schnell einen Krimi lesen“ ist. Die Namen der Protagonisten, der Fall, um den es geht, der Schreibstil – alles ein wenig schwierig. Aber: es zahlt sich aus, dranzubleiben. Als Leser muss man sich die nötige Zeit für dieses Buch nehmen.Yu-jin ist der perfekte Schüler, der erfolgreiche Schwimmer, der gute Sohn. Doch eines Morgens ist alles anders. Er erwacht von einem metallischen Geruch. Seine Klamotten sind blutverschmiert, rote Fußspuren führen zu seinem Bett. Schließlich macht er eine entsetzliche Entdeckung: seine Mutter liegt tot im Wohnzimmer, die Kehle sauber durchtrennt. Jedoch sind seine Erinnerungen an den letzten Abend wie ausgelöscht. Er versucht, die bruchstückhaften Bilder zu einer Lösung zusammensetzen. Was ist geschehen? Und wieso scheinen alle Hinweise auf ihn selbst zu deuten? Yu-jin ist seit seiner Kindheit Epileptiker. Aber weil die Medikamente seine Wahrnehmung und sein Gefühl immer wieder beeinträchtigen und auch einige körperlich unangenehme Nebenwirkungen habe, setzt er diese in Stressphasen gerne mal ab und riskiert lieber eine Episode. Und so verwundert es ihn nicht wirklich, dass er zur Zeit der Abschlussprüfungen seines Juraexamens nach vier Tagen ohne Medikamente auf einmal einen Filmriss hat.Die verschlungene Mutter-Sohn-Geschichte ist düster, beklemmend und unheimlich. Die Spannung ergibt sich durch die Ungewissheit. Ist Yu-jin einfach nur ein abgebrühter Psychopath? Nichts ist so, wie es scheint zu sein. Abgründig.
Der amerikanische Süden ist kein Ponyhof
John Grisham's neuer Roman „Das Bekenntnis“ (März 2019, Heyne) schwankt zwischen den Genres Krimi, Familiengeschichte und Gerichtsdrama – er ist nicht das beste Buch des Autors, aber seine Fans werden trotzdem ihre Freude daran haben!
Pete Banning ist einer der angesehensten Bürger der Stadt Glanton, Mississippi. Der hochdekorierte Kriegsveteran hat es als Oberhaupt einer alt eingesessenen Familie mit dem Anbau von Baumwolle zu Reichtum gebracht. Er ist ein aktives Mitglied der Kirche, ein loyaler Freund, ein guter Vater, ein verlässlicher Nachbar. Doch eines Morgens im Oktober 1946 wendet sich das Blatt. Banning fährt zur Kirche und erschießt den Pfarrer. Die Gemeinde ist erschüttert, und es gibt nur eine einzige Frage: Warum? Der Täter aber schweigt nach einem kurzen Kommentar, dass er nichts zu sagen hat – auch im Angesicht einer drohenden Todesstrafe während des Prozesses.
Der Plot klingt gut, jedoch ist die Geschichte ein wenig zäh erzählt, aber Grisham als Chronisten des amerikanischen Südens zu folgen, bringt es schon!
In Venedig ist das Böse immer und überall
Gerhard Roth hat nach seinem ersten Venedig-Werk – Die Irrfahrt des Michael Aldrian – nun „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind schon hier“ (April 2019, S.Fischer Verlag) rund um den lebensmüden Emil Lanz, einen Übersetzer, der allein in einem Haus auf dem Lido von Venedig lebt, veröffentlicht. Streift man mit Lanz (bzw. eigentlich Roth) durch die Serenissima, dann entsteht sofort ein Kopfkino und man ist schon mitten im Geschehen, auch wenn Roth wie immer anfangs ein wenig behäbig ist in seinem kunterbunten Durcheinander eines Romans, der vorgibt ein Krimi zu sein, der aber mit der Zeit strukturierter und sinnhafter wird.
Der introvertierte Protagonist Lanz beschließt, seinem eintönigen Leben ein Ende zu setzen. Den Tod seiner Frau durch einen Flugzeugabsturz hat er nicht überwunden, mit seinem Leben hat er abgeschlossen. Auf der Suche nach einem guten Platz zum Sterben betrinkt er sich und schläft ein.
Als er erwacht, beobachtet er einen Mord. Aber ist wirklich passiert, was er gesehen hat? Oder ist sein Selbstmordversuch doch gelungen, und er bewegt sich von nun an in einer anderen Dimension?
Als einziger Zeuge des Mordes gerät Lanz jedoch in höchste Gefahr. Er, der eben noch sterben wollte, will nur noch überleben. Welche Rolle spielt Julia Ellis, eine Fotografin, welche das tote Flüchtlingsmädchen am Strand? Lanz nimmt es mit einem übermächtigen Gegner auf – dem Unsichtbaren. Ein Gegner, der über Leichen geht.
Wo ist die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit? Der Autor spielt gekonnt mit seiner Figur quasi ein Shakespeare-Stück zwischen dem Zauberer Prospero, Caliban und dem Luftgeist Ariel.
Fazit: die Wirklichkeit ist mehr als wir wahrnehmen!
(JT 2019)
Spiel das Spiel ohne Grenzen
Jilliane Hoffman veröffentlicht mit „Nemesis“ (März 2019, Wunderlich) den 4. Teil ihrer unglaublich spannenden C.J.Townsend Serie. Nach den Thrillern „Cupido“, „Morpheus“ und „Argus“, allesamt Bestseller aus gutem Grund, wollen die Leser wissen, wie es weitergeht mit C.J.
Voraussetzung für die Lektüre von „Nemesis“ ist es, die Reihe zu kennen, sonst „schwimmt“ man ein bisschen beim Lesen und kennt sich nicht aus.
Staatsanwältin C.J. Townsend ist in Miami auf der Spur eines perversen Spiels eines geheimen Clubs im Internet. Sie sucht heimlich nach den dreizehn Männer, die viel Geld bezahlen, um per
Live-Stream dabei zu sein, wenn junge Frauen brutalst vergewaltigt werden und sterben müssen. Die schönen jungen Frauen sind ahnungslose Kandidatinnen im mehr als grausamen „Spiel ohne Grenzen“
und werden nach ihrem Tod einfach wie Abfall entsorgt.
C.J. weiß alles über die perverse Inszenierung der Morde des Snuff-Clubs. Seit dem Tod ihres Peinigers William Bantling alias Cupido kennt sie die Namen der Mitglieder, die zu reich und einflussreich sind um jemals von der Justiz belangt zu werden. Wenn sie weitere Morde verhindern will, muss C.J. das Gesetz in die eigenen Hände nehmen. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit und C.J. mutiert zur gnadenlosen Rächerin. Sie ist Nemesis, die Rachegöttin.
An C.J.'s Seite sind wieder ihr Mann Dominick Falconetti – die beiden versuchen gerade, ein Kind zu adoptieren, das eine drogensüchtige Mutter erwartet – und Detective Manny Alvarez, dessen große Liebe Daria DeBianchi vom Snuff-Club getötet wurde. Dominick ahnt C.J.'s Geheimnisse bezüglich Bantling, der sie einst brutalst vergewaltigt hat und den sie dann endlich unter die Erde bringen kann - aus Rücksicht auf ihre gemeinsame, sehr brüchige Beziehung, schweigt er aber zu diesem Thema.
Ob Hoffman wohl einen 5. Teil schreiben wird? Das Böse ist ja immer und überall!
Seine Frau muss weg!
„Mein“ von JL Butler (März 2019, rororo) wird aus der Sicht von Francine Day erzählt.
Die Londoner Scheidungsanwältin, am Weg zur Kronanwältin, muss noch bei einem Fall punkten um karrieremäßig durchzustarten. Da kommt der Fall Joy genau zur richtigen Zeit.
Martin Joy will sich von seiner Frau Donna scheiden lassen. Der attraktive Unternehmer ist millionenschwer und Francine beginnt eine verbotene Affäre mit ihrem Mandanten.
Als Donna kurz darauf spurlos verschwindet, gerät Martin ins Visier der Ermittlungen. Doch auch Francine hat ein Geheimnis. Und sie ist nicht nur die Anwältin und Geliebte des Hauptverdächtigen, sie ist auch die letzte Person, die die hochnäsige Donna Joy gesehen hat.
Francine Day ist in ihrer Rolle keine Sympathieträgerin, ihre Hintergedanken können auh nicht alleine durch ihre bipolare Störung erklärt werden. Wie weit würde sie gehen um Martin, den Mann ihres Lebens, zu behalten?
Die Autorin legt für die Leser zwar Spuren aus, aber Donna's Schicksal bleibt seltsam offen, in einem Fall, dem der letzte Twist trotz einer unerwarteten Auflösung etwas fehlt.
Kopf oder Zahl
Bei Marc Elsberg wird immer Fiktion zur Realität – man denke nur an seinen Bestseller „Blackout“, der den Lesern das Gruseln lernte ob all der Sachen, die so möglich sind.
Sein neues Buch „Gier – Wie weit würdest du gehen?“ (Februar 2019, Blanvalet) ist ein spannender Thriller rund um eine neue Wirtschaftskrise, für die bei einem Sondergipfel in Berlin Lösungen gesucht werden sollen.
Der Nobelpreisträger Herbert Thompson soll dort eine Rede halten, die die Welt verändern könnte, da er angeblich die Formel gefunden hat, mit der Wohlstand für alle möglich wäre. Jedoch sterben bei einem Autounfall er und sein Assistent Will Cantor, bevor er die Rede halten kann.
Es gibt einen Zeugen, der weiß, dass es kein Unfall, sondern Mord war.
Jan Wutte, ein Krankenpfleger, der zufällig mit seinem Rad vorbei kam, als der Wagen verunfallte, will erste Hilfe leisten und hört noch die letzten Worte von Cantor. Schneller als er schauen kann, sind ihm die Mörder dicht auf den Fersen! Die Polizei glaubt ihm nicht und meint, er hätte etwas mit dem Vorfall zu tun. Wutte taucht unter und trifft auf Fitzroy Peel, der Cantor kannte.
Sie stoßen bei ihren Recherchen auf Aufzeichnungen rund um Ernteerträge von Bauern, die mehr Fragen als Antworten aufwerfen. Auch Jeanne Dalli, eine Hedgefonds-Managerin ist ratlos, woran Cantor gearbeitet hatte. Aber sie kennt die Rede von Thompson. Wutte, Peel und Dalli suchen nach der Wohlstands-Formel und befinden sich damit rasch mitten in einem sehr gefährlichen Spiel zwischen ahnungslosen Polizisten, Verfolgern, die ihnen nach dem Leben trachten und einem skrupellosen Tycoon.
Der Autor versucht, dem Leser komplexe ökonomische und soziale Fragestellungen näherzubringen und baut mathematische Grundlagen einer Spieltheorie in die Handlung seines Science-Thrillers ein. Elsbergs bestechende Erzählkunst lässt selbst mathematisch vollkommen ungeschulte Leser seine Zahlenspiele halbwegs begreifen, wenn man sich auch manchmal die Erkenntnis mühsam erlesen muss!
Mord unterm Birnbaum
Der feingeistige Karl-Dieter hat seinen Lebensgefährten Hauptkommissar Mütze endlich zu einer vergnüglichen Fahrradtour auf Fontanes Spuren durch die Mark Brandenburg überreden können, die endet aber schnell, weil sie unter einem Birnbaum einen Mann mit eingeschlagenem Schädel finden. Auf dem Handy des Toten ist ein Foto eines geköpften Wolfes. Natürlich beginnt Mütze trotz Urlaub direkt mit den Nachforschungen und bietet dem zuständigen Polizisten Treibel sofort Amtshilfe an, denn er ermittelt lieber, als dass er Fahrrad fährt!
Johannes Wilkes schreibt in „Der Fall Fontane“ (Feb. 2019, Gmeiner-Verlag) ohne Klischees über das liebenswerte und eigentlich coole schwule Pärchen, das in diesem Fall gut zusammenarbeitet, auch wenn sich die beiden mal zoffen über ihre Heirat oder eine geplante Adoption. Während Mütze ermittelt, macht Karl-Dieter Urlaub und lernt Leute aus dem Umkreis des Toten kennen. So kommen sie der Lösung schon ziemlich nahe. Der Schlüssel scheint irgendwie bei Theodor Fontane zu liegen. Hängt es mit Fontanes Geheimnis zusammen, das die Forschung totschweigt oder war der Tote seiner Ehefrau im Weg? Und wer ist der Mann, der im Fontane-Kostüm durch Neuruppin läuft?
Man merkt, dass Wilkes ein Fontane-Spezialist ist und sich in der Mark Brandenburg gut auskennt.
Da macht der „sanfte“ Krimi fast Lust auf eine Reise in diese Gegend.
(JT 2019)
Die Puppe
Elena Ferrante's vierbändige Neapolitanische Saga – bestehend aus »Meine geniale Freundin«, »Die Geschichte eines neuen Namens«, »Die Geschichte der getrennten Wege« und »Die Geschichte des verlorenen Kindes« – ist ein weltweiter Bestseller. Nun erschien »Frau im Dunkeln« (Februar 2019, Suhrkamp) in neuer Übersetzung. Wieder geht es um die Geschichte von Frauen.
Leda ist 47, geschieden, unterrichtet Englisch an der Universität in Florenz, und hat Lust auf Urlaub. Die erwachsenen Töchter Bianca und Marta sind beim Vater in Kanada, und Leda muss sich eingestehen, dass sie Erleichterung empfindet, sich nicht um sie kümmern und sorgen zu müssen. Den heißen Sommer verbringt sie daher in einem süditalienischen Küstenort. Sie bereitet sich auf das neue UniSemester vor und genießt das Alleinsein. Am Strand macht sich neben ihr eine übermütig lärmende neapolitanische Großfamilie breit, darunter die noch junge Mutter Nina und deren kleine Tochter Elena, die hauptsächlich mit ihrer hässlichen Puppe Nani spielt. Leda beobachtet Mutter und Kind, zunächst fasziniert und wohlwollend, doch insgeheim voll Neid. Allmählich aber schlägt ihre Stimmung komplett um, sie tut etwas Unbegreifliches, heimgesucht von lange verdrängten Erinnerungen an ihre Kindheit, ihre Ehe, ihre Rolle als Mutter, ihre Karriere - denn nichts davon verlief problemlos.
Der Leser erlebt Leda als unzufriedene, labile und egozentrische Protagonistin, die eine KurzschlussHandlung setzt, über die man sich nur wundern kann.
Ferrantes Stil ist wieder sehr detailliert, für manche vielleicht auch zu langatmig, aber schreiben kann sie allemal!
Dr. Hunter – ermitteln Sie!
Im 6. Teil der Bestsellerreihe um Dr. David
Hunter – „Die ewigen Toten“ (Februar 2019, Wunderlich) von Simon Beckett - ermittelt der forensische Anthropologe in London in einer verlassenen Krankenhausruine
mit einer düsteren Vergangenheit.
Nur Fledermäuse verirren sich noch nach St. Jude. Das Krankenhaus ist seit Jahren stillgelegt und soll in Kürze abgerissen werden. Doch dann wird auf dem staubigen Dachboden eine Leiche gefunden,
eingewickelt in eine Plastikhülle. Die Tote, das sieht Hunter sofort, liegt schon seit längerer Zeit hier – und sie war schwanger. Durch das trockene und stickige Klima ist der Körper teilweise
mumifiziert.
Als beim Versuch, die Leiche zu bergen, der Boden des baufälligen Gebäudes einbricht, wird ein fensterloses Krankenzimmer entdeckt, das nicht auf den Plänen verzeichnet ist. Warum wusste niemand
von der Existenz dieses Raumes? Und warum wurde der Eingang zugemauert, obwohl dort nach wie vor Krankenbetten mit Leichen darin stehen?
Simon Beckett ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um Dr. Hunter macht süchtig, wenn auch der neueste Fall nicht der beste seiner Thriller ist. Der Fokus liegt sehr stark auf der Ermittlungsarbeit und auf der forensischen Anthropologie. Verwesungsvorgänge und daraus entstehende Rückschlüsse und Analysen scheinen hervorragend recherchiert. Spannung entsteht aus der Aufschlüsselung der Vergangenheit. Man kommt als Leser der Auflösung eigentlich kein Stück näher, trotzdem geschieht genug um mit Interesse weiterzulesen.
Beckett's finsterer Schreibstil über das Thema
Tod ist genial, wenn auch diesmal die Geschichte ein wenig dahin plätschert, man muss ihn auf sich wirken lassen, ein unbehagliches Gefühl inbegriffen.
Ein Killer geht um im Kiez
In Berlin läuft Arztgattin Vicky Meier frühmorgens durch den Park am Schöneberger Rathaus. Dabei entdeckt sie in den Büschen die Leiche eines halbnackten Mannes mit schlimmen Verletzungen, er ist gesteinigt worden. Der Tote ist ein schwuler Ex-Priester, der unangenehm aufgefallen ist durch seine Hetze gegen geflüchtete Muslime.
Kriminaloberkommissar Max Kühn muss im
Kriminalroman „Schöneberger Steinigung“ von Peter Fuchs (März 2019, Querverlag) in alle Richtungen ermitteln: unter Arabern im tatortnahen Flüchtlingsheim
und bei Antifaschisten, die dem rechtspopulistischen Mordopfer den Tod gewünscht haben. Christliche Fundamentalisten sind auch verdächtig, denn sie haben dem Toten das öffentliche Coming-out nie
verziehen.
Als ein AfD-ler den Mord politisch instrumentalisiert, eskaliert die Lage zwischen den diversen Gruppierungen. Danach bleibt in Schöneberg kein Stein mehr auf dem anderen.
Kühn und sein Team müssen sich Stück für Stück zwischen Attentaten und Hasspostings zur Wahrheit vorkämpfen.
Der smarte Krimi im Berliner Kiez ist alles andere als langweilig, wenn man auch dran bleiben muss ob all der Handlungsstränge und Mitwirkenden. Die politische Aktualität ist brisant.
Be my Eyes
Christine Brand schreibt mit ihrem Krimi „Blind“ (März 2019, Blanvalet Verlag) einen alles andere als üblichen Thriller. Das Buch rund um einen blinden Mann besticht durch Fachwissen, einen überzeugenden Plot, spannende Protagonisten, verschiedene Handlungsstränge und durch ein überraschendes, aber nachvollziehbares Ende.
Nathaniel Brenner ist seit seinem 11. Lebensjahr blind. Mit seiner Hündin Alisha lebt er trotzdem ein selbstständiges Leben. Milla Nova ist eine hartnäckige TV-Journalistin, ja, fast eine Schnüfflerin, die für eine gute Story alles gibt. Für ihre Sendung beim Schweizer Fernsehen, der Krimi spielt zwischen Zürich und Bern, hat sie einst einen Beitrag über den blinden Nathaniel produziert. Sandro Bandini, ihr Freund, ist Polizeichef der Abteilung Leib und Leben, ist unbestechlich und nicht immer einverstanden mit den Methoden von Milla. Carole Stein ist hochschwanger und bekommt Panik, wenn sie an die bevorstehende Geburt denkt. Als Vater für ihr Kind kommen fünf Männer in Frage, die nichts davon ahnen, weil sie keinen Mann, sondern nur ein Kind wollte.
Milla und Sandro sind gerade einem HIV-Skandal rund um einen Musiklehrer auf der Spur, als sie in Nathaniels Geschichte reingezogen werden. Er braucht Hilfe bei der Auswahl eines Kleidungsstückes und ist bei der anonymen App Be my Eyes mit einer Frau – später stellt sich heraus, dass dies Carole ist – verbunden, die ihm Ratschläge erteilt. Plötzlich hört er einen Schrei, dann bricht die Verbindung ab. Er ist sich sicher: Es muss ein Verbrechen passiert sein. Doch keiner glaubt ihm, es gibt keine Beweise, keine Spur. Gemeinsam mit Milla macht sich Nathaniel selbst auf die Suche nach der Wahrheit.
Die Autorin hält die Spannung bis zum Schluss aufrecht. Das Buch ist wie ein Puzzle! Die Lösung raffiniert!
(JT 2019)
Wer sind die Guten, wer die Bösen?
JP Delaneys Thriller „Believe me – Spiel dein Spiel. Ich spiel es besser“ (September 2018, Penguin Verlag“ wurde nach seinem Bestseller „The Girl Before“ sehnsüchtig erwartet. Der Krimi ist gut, aber sollte nicht an seinem Vorgänger gemessen werden!
Claire, die kein Geld hat und auch keine Greencard, finanziert ihr Schauspielstudium in New York mit einem lukrativen Nebenjob: Für Geld flirtet sie mit verheirateten Männern, deren Ehefrauen wissen wollen, ob sie ihnen wirklich treu sind. Doch die Frau von Patrick Fogler ist nicht nur misstrauisch – in ihren Augen liest Claire Angst. Und am Morgen nach Patricks und Claires Begegnung ist sie tot. Die Polizei verdächtigt den Witwer, und Claire soll helfen ihn zu überführen – wenn sie nicht will, dass die Polizei herausfindet, was sie selbst in der Mordnacht getan hat. Doch Patrick wirkt nicht nur beängstigend und undurchschaubar, er fasziniert Claire. Sie muss die Rolle ihres Lebens spielen um am Leben zu bleiben!
Raffinierte Wendungen führen die Leser ganz schön in die Irre! Die ein oder andere weniger hätte es auch getan. Trotzdem eine fesselnde Story.
Was man ke(ö)nnen muss!
Besorgte Erwachsene fragen sich, ob die jungen
Leute von heute eigentlich eine Allgemeinbildung haben, ein Wissen, auf dem sie aufbauen können, wenn es um das Suchen bei Google geht oder bei der Hilfe, welchen Berufsweg man beschreiten
möchte. Früher hätte man das in der Schule gelernt, aber jetzt?
Heutzutage wird viel über Strukturen und Formen des Lernens gestritten. Das geht aber am Kern der Sache vorbei, erklärt Thomas Kerstan, Bildungsredakteur der ZEIT. Stattdessen muss wieder über
die Inhalte diskutiert werden. Kerstan begreift Bildung als den Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.
Hundert Werke, die unsere Kinder – und nicht nur die – kennen müssen, stellt Thomas Kerstan kurz und unterhaltsam in seinem Buch „Was unsere Kinder wissen müssen. Ein Kanon für das 21.
Jahrhundert“ (Aug. 2018, Edition Körber) vor. Hundert Werke aus Musik, Mathematik und Malerei, aus Literatur und Naturwissenschaft, aus Geschichte, Philosophie und Politik. Bücher sind
ebenso darunter wie Filme, TV-Serien, Songs, Gemälde oder Fotos.
Mit seinem Kanon öffnet Thomas Kerstan den Blick für die Breite der Allgemeinbildung. Er will dazu inspirieren, sich einmal auf die Relativitätstheorie einzulassen, ein
Computerspiel kennenzulernen oder Geschichte zu entdecken. Oder ganz allgemein: Wissenslücken zu schließen. Das gilt auch für Erwachsene!
Bildung ist nun mal wichtig, auch wenn Google vorgaukelt, man bräuchte nur nachschauen, wenn man etwas wissen will, blöd nur, wenn man nicht weiß, welches Schlagwort man eingibt!
Verhängnisvolle Geheimnisse
Alafair Burke schreibt mit ihrem Thriller „The Wife“ (Februar 2019, atb Aufbau Taschenbuch) über die intimsten Geheimnisse des Ehepaares Angela und Jason Powell. Dabei dreht sie heftig an der Spannungsschraube bis zum bitteren Ende.
Der Leser weiß von Anfang an, dass vieles nicht
stimmt bei den Powells, dass beide etwas zu verbergen haben, aber was? Auch wenn man mitunter glaubt, die Auflösung müsste schneller gehen und man beim Lesen ungeduldig wird, heißt es
dranbleiben, es zahlt sich aus!
Als die junge Mutter Angela Jason Powell auf einer Party in den Hamptons trifft – sie kellnert dort - denkt sie nicht, dass der renommierte Wirtschaftsprofessor sich für sie interessieren könnte,
doch zu ihrer Überraschung verliebt sich Jason in sie. Er heiratet sie und nimmt ihren Sohn Spencer auf, als wäre es sein eigener. Endlich glaubt Angela, ihre dunkle Vergangenheit, sie war als
junges Mädchen Opfer einer Entführung, hinter sich lassen zu können.
Sechs Jahre später ist Jason dank eines Buches zu einem Star geworden, da wirft ihm die junge Studentin Rachel vor, sie sexuell belästigt zu haben. Jason behauptet, unschuldig zu sein. Angela weiß nicht, wem sie glauben kann, Jason und seiner Anwältin Olivia Randall oder Detective Corinne Duncan, der Ermittlerin, Jason's Freund Colin Harris oder ihrer Mutter Virginia Mullen,entschließt sich aber, voll hinter ihrem Mann zu stehen. Mit allen Konsequenzen. Da beschuldigt Kerry Lynch Jason, sie vergewaltigt zu haben.
Burke setzt die einzelnen ErzählPuzzleteile gekonnt zusammen, das ganze Bild rund um das Psychogramm einer seltsamen Frau mit allen perfiden Verwicklungen, Drehungen und Wendungen entsteht mit der Zeit.
Das Böse ist immer und überall!
Die Hölle des Max Bischoff Von Arno Strobel ist man es gewöhnt, dass er seine Leser mit Genuss quält und perfekt mit ihren Ängsten und jenen seiner Protagonisten spielt! Das haben seine Bücher rund um den Düsseldorfer Ermittler Max Bischoff in der Serie „Im Kopf des Mörders“ bereits bewiesen. Im dritten Teil „Toter Schrei“ (Jänner 2019, Fischer Taschenbuch) hat Kommissar Max Bischoff grauenvolle Angst. Seine Schwester Kirsten, die sich bereits seit Wochen nicht mehr sicher fühlte, wurde entführt und wird gefoltert. Der unbekannte Entführer zwingt Max zu unfassbaren Dingen.Tut er diese nicht, wird Kirsten sterben. Es ist klar, dass der Mann Max vernichten will. Max, der rasch Alexander Neumann, einen kaltblütigen Schwerverbrecher und ehemaligen Polizisten, verdächtigt, sich an ihm rächen zu wollen, steht vor der Entscheidung: Soll er sein eigenes Leben retten oder das seiner Schwester? Strobel lässt den Kommissar in jede Falle tappen, wie einen Amateur agieren und plötzlich nicht mehr wissen, wem er vertrauen kann – seinem Partner Horst Böhmer, der durch den gewaltsamen Tod seiner Freundin auch Max nicht mehr vertraut, oder dem Kölner Kollegen Palzer, der Neumann auch kennt, und Max bei seinen waghalsigen Aktionen unterstützt. Spannend!
(JT 2019)
Die berühmt-berüchtigte Geschichte der Country Girls Cait und Baba
Edna O'Brien schrieb mit ihrer Country Girls-Trilogie einen Klassiker der irischen Literatur und verursachte einst damit einen öffentlichen Aufschrei und moralische Hysterie in der frauenfeindlichen, ultrakonservativen irischen Gesellschaft.
Man MUSS die drei Bücher „Die Fünfzehnjährigen“, „Das Mädchen mit den grünen Augen“ und „Die Glückseligen“ (Nov. 2018, Atlantik) unbedingt auch heute noch lesen um das Leben irischer Frauen in einer religiös besessenen Umgebung zu verstehen, ihre sexuelle Knechtschaft und politische Unsichtbarkeit. Es sind Schlüsselromane über die Kindheit und das Erwachsenwerden irischer Mädchen, die sich etwas trauen.
Caithleen und Bridget, genannt Cait und Baba, sind Schülerinnen am Beginn der Trilogie, keine Freundinnen. Cait hat eine herzensgute Mutter und einen dem Alkohol verfallenen Vater, sie lebt in einem ärmlichen Umfeld. Baba ist die Tochter des Tierarztes. Cait ist gescheit und Baba eifersüchtig auf sie, daher schikaniert sie sie. Sie landen beide in einer Klosterschule und bilden dort ein sonderbares Paar, bis sie der Schule verwiesen werden. Dann beginnt ihr Abenteuer. Eine neue Phase beginnt.
Im zweiten Band sucht Baba nach Männern für ihr Amusement und Cait lernt den eigenbrötlerischen Eugene kennen und mutiert zu Kate. O'Brien zeigt hier auf, welche Auswirkungen das Leben in einer Gesellschaft, die auf die Entmündigung der Frauen abzielt, auf Geist und Körper haben.
Der dritte Roman spielt in London, Jahre später. Kate und Eugene haben geheiratet und sich entliebt. Kate liebt nur noch ihren Sohn. Die Ehe zerbricht nach einer Affäre Kates mit einem verheirateten Mann endgültig. Kates Liebesverlust ist wie ein Selbstverlust. In diesem Teil wird die Geschichte nicht nur von der Person der Kate getragen, sondern O'Brien gibt Baba eine eigene Erzählstimme, die ziemlich vulgär ist.
Die Autorin zeigt weibliche Seelen, die nach Besserem suchen, die niemals aufgeben, wenn sie auch scheitern an all den Hindernissen in ihrem Leben.
Ehrlich beeindruckend!
(JT 2018)
Leere, Leidenschaft, Liebe
Grégoire Delacourt schreibt mit „Das
Leuchten in mir“ (Oktober 2018, Atlantik) einen grandiosen, sehr sinnlichen Roman über die rauschhafte Leidenschaft der 40jährigen Emmanuelle.
Emmanuelle ist seit achtzehn Jahren mit Olivier verheiratet und ist Mutter dreier Kinder, Louis, Léa und Manon, ihr Leben könnte theoretisch nicht besser sein. Dass ihr unterschwellig etwas
fehlt, merkt sie erst, als sie in einer Brasserie auf einen fremden Mann, auf Alexandre trifft. Sie weiß sofort Bescheid, dass sie für diesen Mann alles riskieren, alles aufgeben wird – koste es,
was es wolle. Sie muss diese Leere in sich einfach füllen.
Delacourt erzählt diesen emotionalen Roman über das weibliche Begehren und über die Frage, was die Liebe so aushalten kann, in einem bemerkenswerten zarten Stil. Man vergisst, dass hier ein Mann über das gefährliche Spiel mit dem Feuer, das Emmanuelle hier spielt, schreibt.
Der Stil von Delacourt ist nicht immer einfach zu lesen, aber jeder Teil des Buches ist in sich spannend, weil man die Lösung der dramatischen Liebesgeschichte unbedingt wissen möchte.
Ein Sittenbild
Elizabeth Day schreibt in einem beunruhigenden, fesselnden Stil mit „Die Party“ (September 2017, DuMont) ein faszinierendes Buch über eine obsessive Liebe, menschliche Abgründe und Grausamkeiten. Krimi und Gesellschaftsroman in einem. "Wie gut kennst du deinen besten Freund?" - der Untertitel des Thrillers lässt schon ein erahnen, wohin die Geschichte letztendlich führen wird.
Martin Gilmour ist ein Einzelgänger, ein durchschnittlicher Mitläufer. Aufgewachsen in trostlosen Verhältnissen, seinen Vater hat er nie kennengelernt. Seine Mutter hasst er bis zum heutigen Tag und meidet den Kontakt mit ihr, wo es nur geht.
Es gibt nur einen Menschen, der ihm wirklich etwas bedeutet: Ben. In seinem Leben dreht sich alles darum, Ben zu gefallen und ähnlich zu sein, er verstellt sich komplett, ist ihm fast hündisch ergeben. Ben ist das genaue Gegenteil von Martin: attraktiv, beliebt, reich. Durch seinen Freund lernt er die Welt der Oberschicht, der Privilegierten, kennen und genießt es, dazuzugehören. Er tut alles für Ben – wirklich alles.
Die Jahre vergehen, Martin und Ben heiraten. Aber nach Jahren des Selbstbetrugs hat auch Lucy das begriffen. Ihr Ehemann Martin mag sie und braucht sie, aber Liebe? Liebe empfindet er nur für den Freund. Längst hat Martin, in scheinbarer Selbstlosigkeit, dafür gesorgt, dass dieser sich nie von ihm lösen kann. Bens kleiner Schatten, nennt ihn Bens Ehefrau Serena. Doch grenzenlose, krankhafte Hingabe kann lästig werden – so wie eine gemeinsame dunkle Vergangenheit. Ben muss Martin loswerden.
Ein psychologischer Machtkampf der anderen Art. Spektakulär wird manipuliert und im bösen Schlamassel gelandet.
Die Autorin befriedigt des Lesers Sensationsgier, der natürlich wissen will, wie die Party endet!
Zeit – was ist das eigentlich?
Gibt es so etwas wie Zeit überhaupt? Kaum etwas interessiert theoretische Physiker von Rang so sehr wie der Begriff der Zeit. Das Mysterium der Zeit wird von allen großen Physikern versucht zu enträtseln.
Carlo Rovelli meint, dass es uns immer dorthin zieht, wo die Zeit am langsamsten vergeht.
Kommen wir doch dem allem näher mit seinem Buch
„Die Ordnung der Zeit“ (August 2018, Rowohlt).
Wenn es ums Elementare geht, darum, was die Welt im Innersten zusammenhält, kommen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Formeln der großen Theorien nicht vor. Aber geht es wirklich ohne
die Zeit? Um diese Frage dreht sich das aufregende Buch des italienischen Ausnahme-Physikers.
Leben wir in der Zeit oder lebt die Zeit vielleicht nur in uns? Warum der physikalische Zeitbegriff immer weiter verschwimmt, je mehr man sich ihm nähert, warum es im Universum keine allgemeine
Gegenwart gibt, warum die Welt aus Geschehnissen besteht und nicht aus Dingen und warum wir Menschen dennoch gar nicht anders können, als ein Zeitbewusstsein zu entwickeln: Rovelli nimmt uns mit
auf eine spannende Reise voller Regeln und Rätseln.
Ein Lese-Abenteuer und Denkansatz auch für Laien, denen die Zeit einfach oft nur zu schnell oder auch zu langsam vergeht!
Ein seltsames Spiel
John Grisham schreibt mit „Das Original“ (August 2017, Heyne) einmal keinen kaltblütigen Justizthriller, sondern lässt Menschen jenseits von Gerichtssälen eine Rolle spielen. Er ist ein sehr guter Erzähler.
In der Geschichte geht es darum, dass Manuskripte von F. Scott Fitzgerald mit unschätzbarem Wert aus der Universitätsbibliothek Princeton gestohlen wurden. Das FBI übernimmt die Ermittlungen in diesem spektakulären Fall und es kommt bald zu mehreren Festnahmen. Aber ein Täter und mit ihm die Manuskripte bleiben verschwunden.
Eine Spur führt nach Florida zu Bruce Cable, einem Buchhändler, der jedoch jede Schuld von sich weist. Selbst eine verdeckte Ermittlerin kann kein Licht in die Sache bringen, spielt doch Cable ein perfides Spiel mit den Ermittlern.
Spannender Schmöker!
(JT 2018)
Der Traum vom perfekten Kind
Steffen Jacobsen's Thriller „Hybris“ (Sep. 2018, Heyne) dreht sich um eine Sache, von der wir eigentlich alle nicht wirklich etwas wissen oder wissen wollen. Im Mittelpunkt stehen manipulierte Gene und skrupellose Ärzte rund um die Geschichte eines kranken Millionärs, der nach dem perfekten Erben sucht.
Eine junge Frau wird tot aufgefunden. Sie hat eine Schusswunde am Rücken, und ihre Kleider sind von Salzwasser durchtränkt. Kurz vor ihrem Tod hat sie sich ihren Namen und ihr Geburtsdatum in die Haut geritzt. Ist das ein versteckter Hinweis auf den Täter, fragt sich Kommissarin Lene Jensen, die den Fall übernimmt? Es stellt sich heraus, dass die Frau vor kurzer Zeit ein Kind geboren hat.
Unterdessen wird Lene's NochEhemann Michael Sander – die beiden haben ernsthafte Beziehungsprobleme, obwohl erst kurz verheiratet - mit der Suche nach einer seit Wochen spurlos verschwundenen Geigerin von derem Verlobten betraut. Die beiden Ermittler kommen einem Verbrechen auf die Spur, das an Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Beider Recherchen führen sie in die Klinik Genova Counseling, eine Geburtsklinik für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch.
Jaocbsen erzählt abwechselnd aus der Sicht verschiedener Charaktere. Mit der Zeit kann man vor lauter Spannung das Buch nicht mehr aus der Hand legen bis zum Showdown, wobei man sich vor lauter Wendungen schon mal verwirrt und überfordert fühlen kann.
Aufregendes Thema!
Fortsetzung folgt garantiert
Sebastian Bergman, die Hauptfigur in den Krimis von Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt ermittelt wieder. „Die Opfer, die man bringt“ (Okt. 2018, Wunderlich) sollte man aber vielleicht besser lesen, wenn man die Bände von Hjorth & Rosenfeldt, die davor erschienen sind, auch schon kennt.
Kriminalpsychologe Bergman hat sich damit abgefunden, dass er Kommissar Höglunds Team bei der Reichsmordkommission verlassen musste. Er widmet sich seinem Buchprojekt und hält Vorträge, einzig zu Tatortanalytikerin Ursula hat er noch Kontakt. Seine Tochter Vanja will ihn weder sehen noch sprechen.
Vanja arbeitet inzwischen bei der Polizei in Uppsala, sie ermittelt in einer perfiden Vergewaltigungsserie. Als die Reichsmordkommission eingeschaltet und auch Sebastian Bergman hinzugezogen wird, trifft das Team von einst wieder zusammen:
Alte Konflikte drohen zu eskalieren. Und der brutale Vergewaltiger schlägt weiter zu. Bei der Suche nach ihm verdichten sich die Hinweise, dass er seine Opfer nicht zufällig auswählt. Doch gleich mehrere Personen scheinen verhindern zu wollen, dass die Verbindung zwischen den Frauen ans Licht kommt und der Täter gefasst wird.
Die Autoren spannen das zwischenmenschliche Geflecht zwischen Bergman und dem Team immer weiter und flechten so manche überraschende Wendungen ein. Der Band endet so, daß man ziemlich klar weiß, dass ein nächster kommt.
Ganz klar eine Empfehlung für Bergman-Fans!
In den Wäldern Kanadas lauert der Tod
Louise Penny gilt als die kanadische Donna Leon. Sie schreibt weltweit erfolgreiche Krimis rund um den charismatischen Ermittler Armand Gamache, dem Polizeichef von Québec.
In den Wäldern Kanadas, nur eine Stunde von Montréal entfernt, liegt das idyllische Dorf Three Pines, wo Gamache ein Wochenendhaus hat.
Am Morgen nach Halloween legt sich ein Schatten über Three Pines. Mitten im Dorf steht eine düster verkleidete Gestalt. Niemand weiß, wer sie ist und was sie vorhat. Auch Gamache kann ihr kein Wort entlocken. Was sollte er auch tun? Herumzustehen ist schließlich keine Straftat. Aber spätestens als eine Leiche gefunden wird, bricht Unruhe aus.
Monate später, als der Fall vor Gericht kommt, zweifeln alle an der Kompetenz des Superintendent. Und auch Gamache ist sich nicht sicher, ob sein Plan wirklich aufgeht.
Penny schildert seinen riskanten Plan in „Hinter den drei Kiefern“ (September 2018, Kampa Verlag) sehr spannend.
Todtraurig
Philippe Besson schreibt mit „Hör auf
zu lügen“ (Oktober 2018, C. Bertelsmann Verlag) die tragische Geschichte einer homosexuellen Liebe - authentisch und zutiefst berührend, ist sie doch seine Geschichte, quasi
ein "Brokeback Mountain" aus Frankreich.
Philippe ist 17 Jahre alt und ein Außenseiter. Als hochbegabter Sohn des Schuldirektors, der wenig Kontakt zu den Mitschülern hat, lebt er in einem französischen Provinznest. Er fühlt sich von
seinem Klassenkameraden Thomas, einem geheimnisvollen und charismatischen Winzersohn, angezogen und ist ganz verblüfft, als dieser sein Interesse erwidert. Thomas wird seine erste und große
Liebe. Eine Liebe, die nur im Verborgenen gelebt werden darf und die für Thomas tragisch endet, weil er, geprägt durch die ländlichen Konventionen, seine sexuelle Identität sein Leben lang
verleugnen wird.
Besson schildert unsentimental, ohne Gefühlsduselei, sehr eloquent die Zwänge der Moral, eine schwule Liebe und die Selbstverleugnung.
Fazit: Wir alle müssten aufhören, uns und andere anzulügen, wir müssten zu uns stehen, damit wir ein erfülltes Leben führen könnten. Wenn es nur so leicht wäre!
(JT 2018)
Pflichtlektüre für Italophile
Der Roman „Alle, außer mir“ (Juni 2018, Verlag Klaus Wagenbach) der römischen Autorin Francesca Melandri ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern ein schonungsloses Porträt und Sittengemälde Italiens im 20. Jahrhundert, eine Geschichte des Kolonialismus und seiner langen Schatten, die bis in die Gegenwart reichen.
Die vierzigjährige Lehrerin Ilaria, eine linke Moralistin, die sich von ihrem Geliebten Piero Casati trennt, weil er in der Berlusconi-Regierung mitarbeitet, glaubt, alles über ihre Familie zu wissen. Aber wer tut das schon wirklich? Eines Tages behauptet ein junger Afrikaner mit Namen Attilio Profeti, das ist der Name ihres Vaters, mit ihr verwandt, quasi ihr Neffe, der Sohn ihres Halbbruders, von dem sie keine Ahnung hatte, zu sein. Ihr faschistischer Vater – Ilaria glaubte immer, er wäre Partisan - ist mit seinen 95 Jahren zu dement, um noch Auskunft zu geben. Hier beginnt Ilarias Entdeckungsreise in die bisher verdrängte italienische Kolonialgeschichte, die Verbindungen Italiens nach Äthiopien und Eritrea bis hin zu den gegenwärtigen politischen Konflikten und dem Schicksal der Flüchtlinge und in den Werdegang ihrer Familie. Ihre Recherchen ergeben, dass ihr Vater drei Familien hatte, eine in Afrika, zwei in Italien.
Melandri zeigt in diesem komplexen Roman, was es bedeutet, zufällig im richtigen Land geboren zu sein, und wie Nähe und das Gefühl von Zugehörigkeit entstehen. Das Buch ist hinsichtlich der aktuellen Flüchtlingspolitik politisch brisant und birgt so manche Überraschung.
Wissen ist Macht
In seinem Roman „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ (Sep. 2018, Lübbe) verstrickt Andreas Eschbach geschickt Fakten und Fiktion miteinander. Er verbindet historische Ereignisse und Personen der Jahre 1933 bis 1945 mit der Technologie des 21. Jahrhunderts und kreiert so ein Schreckensszenario, indem er das WasWäreWennSpiel „Drittes Reich und Internet und Soziale Medien und die totale Überwachung“ beleuchtet.
Hätten Hitler und die Nazis das Internet und Mobiltelefone usw. gehabt, hätte sich niemand vor der Gestapo oder der SS mehr verstecken können - der gläserne Mensch wäre den Mächtigen hilflos ausgeliefert gewesen.
Die Programmiererin Helene Bodenkamp arbeitet 1942 in Weimar im Nationalen Sicherheits-Amt und entwickelt dort Programme, mit deren Hilfe alle Bürger des Reichs überwacht werden. Ihr Vorgesetzter ist Eugen Lettke, ein Datenanalyst. Beide stehen den Nazis skeptisch gegenüber.
Anhand von Auswertungen der Daten rund um einen Haushalt und der darin lebenden Personen, gelingt es dem NSA, untergetauchte Personen aufzuspüren. Helene findet das beängstigend, während Eugen begeistert ist, kommt das doch seinen Vorlieben für Macht und Herrschaft entgegen. Er benutzt die perfekte Überwachungstechnik des Staates für ganz eigene Zwecke und überschreitet zunehmend jede Grenze.
Brandaktuell, wie immer von Eschbach superspannend und schonungslos brutal geschrieben. Lustig sind nur seine eingedeutschten Begriffe, zum Beispiel Elektrobrief für Email, sonst ist das Thema zum Gruseln.
Sonnenfinsternis
Kit freut sich, endlich mit einer Freundin seine Leidenschaft für das Phänomen einer Sonnenfinsternis zu teilen und mit seiner Laura dieses Ereignis in Cornwall zu erleben. Beide sind noch sehr jung und sehr verliebt. Da nimmt auch schon ihr Schicksal seinen Lauf, denn Laura glaubt, im fahlen Dämmerlicht Zeugin einer brutalen Vergewaltigung zu sein. Die Frau, Beth, schweigt dazu, der Mann, Jamie, bestreitet alles. Erin Kelly ist die Autorin von „Vier. Zwei. Eins. Vier Menschen. Zwei Wahrheiten. Eine Lüge.“ (August 2018, Scherz).
Der Thriller wird aus der Sicht der von
Panikattacken geplagten Laura und von Kit, diesem undurchschaubaren Sonnenfinsternisjäger, und auf mehreren Zeitebenen erzählt. Beide sind im Prozess gegen Jamie Zeugen. Laura lügt bei ihrer
Aussage und lebt danach in ständiger Angst, dass ihr jemand auf die Schliche kommt. Monate nach der Gerichtsverhandlung steht die vergewaltigte Beth plötzlich vor Lauras und Kits Tür und
schleicht sich auf merkwürdige Weise in ihr Leben. Sie will Laura zur Freundin, die ihr Halt auch in schlechten Zeiten gibt. Nur Kit scheint die Bedrohung zu sehen, die von ihr ausgeht.
15 Jahre später leben Laura und Kit unter falschem Namen an einem geheimen Ort. Keine Kontakte in die sozialen Medien, kein Eintrag im Telefonbuch, nur gelegentliche Telefonate. Etwas liegt noch
immer im Dunklen, Laura, die mit Zwillingen schwanger ist, fürchtet es, und sie ahnt, dass sie nur einen Teil des Puzzles kennt. Die Wahrheit kommt schließlich mit aller Macht ans Licht.
Die Story holpert anfangs ein wenig dahin und man weiß nicht genau, wohin die Autorin den Leser lenken möchte. Die Protagonisten sind schwierige Charaktere. Als Leser weiß man, dass da noch etwas
kommt. Und es kommt, also sollte man dranbleiben, trotz aller Unklarheiten!
Das Tempo und die Spannung steigern sich im zweiten Teil des Buches enorm. Erin Kelly dreht da die Geschichte komplett um. Das Ende des ganzen Lügengeflechts ist unvermutet und lässt staunen!
Raffinierte Verwirrungen.
Adoleszenz – kein Vergnügen
Nein, im neuen Buch von Wolf Haas - „Junger Mann“ (September 2018, Hoffmann und Campe) - geht es nicht um die Pubertät vom Brenner, dieser legendären Gestalt aus Haas' Romanen. Es geht um einen übergewichtigen 13jährigen Jungen in den 1970iger Jahren, der schon ziemlich an den Autor erinnert. Ob Fiktion oder Biografie, ist aber egal und bleibe dahingestellt, denn Haas ist Haas und man liest seine Werke einfach gerne in einem Rutsch ob ihres lakonischen schwarz-humorigen Wortwitzes. Völlig wurscht, ob das nun ein Krimi ist.Der namenlose Junge, Sohn eines alkohol- und spielsüchtigen Vaters, verbringt die Sommerferien bei seiner Mutter in der österreichischen Provinz. Er arbeitet an einer Tankstelle, wo er wegen seiner Frisur und seiner Figur für ein "Fräulein" gehalten wird. Unsterblich verliebt er sich in das zauberhafte Lächeln von Elsa, der Frau des Dorfhelden und LKW-Fahrers Tscho, versucht radikal abzunehmen und begleitet Tscho schließlich auf eine Fahrt ins griechische Saloniki, wohin der Fernfahrer Kühlschränke liefern soll, wo er aber auch noch ganz andere Geschäfte zu erledigen hat.Die Story ist eigentlich simpel, aber gut und unterhaltend und beim Lesen erinnert man sich an die eigene Jugend, die erste Liebe und den generellen Weltschmerz dieser Jahre. Wolf Haas erzählt die Geschichte in Andeutungen, in kurzen Sätzen und kurzen Kapiteln, ohne jede Geschwätzigkeit und Gefühlsduselei. Wunderbar!
(JT 2018)
Die niederländische Schriftstellerin Anita Terpstra veröffentlicht nach „Anders“ mit „Die Braut“ ihren zweiten Roman bei Blanvalet (Juli 2018).
An einem heißen Sommertag in Atmore, Alabama, setzt sich Mackenzie Walker, gekleidet in ein Brautkleid, ins Auto um Matt Ayers im hiesigen Gefängnis zu heiraten. Ihr Kennenlernen liegt erst sechs Monate und ein paar Briefwechsel zurück.
Mackenzies Umfeld reagiert mit Unverständnis. Warum geht eine junge Frau die Ehe mit einem Mann ein, der angeklagt ist, mehrere Frauen entführt zu haben und deshalb in der Todeszelle sitzt? Mackenzie wird öffentlich bedroht, doch sie versucht unbeirrt, Matts Unschuld zu beweisen und damit sein Leben zu retten. Als ihr das nicht gelingt, beschließt sie, ihm bei der Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis zu helfen. Denn für sie steht viel mehr auf dem Spiel als irgendjemand ahnt – und mit dem Tod von Matt Ayers wäre für Mackenzie alles verloren.
Entwurzelte Figuren in einem schwülen Ambiente in einer rasend schnellen Erzählung. Frauen tun der Liebe wegen dumme Dinge. Oder doch nicht?
Karen Ellis hat unter dem
Namen Kate Pepper bereits zahlreiche Thriller veröffentlicht, u.a. „5 Tage im Sommer“. In ihrem neuen Thriller „Die im Dunklen“ (Juli 2018, rororo) lässt sie Elsa Myers als
FBI-Expertin für Fälle von verschwundenen Kindern und Jugendlichen ermitteln. Diese weiß aus bitterer Erfahrung, was es heißt, ein verlorenes Kind zu sein ... Sie soll nach der 18jährigen Ruby
suchen, einem Mädchen aus vorgeblich behüteten Verhältnissen. Elsa passt das gar nicht in ihren privaten Kram, liegt doch ihr Vater im Sterben. Schnell wird ihr klar, dass Rubys Verschwinden mit
mehreren ungelösten Fällen in Verbindung steht. Die Suche nach dem Mädchen wird zur Jagd nach einem ziemlich miesenUnbekannten, der vermutlich schon seit Jahren sein Unwesen treibt.
Irgendwo in einer einsamen Höhle im Wald starren derweilen drei Mädchen, gefesselt und geknebelt, auf einen metallenen Werkzeugkoffer ...
In „Perfect Girlfriend – Du weißt, du liebst mich“ (Juni 2018, Blanvalet) schildert Karen Hamilton die fehlgeleitete Liebe der Elizabeth Juliette Price zu Nate Goldsmith. Elizabeth weiß genau, was sie will und wen sie will. Blöd nur, dass Nate, ihr One-Night-Stand aus Highschool-Zeiten, sie nach der gemeinsamen Nacht auf einer Schulparty ignoriert und sie auch nach einer kurzen Liaison einfach wieder rausschmeisst aus seinem Leben. Um ihm nahe zu sein, wird sie Flugbegleiterin bei der Airline, für die er als Pilot arbeitet. Nun ist sie Juliette und hat einen Plan, wie sie Nate zurückgewinnen wird. Sie ist einfach die perfekte Freundin! Und stalkt ihren Liebsten, der den Fehler begeht, sich in Katie zu verlieben. Juliettes Liebe schlägt in Hass um. Zum Fürchten! Solche Frauen gönnt man nicht mal seinen liebsten Feinden. Böse.
Andreas Winkelmann ist einer der erfolgreichsten deutschen Thriller-Autoren. Im Roman „Das Haus der Mädchen“ (Juni 2018, rororo) legt er nach einem heftigen Beginn wieder geschickt falsche Spuren! Oliver beobachtet, wie eine Person in einem Transporter, einen blutigen Handabdruck an der Scheibe hinterlässt. Kurz darauf folgt der kaltblütige Mord an Oliver und der Schrecken nimmt seinen Lauf. Freddy Förster, ein Obdachloser, früher ein erfolgreicher Geschäftsmann, beobachtet das und sucht fortan den Mörder.
Dann kommt die junge Leni ins Spiel. Sie kommt nach Hamburg für ein Praktikum. Über eine Zimmervermittlung mietet sie sich in einer Villa am Kanal ein. Schnell freundet sie sich mit ihrer Zimmernachbarin an - aber die ist am nächsten Morgen spurlos verschwunden. Weil ihr das merkwürdig vorkommt, sucht sie nach ihr. Freddy trifft auf Leni. Bald begreifen die beiden, dass ihre beiden Fälle mehr miteinander zu tun haben, als ihnen lieb ist - und dass sie in großer Gefahr schweben. Gruselig und spannend!
(JT 2018)
Der Neid ist ein Hund!
Die aus Graz stammenden Autorinnen Christine Grän und Hannelore Mezei haben mit „Glück in Wien“ (Jan. 2018, Ars Vivendi) einen humorvollen, mit Wiener Lokalkolorit gefärbten Krimi geschrieben.
Der Ermittler ist Chefinspektor Martin Glück, der sich - strafversetzt von Kärnten ins Wiener Polizeipräsidium – gerade fadisiert. Seine alte Wörthersee-Freundin Romana Petutschnig reisst ihn aus der beruflichen Lethargie.
Sie beerbt ihre verstorbene Cousine Sissy, eine Juwelierswitwe und reiche Hausbesitzerin im vornehmen Ersten Bezirk. Aber da sind noch andere Erben wie zum Beispiel die langjährige Haushälterin Maria Burgstaller, die aber am Weg zum Notar vor einen Zug fällt und auch tot ist. Romana äußert den Verdacht, dass bei den Sterbefällen nachgeholfen wurde.
Martin Glück heftet sich also an die Fersen seines mit Unlust ermittelnden Kollegen Leutnant „Fassl“ Faßbender, und befindet sich rasch in den abgründigen Kreisen der bitterbösen, durchaus illustren Erbschleicher.
Die Leichen halten Glück auf Trab – aber sind es Mordfälle oder nur Unfälle? Und dann wäre da noch Glück's Privatleben mit so Nebensächlichkeiten wie Frauengeschichten, Liebeskummer und Gummibärchen.
Lustiger Krimi ohne blutrünstiges Tschin-Bumm!
Die seltsame Fahrt von Herrn Ballon mit Frau Beier
Denis Pfabe's erster Roman „Der Tag endet mit dem Licht“ (Aug. 2018, rowohlt Berlin) schildert die eigenartige Reise der Textilkünstlerin Frida Beier durch den Mittleren Westen der USA vor 25 Jahren. Sie war, warum auch immer, von dem berühmten Kunststar Adrian Ballon, der für ein Kunstprojekt ganze Häuser zersägen ließ, dazu eingeladen worden. Frida, damals 29 Jahre alt, hielt sich zu dieser Zeit mit Jobs über Wasser und arbeitete in einem KellerAtelier, das unerträglich nach Terpentin stank. Scherner, ein Düsseldorfer Galerist, hatte Ballon auf sie aufmerksam gemacht, da dieser eine Begleitung suchte, die sich mit Webereien, Textilien und Verdunklungsstoffen auskennt.
Als einzige Frau zwischen einem Haufen grober
Arbeiter, die hinter ihr und dem schweigsamen Künstler, nachfuhren, und von Ballon ausgesuchte Fenster aus Häusern rausschnitten, kurvt sie in diversen Ferraris durch das Land. Als Ballon sich am
Ende der Reise in einem mitternachtsblauen Ferrari erschoss, am Rand der Stadt Paradise in Texas, aus der sein Vater stammte, hielt er ein Foto von sich und Frida in Händen – wie eine Botschaft,
die Frida nie verstand.
Sie beginnt nach seinem Tod, sein Tagebuch zu lesen. Und entschlüsselt langsam Ballons absurdes Werk und seine Botschaft . Warum sprach er so viel über den legendären Entführungsfall Charles F.
Urschel von 1933, der ebenfalls in Paradise endete und das kriminalistische Profiling begründete? Was wollte Ballon mit seinen Aktionen mitteilen? Und Frida muss erkennen, dass sie ein Teil
seines letzten, radikalen Werks war.
Der deutsche Autor erzählt von einem exzentrischen Mann, von Familie und Schuld; und von einer Frau, die die Dinge nicht begreift. Der Debütroman hat Stil und erzeugt wie manche Krimis einen
interessanten Spannungsbogen. Man bleibt dran der Geschichte, weil man wissen möchte, was Adrian Ballon eigentlich antreibt.
Kein Buch für LiteraturAnfänger, man muss schon ein fortgeschrittener Leser sein!
Die Liebe von Carla und Vito
Antonella Lattanzi erzählt in ihrem Debütroman „Noch war es Nacht“ (August 2018, Kindler) vom dramatischen Ende einer obsessiven Liebe.Es ist die Geschichte einer Leidenschaft in Rom, die außer Kontrolle gerät.
Vito war der einzige Mann in Carlas Leben. Sie
haben sich seit der Kindheit sehr geliebt, aber Vitos eifersüchtige Liebe war immer auch gewalttätig und demütigend. Erst als die älteren beiden Kinder, Nicola und Rosa, groß genug waren, um das
Haus zu verlassen, schafft es Carla, sich von ihrem Mann zu trennen und mit der jüngsten Tochter Mara auszuziehen. Aber Vito hört nicht auf, sie zu verfolgen, ihr zu drohen.
Zwei Jahre nach der Trennung, es ist der dritte Geburtstag von Mara, gibt Carla dem Drängen ihrer Tochter nach und ladet Vito zu der Feier ein. Es kommen auch Nicola und Rosa. Nach langer Zeit
ist die Familie wieder vereint und das Fest verläuft unerwartet gut. Aber nach jenem Abend ist Vito spurlos verschwunden. Als eine Leiche gefunden wird, steht Carla schnell im Zentrum einer
Mordermittlung.
Lattanzi überrascht bis zu den letzten Seiten immer wieder mit Wendungen und man hat das Gefühl, in einem Kino zu sitzen und einen Film zu sehen, vermutlich kommt da die Drehbuchautorin in ihr durch.
Ein Familiendrama wird zum Krimi. Und Rom spielt eine Hauptrolle.
Sehr italienisch!
Wenn die Freundschaft geht, aber der Schmerz bleibt
Claire Messud beschreibt in ihrem Roman „Das brennende Mädchen“ (August 2018, Hoffmann und Campe) die schmerzhafte Erfahrung, die die meisten vermutlich einmal mitgemacht haben: der schleichende Bruch in einer engen Freundschaft. Speziell der Verlust der ersten großen Freundschaft kann für das ganze Leben prägend sein und die Frage nach dem Warum stellt sich immer wieder.
Diese Erfahrung macht auch Julia mit Cassie, die sie eigentlich immer schon gekannt hat. Es fällt ihr schwer zu begreifen, wie sie sich verloren haben. Da war nichts, kein Streit, keine Eifersüchteleien. Julia spürt den vielen kleinen Dingen nach, die passiert sind seit jenem »Zwillingssommer« vor zwei Jahren, in dem sie nie daran gedacht hätte, dass sie nicht für immer und ewig Freundinnen bleiben würden.
Dieser Roman ist kein Jugendbuch, obwohl er von einer innigen Kindheitsfreundschaft handelt, vom spannenden Alter, in dem man vom Kind zum Erwachenen mutiert.
Die Autorin geht empathisch mit ihren Figuren um, zart und doch intensiv, analysiert messerscharf und meisterhaft die Freundschaft der Mädchen.
Außergewöhnlich.
(JT 2018)
My favourite Books V
Die Welt der Bücher habe ich früh für mich entdeckt.
Lesen lässt mich dem stressigen Alltag entfliehen und entführt mich in eine Welt voller Fantastereien.
Lesen machte und macht mir immer Freude.
Ich hoffe, meine Tipps und Lieblingsbücher schaffen auch für Sie
Freiräume zum Träumen.
Herzlichst,
Ihr Bücherwurm
Lilly Tampier
Illustration by Edward Runci
Nach dem Tod seines Vaters, eines besessenen Spielers, der das Familienvermögen durchgebracht hat, ist Philip Wardmann Familienoberhaupt und wohnt, zusammen mit seinen beiden Schwestern, noch immer zu Hause bei seiner Mutter Christine. Dann lernt Philip bei der Hochzeit seiner Schwester Fee Senta Pelham, eine der fünf Brautjungfern, kennen. Senta, eine Kindfrau mit fast farblosen Augen, strahlt eine unerklärliche Faszination aus, und Philip kann es nicht fassen, dass sie ausgerechnet ihn mag. Immer tiefer gerät er in den unheimlichen Bann seiner Geliebten, bis er von dieser Beziehung verschlungen zu werden droht. Die fatale Liebe auf den ersten Blick zwischen Erotik und Dämonie gleitet ab. Denn Senta verlangt von Philip einen ganz besonderen Beweis seiner Liebe – einen Mord. Aber Philip hasst nichts so sehr wie Gewalt. Die Brautjungfer von Ruth Rendell lässt die Leser nicht kalt und macht Angst in bester Qualität!
Herzog Leto, Oberhaupt des Hauses Atreides, erhält Arrakis zum Lehen, den Wüstenplaneten, eine lebensfeindliche und doch sehr begehrte Welt, denn unter dem Sand liegt das Gewürz Melange, eine Droge, die den Menschen die Gabe verleiht, in die Zukunft zu sehen. Damit ist Arrakis heiß umkämpft, bildet die Droge doch die Grundlage der interstellaren Raumfahrt. Als Letos Armee in einen tödlichen Hinterhalt der Harkonnen gerät und der Herzog im Kampf fällt, flieht sein Sohn Paul Artreides in die Wüste und taucht bei Arrakis‘ Ureinwohnern, den Fremen, unter. Diese erkennen in ihm den lange vorhergesagten Messias, und Paul rüstet sich zu einem gnadenlosen Rachefeldzug. Der Science-Fiction-Roman Der Wüstenplanet von Frank Herbert erzählt eine komplexe und kunstvolle Geschichte eines verstrickten Machtkampfes - nicht nur über die Kontrolle über Melange. Science Fiction at its best!
Kristin Lavranstochter von Sigrid Undset, die 1928 den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist ein bewegender Roman über ein Frauenschicksal im mittelalterlichen Norwegen. Kristin ist dieTochter eines wohlhabenden und angesehenen Bauern und lebt die Ideale ihrer Zeit, d.h. sie hat eine starke Bindung zur Familie und die angstbestimmte christliche Frömmigkeit. Sie nimmt es deshalb hin, dass ihr Vater sie mit Simon Darre verheiraten will. Um Kristin herum wachsen die Spannungen - Neid, Gewalt, Rachsucht bestimmen das Leben. Nachdem sie knapp einer Vergewaltigung entgeht, sucht sie in einem Kloster Schutz bis zu ihrer Hochzeit. Ausgerechnet hier findet sie die Liebe ihres Lebens, den Ritter Erlend Nikulaussonn. Es gelingt ihr, Simon zu einem Verzicht auf ihr Eheversprechen zu bewegen und ihren Vater Lavrans zu überreden, in die Ehe mit Erlend einzuwilligen. Doch Kristin trägt den Brautkranz mit schlechtem Gewissen: Sie ist zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits schwanger. Erlend verstrickt sich in politische Machtkämpfe und gerät wegen Landesverrats in Gefangenschaft. Durch den Einfluss Simons, der noch immer zu Kristin hält, kommt er wieder frei, verliert jedoch sein gesamtes Vermögen. Kristin findet sich mit dem sozialen Abstieg schnell zurecht, Erlend dagegen vernachlässigt Hof und Familie, überwirft sich schließlich mit Kristin und verlässt sie. Als Kristin erneut von ihm schwanger wird, geht das Gerücht um, sie habe ein außereheliches Verhältnis. Erlend kommt ums Leben, als er seiner Frau im Streit gegen ihre Verleumder beistehen will. Die Witwe erfüllt sich schließlich ihren Jugendtraum und geht ins Kloster. Hier stirbt sie nach einigen Jahren während einer Pestepidemie. Das Streben einer Frau im Mittelalter nach Selbstbestimmung erscheint gerade heute wieder sehr modern.
Mit sprachlicher Brillanz und psychologischem Raffinement lotet Michael Köhlmeier in seinem Buch Dein Zimmer für mich allein die abgründigen Spielarten menschlicher Beziehungen aus. Ein namenloser Mann in einem fremden Land
versäumt seinen Zug, den er an einer Station nur kurz verlassen hat. Ohne Sprachkenntnisse, ohne Papiere und Gepäck, quasi mittellos macht er sich auf die Suche nach einem Unterschlupf für die
Nacht und richtet sich notdürftig in einem Raum eines halbfertigen Wohnblocks ein. Als er durch Zufall an den Schlüssel zur Wohnung einer jungen Frau im selben Haus gerät, schleicht er sich von
nun an tagsüber dort ein. Er ißt von ihren Lebensmitteln, wäscht dort seine Wäsche, liest ihre Bücher. Eines Tages vergißt er ein Hemd in der Wohnung der Frau: doch bedeutet dies wider Erwarten
nicht das Ende der heimlichen Mitbewohnerschaft. Der Leser wird zum Voyeur.
Von einem Moment auf den anderen verliert die Hauptperson von Fredrik Skagens spannendem Roman Schwarz vor Augen in einem Pub, als er auf seine Frau wartet, sein Gedächtnis und jede Erinnerung an seinen Namen, seine Vergangenheit, seine Familie, seine Freunde. Nur die schlimme Ahnung eines schrecklichen Ereignisses ist ihm geblieben, eine unklare Vision eines Verbrechens. Währenddessen versucht Linda Blix aufgeregt, ihren Mann Steinar zu finden, der offensichtlich nach einem Nervenzusammenbruch orientierungslos in London herumirrt. Das norwegische Ehepaar hat schlimme Zeiten hinter sich, denn Steinar wurde beschuldigt, seine Geliebte umgebracht zu haben, weil sie vorgab, ein Kind von ihm zu erwarten. Trotz seines Freispruchs vor Gericht verfolgen ihn die Medien weiterhin als Täter.Natürlich zweifelt auch Linda an ihm. Für Steinar, der sich als Gordon eine Existenz aufzubauen versucht, wird die Suche nach seiner Vergangenheit und seiner Erinnerung zur verzweifelten Suche nach dem wirklichen Täter und dem Beweis für seine Unschuld. Die Story hat unglaubliche Spannungsbögen bis zum überraschend logischen Schluss, weiß der Leser auch nicht mehr als der Mann mit Gedächtnisverlust. Ein Buch, das man kaum aus der Hand legen kann.
Auf den Weiten des Meeres
Ian McGuire schreibt mit „Nordwasser“ (Feb. 2018, mare Verlag) einen unglaublichen, kriminellen Abenteuerroman, der im 19. Jahrhundert spielt und sich um Walfänger dreht, die von Nordengland nach Grönland schippern. Die Einsamkeit des Nordpolarmeers bildet die Kulisse für den dramatischen Roman um Gut und Böse.
Lässt man sich auf die historische Mischung ein, dann ergeben sich ganz von alleine die Stichworte: düster, fesselnd, eindringlich, kalt, brutal, grausam, wuchtig, finster, schockierend. Der Leser berührt menschliche Abgründe und ist in der Handlung rettungslos gefangen. Zartbesaitete muss man warnen. Es stinkt förmlich im Buch nach Fusel, Schweiß, Blut und gut gefüllten Nachttöpfen! Wer sich aber mit der Volunteer auf See begibt, wird belohnt mit einer extremen und mitreißenden Handlung.
Henry Drax kennt kein Gewissen. Er ist
Harpunierer auf der Volunteer, ein Vergewaltiger und Mörder noch dazu. Ebenfalls an Bord ist Patrick Sumner, ein Arzt von zweifelhaftem Ruf, der glaubt, schon alles gesehen zu haben. Alles dreht
sich um den Konflikt zwischen den beiden Männern. Der Sinn der verhängnisvollen Expedition wird zunehmend klar.
Schrecklich erschütternd und schrecklich faszinierend.
Babylon ermittelt „Schlüssel 17 " (Feb. 2018, Ullstein TB) ist der neue Thriller von Marc Raabe. Erstmals lässt erTom Babylon und die Psychologin Sita Johanns ermitteln. Sie fahnden nach dem Mörder der Berliner Dompfarrerin Dr. Brigitte Ries, die wie ein schwarzer Engel an Seilen im Dom aufgehängt wurde. Tom Babylon sucht seit Jahren nach seiner kleinen Schwester Viola. Viola hatte an dem Tag vor ca. 20 Jahren, an dem sie verschwand, einen Schlüssel mit der Nummer 17 bei sich. Obwohl man ihm damals eine Leiche gezeigt hat, glaubt er nicht an ihren Tod. Als er den grotesk drapierten Körper von Ries in der Kuppel des Berliner Doms sieht, fällt ihm sofort der um den Hals liegende Schlüssel mit der Nummer 17 auf. Aber wo ist die Verbindung und hat es etwas mit dem Verschwinden seiner Schwester zu tun ? Es bleibt auch nicht bei einem Mord und alle Opfer haben so einen Schlüssel bei sich. Babylon verstrickt sich immer mehr in den Fall, zum Unwillen von Sita Johanns, die glaubt, er hätte etwas zu verbergen. Die Spannung ist hoch und Raabe verbirgt geschickt Mörder und Motiv.
Agoraphobie - Gefesselt im Kopf
A.J. Finn beschreibt mit seinem Roman „The Woman in the Window – Was hat sie wirklich gesehen?“ (März 2018, blanvalet) den Alptraum der Anna Fox.
Anna, eine Kinderpsychologin, lebt allein in einem großen Haus in New York. Untermieter David versorgt sie mit dem täglichen Notwendigem. Sie kann nach einem traumatischen Erlebnis ihre vier Wände nicht mehr verlassen und verbringt ihre Tage damit, mit Fremden online zu chatten, andere Agoraphobiker in einem Online-Forum zu beraten, trinkt viel zu viel Alkohol, schaut alte Schwarzweißfilme, spielt Schach am Computer – und beobachtet und fotografiert ihre Nachbarn durchs Fenster. Mehr oder minder ist sie von den vielen Medikamenten gegen ihre Depressionen und Panikattacken und dem Merlot dauernd zugedröhnt.
Eines Tages ziehen die Russels ins Haus gegenüber ein – Vater Alistair, Mutter Jane und Sohn Ethan. Bei dem Anblick vermisst Anna mehr denn je ihr früheres Leben mit Mann Ed und Tochter Olivia, mit denen sie zwar telefonischen Kontakt hat, die aber nicht mehr mit ihr leben. Ethan und Jane Russel besuchen sie. Anna verbringt schöne Stunden mit ihnen. Kurze Zeit später wird sie Zeugin eines brutalen MesserÜberfalls auf Jane und wählt den Notruf. Sie will helfen. Doch sie traut sich nach wie vor in ihrer Panik nicht, das Haus zu verlassen und fällt in Ohnmacht. Als sie erwacht, will ihr niemand glauben, denn angeblich ist nichts passiert. Hat ihr ihre Fantasie einen Streich gespielt? Alistair behauptet, seine Frau wäre gar nicht da und präsentiert eine „neue“ Jane, die Anna klar macht, dass sie sie in Ruhe lassen soll.
Der Leser kennt nur die Perspektive der psychisch desolaten Anna und weiß nicht, was er glauben soll. Das Debut ist Finn wahrlich gelungen!
Wer ist die Katze, wer die Maus?
Greer Hendricks & Sarah Pekkanen gelingt mit „The Wife between us – Wer ist sie wirklich?“ (Mai 2018, rowohlt Polaris) ein grandioser Beziehungsroman, der einem superspannenden Krimi ähnelt. Die Geschichte, die in New York City spielt, wird aus mehreren Perspektiven erzählt und hat so manche Wendungen und Überraschungen parat, die umwerfend sind. Das raffinierte, rasant geschriebene Buch ist ein PageTurner. Man kann einfach nicht aufhören zu lesen ob all der klugen, schockierenden, beängstigenden Ereignisse!
Dreh- und Angelpunkt der Story ist Richard, ein Traummann, ein Ritter auf dem weißen Pferd sozusagen. Attraktiv, charismatisch, reich, großzügig. Er ist Waise und hängt sehr an seiner Schwester, die sich um seine Erziehung gekümmert hat. Aber etwas stimmt nicht mit ihm. Seine Ex-Frau Vanessa kann seinen Traummann-Status nicht mehr unterschreiben, sie ist seit der Scheidung ein Wrack, das bei ihrer Tante Charlotte lebt, bei Saks als Verkäuferin arbeiten muss, zu viel trinkt, psychisch völlig instabil ist und besessen von dem Gedanken, ihre Nachfolgerin vor einer Heirat mit Richard beschützen zu müssen.
Dann ist da Nellie, eine junge Frau aus Florida, mit so manch dunklem Geheimnis, die ihr Glück nicht fassen kann, dass Richard sie heiraten will. Sie liebt alles an ihm und weist so manchen Hinweis von Freunden und Familie zurück, dass da etwas nicht ganz okay mit ihm sein könnte. Und schließlich gibt es noch Emma.
Es wäre hier nicht klug, weitere Inhalte oder Twists zu enthüllen!
Das Buch ist ein Meisterwerk an Spannung und rittert sicher mit um den Titel „Buch des Jahres“!
(JT 2018)
Schräg, skurril, Suchanek!
Rainer Nikowitz und sein AntiHeld Suchanek sind ein wahnwitziges Gespann! Auch im 3. Band der Suchanek-Romane geht es für den Protagonisten wieder drunter und drüber. In „Altenteil“ (Dez. 2017, Rowohlt Taschenbuch Verlag) herrscht ein heilloses Chaos, bei dem der Leser Tränen lacht, bis das Lachen dann irgendwann vor Schaudern im Hals erstirbt – vielleicht weil man bemerkt, dass man, außer man stirbt jung, auch einmal alt werden wird ...
Der Suchanek hat, weil schon wieder im Drogensumpf, Sozialstunden in einem Altersheim aufgebrummt bekommen. Man braucht schon einen guten Magen zwischen all der Pisse der alten Schwachköpfe und den Menschen, die sterben wie die Fliegen. Suchanek will den Monat mit Nachmittagsbingo, Schnabeltasse und Erwachsenenwindel schnell hinter sich bringen, aber siehe da, schon ist er mitten in einem Kriminalfall. In einem Altersheim, wo doch sowieso alle von selber sterben!
Wie gehabt mit großem Sprachwitz schreibt
Nikowitz eine morbide Satire, unglaublich böse bis zum Ende, aber sehr vergnüglich.
Der Totentanz im Altersheim ist ein Fest für Leser, die schwarzen Humor lieben!
Faszinierend, schillernd, tödlich – Berlin in den goldenen 1920iger Jahren
Kerstin Ehmer schreibt mit „Der weiße Affe“ (Sep. 2017, Pendragon) ihren ersten Kriminalroman mit einem ungewöhnlichen Plot und einer schillernden Schilderung des brodelnden Berlins zwischen den Weltkriegen in der Weimarer Republik, wo der Bär steppte in einer sexuell offenen Szene und Antisemitismus sowie das aufkommende Nazitum schon zu spüren waren.
Ariel Spiro, ein junger Kommissar aus der Provinz mit eigenwilligen Ermittlungsweisen, ist eigentlich noch gar nicht richtig in Berlin angekommen, als er seinen ersten Fall mit seinem Partner Bohlke bearbeiten muss.
Ein jüdischer Bankier wird im Hausflur seiner
Geliebten erschlagen. Alles deutet auf ein politisches Motiv hin. Spiro kommt mit der exzentrischen Familie des Toten in Kontakt, speziell mit dem Sohn des Bankiers und gerät in den Sog der
Metropole mit ihrem rauschenden Nachtleben. Er ermittelt in zwielichtigen Etablissements, er raucht, er trinkt, er wird beklaut, taucht in die Homosexuellenszene ein und wird daraufhin für
schwul gehalten. Als er sich in die Tochter des Toten verliebt, muss Spiro aufpassen, dass ihm der Fall nicht entgleitet.
Da wo Licht ist, im Flair der Goldenen Zwanziger in Berlin, gibt es auch viele Schatten!
Wut
In Hamburg ereignen sich unerklärliche Mordfälle. Ein Chirurg stößt einem Patienten während einer OP ein Skalpell ins Herz, einem Mann wird auf offener Straße der Kopf mit einem Baseballschläger zertrümmert und ein Mensch wird absichtlich überfahren. Die Täter kennen die Opfer nicht persönlich, fühlten sich aber im Internet von ihnen gedemütigt und provoziert. Sie waren deshalb unermesslich wütend.
Ursula Poznanski und Arno Strobel lassen in „Invisible“ (März 2018, Wunderlich) die Kriminalkommissare Nina Salomon und Daniel Buchholz das Rätsel lösen. Wurden die Täter manipuliert, wenn ja, von wem und vor allem, wie? Was Salomon und Buchholz schließlich aufdecken, wirft ein ganz neues Licht auf die Dinge, die unser Leben bequem machen.
Salomon und Buchholz – die Teamarbeit
funktioniert nicht friktionsfrei - treten abwechselnd als Ich-Erzähler auf und berichten aus ihren Perspektiven über den komplexen Fall. Die Motivsuche ist schwierig. Es gibt kein verbindendes
Element zwischen Opfern und Tätern. Es besteht der Verdacht, dass die Täter nur ein Werkzeug des wahren Mörders sind. Mit Hilfe eines Mentalisten überlegt man, wer sich eigentlich als Objekt von
Manipulationen eignet, so dass man von einem unbescholtenen Menschen zum Mörder mutiert. Theorien werden aufgestellt und wieder verworfen.
Den beiden Autoren gelingt mit flüssigem Stil ein spannender, brandaktueller Krimi rund um einen Kriminellen, der selbst gar kein Blut vergießen muss um größtmöglichen Schaden
anzurichten.
Unmoralische Machenschaften
Jesper Stein schickt in „Aisha“ (Jan. 2018, KiWi Taschenbuch) seinen Kommissar Axel Steen nach einer krankheitsbedingten Pause wieder zum Ermitteln in einem neuen Fall, seinem vierten bisher. Steen ist ein kaputter Typ, psychisch instabil, mit einem Fuß immer am Rande des Wahnsinns, aber er ist auch ein furchtloser, sehr analytisch arbeitender Ermittler.
Ein ehemaliger Mitarbeiter des dänischen
Geheimdienstes PET, Sten Hoeck, wird brutal ermordet aufgefunden, und schon bald gibt es einen weiteren toten Ex-Kollegen. Axel stößt auf einen Anti-Terror-Einsatz des PET vor einigen Jahren, der
strengster Geheimhaltung unterlag. An diesem Einsatz waren seinerzeit nicht nur die beiden Mord-Opfer, sondern auch Steens Freundin Henriette und sein Rivale Jens Jessen beteiligt. Und es
erscheint immer der Name des Mädchens Aisha auf – was hat sie damit zu tun?
Neben den Ermittlungen, bei denen Steen in die Machenschaften des Mörders hineingezogen wird, stehen auch sein persönliches Leben und seine Tochter Emma im Mittelpunkt der Handlung.
Wer der Täter ist, weiß der Leser bis zum Schluss, der einen Knalleffekt bringt, nicht, das macht es spannend. Das Puzzle aus Gegenwart und Vergangenheit mit überraschenden Wendungen ist
dramatisch und ziemlich nervenaufreibend.
(JT März 2018)
So Grey – jo, eh!
E L
James kehrt in die dunkle LiebesWelt von „Fifty Shades“ und damit zur unendlichen Geschichte von Ana und Christian zurück – „Darker. Fifty Shades of Grey. Gefährliche Liebe.“ (Dez. 2017, Goldmann) wird wieder aus der Sicht von Christian Grey erzählt
und ist für die Millionen Fans dieser Serie ein Must have.
Kurz zum Inhalt: Die leidenschaftliche Affäre zwischen den Protagonisten endete in „Grey“ mit Schuldzuweisungen und gebrochenen Herzen, aber Christian kann
Anastasia Steele nicht vergessen. So versucht er, seine dunkelsten Begierden und sein Bedürfnis nach absoluter Kontrolle zu unterdrücken und Ana die BlümchenLiebe zu geben, nach der sie sich
sehnt. Ob ihm sein Therapeut Dr. Flynn helfen kann, sich seinen inneren Dämonen zu stellen? Oder wird die Obsession seiner beiden ehemaligen Geliebten, Elena und Leila, Christian zum Verhängnis?
Und hat die Liebe überhaupt eine Chance?
Die Bücher aus Grey‘s Sicht sind zwar noch immer im Stil von GroschenRomanen geschrieben, aber wer sagt, dass die immer schlecht sind, auf jeden Fall ist „Darker“ noch erotischer (geht das überhaupt?) als die Bücher aus Ana's Perspektive.
Das große Finale Endlich gibt es die deutsche Ausgabe von Band 4 der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante: „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ (Feb. 2018, Suhrkamp). Die beiden Freundinnen und auch Rivalinnen, die intellektuelle Lenu und die hinterlistige Lila, müssen sich wieder der grausamen Welt des verbrecherischen Neapels stellen, einer Welt der Männer, die ihr ganzes Leben bestimmt haben. Wer nun glaubt, dass die WortKünstlerin Ferrante mit ihren Büchern eine „leichte“ Kost nur für Mädchen und Frauen geschrieben hat, der täuscht sich gewaltig. Als Leser muss man dranbleiben – auch bei manchmal durchaus langatmigen Abschnitten - und erlebt eine wuchtige, faszinierende, nicht unkomplizierte Aufklärung über das chauvinistische Italien anhand des Lebensdramas zweier Frauen. Hier wird nichts beschönigt, Freundschaft wird auch als Konkurrenz gezeigt, Armut und Brutalität sind dargestellt, wie sie sind, drastisch. Der letzte Teil der Saga spielt zwischen 1979 und 2010 und ist düster und traurig. Lenus Traum, endlich mit Nino zusammen zu sein, der einst auch Lilas Geliebter war, scheint sich zu erfüllen. Im dritten Band lässt sie ihren Mann Pietro und die beiden Töchter sitzen um mit Nino durchzubrennen. Aber die Beziehung zu ihm nimmt eine unerwartete Wendung. Er betrügt alle, aber das ist von ihm auch zu erwarten gewesen. Das Auf und Ab zwischen Lila und Lenu geht weiter. Ob sie wohl zu ihrer gegenseitigen Zuneigung zurückfinden können? Die Leben der beiden Frauen könnten nämlich unterschiedlicher nicht sein. Man spürt auch, welchen Einfluss der Rione, Lenus neue alte Heimat, auf sie hat. Noch immer ist es ein Ort der Gewalt, eine Welt, die ihr fremd geworden ist. Lila, die den Rione nie verlassen hat, ist jedoch noch immer ein Teil davon. Wie wird das Ende sein: glücklich oder ein großer Zusammenbruch? Wir werden es nicht verraten!
Böse
Den meisten ist das Sinnbild der drei Affen bekannt: Nichts Böses sagen, nichts Böses sehen, nichts Böses hören. Der oft vergessene vierte Affe aber ermahnt: Tue nichts Böses!
Wer dieser Regel zuwider handelt, wird vom Fourth Monkey Killer bestraft. Bereits seit fünf Jahren terrorisiert er die Einwohner Chicagos und führt die Polizei und den Ermittler Detektive Sam Porter an der Nase herum.
Der berühmt-berüchtigte Fourth Monkey Killer entführt junge Frauen, schickt erst ein Ohr, dann die Augen und zum Schluss ihre Zunge, bevor das Opfer tot aufgefunden wird.
Als bei einem Verkehrsunfall ein Toter als der lang gesuchte Serienmörder identifiziert wird, weil er ein verdächtiges Päckchen mit einem abgeschnittenen Ohr mit sich trägt, scheint der Schrecken endlich beendet. Doch Porter ist nicht überrascht, als ganz in der Nähe ein Hinweis auf ein letztes Opfer des Killers gefunden wird, hat er doch seine Abgründe genau studiert.
J.D. Barker's Debüt „The Fourth Monkey – Geboren, um zu töten“ (Dez. 2017, blanvalet) ist hochspannend, aber nichts für zartbesaitete Nerven! Man muss schon ein gestandener KrimiLeser sein! Der Autor erzählt in Kapiteln mit der Überschrift „Tagebuch“ auch die Geschichte des Killers, wie er wurde, was er ist, ein Folterer und Mörder.
Zerrt an den Nerven!
Sich selbst zu lieben, ist eine große Kunst
Isabella Maria Kern ist uns schon mit ihrem Roman „Li“ zum Thema Zwangsprostitution positiv aufgefallen. In „Augustine -– In den Schuhen der anderen“ (August 2017, Iatros) beschäftigt sich die Autorin mit der Selbstliebe, dem SelbstwertGefühl.
Dabei geht es um die irreale Geschichte einer Frau, die mit Hilfe einer besonderen Gabe in die Körper anderer Frauen schlüpft um leidenschaftlichen Sex zu haben und sich wenigstens für kurze Zeit der Illusion hinzugeben, geliebt zu werden. Sie hat keinen Bezug zu ihrem persönlichen Wert und sieht sich nur in fremden Körpern als vollkommen an. Crazy!
Viele Menschen haben ein mehr als verzerrtes
Bild von sich selbst. Entweder glauben sie, dass sie fantastisch und attraktiv sind – oder eben auch nicht. Daher tragen sie eine Maske. So auch Augustine, die nicht glaubt, ihrer selbst willen
geliebt werden zu können. Als sie sich schließlich ernsthaft in Dominik verliebt, zwingt sie die Angst, nicht sexy genug zu sein, immer wieder in den Körper einer anderen zu schlüpfen, in
die sich dann ihr Angebeteter verliebt.
Augustine ist ein skrupelloser, rücksichtsloser Charakter, agiert immer krasser und versinkt völlig in einer Bösartigkeit, die Gänsehaut hervorruft. Es läuft alles aus dem
Ruder!
Nur eine Fiktion! Möge es dabei bleiben.
(JT 2018)
My favourite Books IV
Muss ich mich von Büchern trennen, dann ist das jedes Mal eine Tragödie!
Aber bedingt durch Platzmangel, wenn sich die Regale gefährlich nach unten wölben,
ist es einfach manchmal notwendig, Lesestoff weiter zu geben.
Ein Lesezirkel im Verwandten- und BekanntenKreis macht den Abschied leichter,
weiß man doch, dass die Zeilen, die einem selbst so unterhalten haben, in gute Hände kommen!
Natürlich gibt es aber Bücher, von denen ich mich nie verabschieden werde!
Die immer Raum haben werden, weil sie nicht für den EinmalGebrauch sind,
sondern sich als Lebensbegleiter rausgestellt haben.
Ich teile gerne mit Ihnen, liebe Leser, welche da für mich dazu gehören!
Ihre Lilly Tampier
John Irving-Fans dürfte es wohl kaum verwundern, dass Witwe für ein Jahr eines meiner Favourite Books ist. Es geht um Ruth Cole, der man an drei Wendepunkten ihres Lebens begegnet. Zuerst, 1958 in Long Island, ist sie gerade vier Jahre alt. Das zweite Mal treffen wir sie 1990 als unverheiratete Schriftstellerin in Frankfurt und Amsterdam. Der dritte Teil des Romans spielt im Herbst 1995 in Ruths Geburtshaus auf Long Island. Ruth ist 41, Witwe und Mutter und verliebt sich zum ersten Mal. Gleich zu Beginn ertappt die 4jährige Ruth ihre melancholische Mutter Marion in flagranti mit dem 16jährigen Eddie, nachdem dieser Ted -- Ruths Vater, dessen Ehe mit Marion nur noch auf dem Papier existiert -- nach einer von Teds Sauftouren wieder einmal nach Hause gefahren hat. Eddie schreibt den Rest seines Lebens Romane wie "Sechzig Mal", seinen Schlüsselroman über die 60 Mal, die er Marion verführt hat. Ted haben die auf Ruths Gute-Nacht-Geschichten basierenden Kindermärchen, wie z.B. "Die Maus, die zwischen den Wänden krabbelt", zu Reichtum und Ruhm verholfen haben. Marion verläßt schließlich Ruth, Ted und Eddie und wird eine erfolgreiche, unter einem Pseudonym schreibende Schriftstellerin. Ihre Tochter Ruth kann sie nicht lieben, da der Schmerz über den Verlust ihrer Söhne, die bei einem Autounfall vor deren Geburt ums Leben kamen, zu groß ist. Ruth ist Irvings erste weibliche Hauptfigur. Er zeigt, wie man einen Leser von der ersten Zeile an fesseln kann. Der Roman ist komisch und tragisch zugleich.
Doris Lessing schreibt in Und wieder die Liebe ironisch und herrlich abgeklärt über Liebe und Sexualität im Herbst des Lebens, die so gerne negiert wird von unserer Gesellschaft. Sarah Durham ist eine alte Frau mit einem „ordentlichen“ Leben. Bei der Inszenierung eines neuen Stücks - ein Drama über die schöne Mulattin Julie Vairon, für die weiße Männer im letzten Jahrhundert scharenweise ihre bürgerliche Existenz aufs Spiel setzten - in ihrem kleinen Privattheater Green Bird in London verliebt sich in den jungen Hauptdarsteller und auch in den etwas älteren Regisseur des Stücks. Sarah erlebt die Macht der Gefühle, Liebe, Leidenschaft und Verzweiflung sowie Alter und Vergänglichkeit. Lessing zeigt das erotische Begehren im Konflikt mit den gesellschaftlichen Tabus von Rasse, Geschlecht, Ehe und Alter. Die Menschen sind LiebesSpieler.
Im Angesicht des hurtig näher kommenden Weihnachtsfestes, stellt sich sicher so mancher die Frage, wie es wäre, Weihnachten einmal ausfallen zu lassen? John Grisham lässt in seinem herrlich komischen Das Fest das amerikanische Ehepaar Luther und Nora Krank Weihnachten boykottieren, nachdem ihre Tocher Blair in der Fremde weilt. Ein regelrechter Verstoß gegen die gesellschaftlichen Konventionen ihrer kleinen Gemeinde. Mit seiner urkomischen Weihnachtskomödie beweist John Grisham, dass er auch als Humorist unschlagbar ist. In den USA ist Weihnachten ein mörderischer Kampf ums letzte Truthahnstück und das beste Geschenk, ein schneeweiß überzuckertes Familienidyll. Die Kranks sehen also ihre Chance gekommen, den überaus hohen Ausgaben für Geschenke sowie für Häuserschmückung von über $ 6.000 zu entgehen und stattdessen eine Reise in karibische Gefilde zu unternehmen. Tatsächlich hat man die Rechnung ohne die lieben Nachbarn gemacht, die den Preis für die am festlichsten geschmückte Straße gewinnen wollen. Und dann meldet sich auch noch überraschend Blair zurück. Ein vergnügliches Buch über die Zwänge der Gemeinschaft zur Weihnachtszeit - Friede, Freude, Eierkuchen!
Katzenauge von Margaret Atwood ist ein großer Roman über die Kindheit und die von Hassliebe geprägte Beziehung zweier Mädchen in Kanada. Die erwachsene Elaine, eine erfolgreiche
Malerin, erinnert sich an ihre Freundschaft mit der grausamen Cordelia, der Quälgeist ihrer Kindheit. Die Beziehung zwischen Elaine und Cordelia, die von einem Extrem ins andere kippt, lässt die
Leser mit beiden Frauen mitleiden. Wobei es ist keine einfache Geschichte einer Frauenfreundschaft/Frauenfeindschaft – es geht um grässliches Mobbing unter kleinen Kindern und deren psychische
Befindlichkeiten. Atwood’s Erzählstil ist wunderbar sarkastisch, voll der Demütigungen und ratlosen Hilflosigkeit der Erwachsenen. Ein starkes Buch.
Illustration by Edward d‘Ancona
Und einmal mehr Grundendorf …
Das Böse ist immer und überall. Und die Zentrale ist wahrlich im fiktiven Ort Grundendorf im Marchfeld! Sicher erinnern Sie sich noch an „Immerstill“ von Roman Klementovic, diesen unglaublichen Thriller, der für Just Tampier die Entdeckung des Jahres 2016 war. Nun schrieb Klementovic mit „Immerschuld“ (Sep. 2017, Gmeiner) eine Art Fortsetzung, die durchaus eigenständig ist, aber für den Superthrill empfehlen wir die Lektüre des Vorgängerromanes, den man sowieso nicht auslassen sollte.
Nach den katastrophalen Mord- und Vermisstenfällen im Ort, hat der junge Polizist Patrick den Dienst quittiert und sich völlig zurückgezogen. Fast ohne Kontakte zur Umwelt fristet er ein von Trauer umnebeltes Leben in seinem Haus. Bis zu jenem Morgen, als in der brütenden Hochsommerhitze zwei arg nach Fäulnis stinkende Tierleichen gefunden werden und er in die Ermittlungen hineingezogen wird. Die Hunde wurden furchtbar massakriert. Einer gehörte Patrick’s Cousine Julia. Vorbei ist es mit seiner Lethargie, denn Julia ist aus dem Haus der gemeinsamen Großeltern verschwunden. Patrick erfährt, dass Julia in den letzten Monaten, wo er sich in seinem Schmerz einsam gesuhlt hat, schwer erkrankt ist. Dann kommt raus, dass auch ihr behandelnder Arzt, der undurchsichtige Doktor Wallner, unauffindbar ist. Und Patrick’s Wagen ist weg. Als der in einem Teich gefunden wird, befindet sich eine Leiche in der Fahrerkabine. Nicht nur Patrick hat da mehr als ernste Probleme.
Mehr vom rasanten Plot wird nicht verraten, außer dass es wieder unfassbare Irrungen und Wirrungen gibt. Als Leser muss man sich unbedingt ein paar Stunden Zeit für den Krimi – für Just Tampier wieder ein Kandidat zum Buch des Jahres - reservieren, denn der Autor entwickelt einen solchen Sog, dass man sein Werk unmöglich aus der Hand legen kann …
Er will dich vernichten
Er will dein
Haus. Er will deine Frau. Er will dein Leben. Er ist der Housesitter. Andreas Winkelmann thematisiert mit seinem Krimi „Housesitter“ (Aug. 2017, Wunderlich) eine
Urangst der Menschen. Was passiert, wenn man nicht einmal in seinen eigenen vier Wänden mehr sicher ist? Man kommt nach einem Urlaub nach Hause und merkt sofort, dass etwas anders ist. Es riecht
fremd, die Möbel stehen anders, das Geschirr in der Küche ist benutzt. Dann spürt man nur noch einen Schmerz … und wacht im Krankenhaus auf.
So geht es Thomas Bennett. Nachdem er - schwer verletzt – im Spital wieder zu sich kommt, erfährt er, dass seine schwangere Freundin Saskia verschwunden ist. Ein Schrecken ohne Ende
beginnt.
Packend schildert Winkelmann das Hoffen und Bangen von Thomas, der die Suche nach Saskia selbst in die Hand nimmt, nachdem die Polizei, speziell der
schwerfällige, unsympathische Ermittler Scheurich, nicht wirklich etwas tut und nur ratlos ist bzw. Thomas verdächtigt, mit der Entführung etwas zu tun zu haben. Mit Ausnahme von Priska Wagner,
die in einem anderen Mordfall ermittelt und eine Verbindung zur Entführung Saskias zu sehen glaubt, will niemand verstehen, dass da draußen jemand ist, der sich nach einem warmen Heim mit einer
eigenen Frau am Herd sehnt. Da passiert eine zweite Entführung.
Der Autor lässt uns auch an den Gedanken und Handlungen des Täters teilhaben. Immer wieder gibt es Kapitel aus der Sicht des Housesitters, dessen Leben wirklich furchtbar verlief, was aber in keinster Weise seine Taten entschuldigt und ihn auch kein bisschen sympathisch oder bemitleidenswert macht.
Ein Thriller mit einem rasanten Schluss, den man nach Möglichkeit nicht vor einer Urlaubsreise lesen sollte! Der Plot ist schon gruselig. Für Gänsehaut und Nervenkitzel ist gesorgt.
Welch mieses kleines Leben …
Ottessa Moshfegh’s Roman „Eileen“ (August 2017, Liebeskind) ist starker Stoff und nichts für Zartbesaitete. Das Buch stand auf der Shortlist des Man Booker Prize und wurde mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet. Die Welt, die Moshfegh zeichnet ist düster und ihre Protagonistin kann man gelinde gesagt als ziemlich sonderbar bezeichnen, Eileen ist keine Sympathieträgerin, trotzdem fasziniert ihre Geschichte voll der seelischen Misshandlungen durch ihre Umgebung und ihre Selbsterniedrigung.
Eileen lebt in X-ville in Neuengland. Moshfegh lässt sie ihr Leben rund um Weihnachten 1964 als alte Frau im Rückblick erzählen. Eileen’s Alltag spielt sich zwischen ihrer Arbeit als Sekretärin in einer Jugendhaftanstalt und der Pflege ihres dementen, alkoholsüchtigen Vaters in einem völlig verdreckten Haushalt ab. Sie ist eine merkwürdige Person, erst 24 Jahre alt, aber abgestumpft und ohne Hoffnung. Ihren zaundürren Körper – eigentlich isst sie ja nicht, sondern säuft und raucht nur – verbirgt sie unter den viel zu großen Kleidern ihrer verstorbenen Mutter. Sie pflegt sich nicht, wäscht sich kaum und würde am liebsten „verschwinden“. Wobei sie für ihre Umwelt ohnehin unsichtbar ist. Besonders für den von ihr angebeteten Randy, einen Gefängniswärter. Dreht sich bei ihr im Kopf alles um Sex und ziemlich dunkle Obsessionen, ekelt ihr aber vor jeder Körperlichkeit und ist sie voller Scham. Was sie am Leben hält, sind ihre Fluchtpläne aus X-ville. Als die schöne Harvard-Absolventin Rebecca Saint John als Erziehungsbeauftragte des Gefängnisses eingestellt wird, wünscht sich Eileen nicht sehnlicher als deren Freundschaft und damit ein Leben in der Helligkeit. Sie verliebt sich regelrecht in diese selbstbewusste, witzige Frau und kann es kaum fassen, als sie von ihr zu einer Weihnachtsfeier eingeladen wird. Doch die Freundschaft von Rebecca hat einen hohen Preis. Diese interessiert sich nämlich im Gegenteil zu Eileen für die Kids in der Strafanstalt und ihre Taten und will das Gesetz in die eigene Hand nehmen.
Als Leser kann man sich dem Grauen, das die Autorin rund um Eileen schafft, nicht entziehen, hält trotz Eileen’s freudlosem Leben durch und kann das finale furioso und den letztendlichen Einblick in kaputte Seelen an den Randzonen der Gesellschaft kaum erwarten.
Bei diesem Spiel kann man nur verlieren …
Roman Klementovic’s Romane „Immerstill“ und „Immerschuld“ sind eine Klasse an sich! Da wurde es Zeit, sein Thrillerdebut „Verspielt“ (Juli 2015, Gmeiner) zu lesen, quasi „nachzulesen“.
"Verspielt" ist beklemmend und makaber. In Wien werden zwei Frauen, Maria Fink und Christine Richter, von einem äußerst brutalen Psychopathen entführt, und der Ehemann, Martin Fink, ein überarbeiteter, aber sehr ehrgeiziger Anwalt, bzw. der Bruder und Kleinkriminelle, der voll abgefuckte Klaus Richter, werden erpresst, ein perfides Ratespiel mitzuspielen um deren Leben zu retten. Nur wenn die beiden Männer binnen 3 Tagen die Lösung finden, besteht die Chance auf Freilassung. Raten sie falsch, werden die Geiseln ermordet, raten sie gar nicht, werden die Frauen, die den Entführer zu kennen scheinen, furchtbar gequält. Welch perfide Spielregeln!
Die schleppende Spurensuche von Klaus und Martin, die einander nicht kennen und nichts von einander wissen, und damit auch die des Lesers, ist schon im bekannten Klementovic-Style. Langsam kommen gut gehütete Geheimnisse ans Tageslicht. Den Ernst der Lage begreifen die verzweifelten Männer, die den Entführungsgrund nicht kennen, erst wirklich, als es fast zu spät ist.
Parallel dazu gibt es die Geschichte des Polizisten Robert Mück, der gerade versetzt wurde und sich auf einem Abstellgleis befindet, aus dem er sich wieder auf im Revier nicht gern gesehene Weise rauswurschteln möchte. Er beschattet Klaus Richter wegen dessen Beziehungen zum Gangster Al und so manches kommt ihm an dieser versoffenen Gestalt merkwürdig vor. Auch bemerkt er bei seinen Recherchen das Fehlen von Maria und Christine. Warum, weshalb kann er sich nicht erklären.
Die Zeit tickt! Die 3 Spieltage sind der blanke Horror.
Der überraschende Showdown, eine Spezialität des Autors, ist nicht ohne!
(JT 2017)
Eine dunkle Liebe in Wien
Ein Schriftsteller will er sein, der Rudolf Gordweil, der ins turbulente Wien der 1920iger Jahre der Abgeschiedenheit eines jüdischen Schtetls entflieht. In seinem durchaus als kleines
Meisterwerk zu bezeichnenden Roman „Eine Ehe in Wien“ (Juni 2017, Aufbau Verlag) beschreibt David Vogel ziemlich schonungslos, aber doch mit einer gewissen Sensibilität die
Geschichte des erfolglosen Gordweils, der sich in einer unfassbaren Beziehung verstrickt.
Der Autor kannte Wien zu jener brodelnden Zeit gut. Viel zu früh musste dieser nun wiederentdeckte Schriftsteller sterben, 1944 wurde er von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet. "Eine Ehe in Wien" erschien auf Deutsch zum ersten Male 1992 (die Originalausgabe auf Hebräisch bereits 1929/30 in Tel Aviv und Jerusalem).
Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg sind in Wien viele Menschen arbeitslos, sie haben kein Geld und fristen ein armseliges Dasein. Auch Rudolf Gordweil muss sich permanent Geld ausleihen. Da lernt er die Baronin Thea von Tako, eine herrische Femme fatale, kennen und heiratet sie. Damit weiht er sich dem Untergang.
Die Sadistin tyrannisiert und betrügt ihn permanent. Die Liebesqualen erträgt Rudolf Gordweil ohne Widerspruch, lässt sich demütigen und erniedrigen, weil er glaubt, Thea zu lieben und nie von ihr loszukommen. Er hat eine gewisse Lust am Leiden.
Der Leser wird allmählich wütend auf Thea und empfindet Mitleid mit dem seiner Würde beraubten Mann.
Als Thea einen Sohn zur Welt bringt, scheint alles besser zu werden. Welch Trugschluss, denn sie lebt weiterhin ihre dunklen Triebe und sadistischen Gefühle an ihrem Mann aus. Eine Katastrophe steht im Raum. Gordweil gewinnt aus seiner Verzweiflung die Kraft zu einem vermeintlichen Befreiungsschlag. Kann er einen Schlussstrich ziehen?
Schmerzhaft und verstörend. Eine Empfehlung.
Frisch, saftig, skandinavisch
Der schwedische Autor Joakim Zander ist kein Unbekannter mehr in der Krimiszene – mit seinem Buch „Der Schwimmer“ gelang ihm ein Bestseller, dessen US-Verfilmung in den Startlöchern steht. KrimiLiebhaber mit Vorlieben für Politik, Gesellschaftsthemen und dramatische Überraschungen in der Handlung liegen bei Zander’s Büchern ganz richtig. „Der Freund“ (Sep. 2017, Rowohlt Polaris) erzählt von Klara und Jacob, deren Wege sich kreuzen.
Als Klara Walldéen ihren Großvater in St. Anna
im schwedischen Schärengarten beerdigen muss, ist ihre beste Freundin Gabriella an ihrer Seite. Gabriella ist irgendwie eigenartig, ja merkwürdig. Kurz darauf wird sie vor Klaras Augen in
Stockholm verhaftet: wegen terroristischer Aktivitäten. Wo Gabriella festgehalten wird, erfährt Klara nicht, das unterliegt der Geheimhaltung. Doch die bekannte Menschenrechtsanwältin hat ihr
eine Nachricht hinterlassen: Klara soll für sie zu einem geheimen Treffen nach Brüssel reisen.
Szenenwechsel: Jacob ist Student an der Universität Uppsala und will Diplomat werden. Er absolviert ein sechsmonatiges Praktikum in der schwedischen Botschaft in Beirut. Auf einer Party lernt er
den arabischen Kriegsfotografen Yassim kennen – beide sind fasziniert voneinander. Aber immer wieder verschwindet Yassim und verstrickt sich in Widersprüche. Obwohl Jacob nicht weiß, wie sehr er
ihm vertrauen kann, übernimmt er für Yassim einen brisanten Auftrag.
In Brüssel treffen Klara und Jacob aufeinander. Gemeinsam versuchen sie, die Menschen zu retten, die ihnen am nächsten stehen. Doch eigentlich wissen sie nichts über Gabriella und Yassim und das
Spiel, das die beiden mit ihnen treiben – oder auch nicht!
Gar nicht gut für’s Geschäft
Der Wannsee ist ja quasi die Badewanne der Berliner. Da passt der Fund eines Leichenteiles sowas von nicht hin … Felix Haß, der Münchner, der mit seinem Ehemann in Berlin lebt, schreibt mit „Sein letzter Schritt“ (Sep. 2017, Querverlag) einen superfeinen SzenenKrimi.
Am Schwulenstrand des Berliner Wannsees wird ein menschliches Bein angeschwemmt, das schon längere Zeit im Wasser getrieben haben muss. Durch die Obduktion des schon etwas verwesten und von Tieren angeknabberten Teiles erfährt man, dass das Bein zu einem ungefähr 35jährigen Mann gehörte. Der Fund stellt Kommissar Steffen Lenz und sein Team vor ein Rätsel. Weitere Leichenteile finden sich weder im Wannsee noch in der Umgebung. Abgleiche der DNA mit der Kartei sind ergebnislos, vermisst wird auch niemand. Die Polizei hat nichts.
Lenz freut sich wenigstens darüber, dass er bei der Hitze am Schwulenstrand ermitteln kann. Schließlich hat er eine Schwäche für körperliche Genüsse und einen Hang zu dem, was manche „Laster“ nennen würden. Und dann taucht plötzlich doch noch eine Leiche auf und es beginnt ein kriminalistisches Puzzlespiel, das den Kommissar und die Leser in dunkle Abgründe führt.
Rezeptfreier FieberStiller
Sind Sie im Frühjahr am „FerranteFever“ erkrankt? Dann haben wir jetzt das einzige Heilmittel für Sie, das hilft. Elena Ferrante’s dritter Band der Neapolitanischen Saga ist da: „Die Geschichte der getrennten Wege“ (Aug. 2017, Suhrkamp). Auf den vierten Teil „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ – werden Sie allerdings bis zum Frühjahr 2018 hinfiebern müssen! Welch Sucht!
Wir sind mit der Geschichte rund um Lila und Elena in den turbulenten ErwachsenenJahren angekommen. Lila, die trotz ihres Sohnes ihren Mann Stefano verlassen hat, arbeitet unter entwürdigenden Bedingungen in einer Fabrik und fristet mit Enzo ein kärgliches Leben. Elena hat ihr altes neapolitanisches Viertel hinter sich gelassen, das Studium beendet und ihren ersten Roman veröffentlicht. Sie hat durch Pietro in eine angesehene norditalienische Familie eingeheiratet und Kinder bekommen. Ein unglaublicher gesellschaftlicher Aufstieg, erinnert man sich an die Anfänge der Geschichte. Doch das Leben zeigt Elena seine Grenzen und drängt sie in die nicht gewollte Rolle der Hausfrau und Mutter. Ganze Welten trennen die Freundinnen. Das Verhältnis der beiden bleibt seltsam entfremdet-nah, auch und gerade dann, als Lila zusammen mit Enzo in der neuen Technik der Computer reüssiert und eine Menge Geld verdient. Und da wäre auch noch Nino Serratore, das Glück und Unglück beider Frauen!
Ferrante’s großmeisterliches Buch ist natürlich
auch politisch – Stichworte: Feminismus, Arbeiterkampf, Studentenrevolte – und besonders Elena ist stark von dem enormen Umbruch der revolutionären Zeit betroffen. Immer wieder lässt die Autorin
drastische neue Verwicklungen und brutale Situationen auftauchen, die ihre Protagonistinnen zu bestehen haben. Sie schafft nicht nur einen intimen Blick auf die besondere Freundschaft
zweier Frauen und deren unterschiedliche Entwicklung, sondern ein spannendes Gesellschaftsbild Italiens und Neapels.
Just Tampier – ganz auf der Ferrante-Droge - sagt nur: lesen, lesen, lesen!
(JT 2017)
Ein Familiendrama
Auf die Bücher der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen muss man sich als Leser einlassen. Oksanen ist schrill und ihre Romane sind nicht die leichte Kost, aber sie schreibt mit einer Magie, der man sich nur schwer entziehen kann. Man muss es nur versuchen, sich mit ihren starken Figuren auseinanderzusetzen!
Der neue, durchaus eigensinnige Roman „Die Sache mit Norma“ (März 2017, Kiepenheuer&Witsch) beginnt mit einer Beerdigung: Die 30-jährige Norma Ross hat soeben ihre Mutter Anita verloren. Die beiden waren ein eingeschworenes Team und sich darin einig, Normas Geheimnis – ihre Haare wachsen unnatürlich schnell – für sich zu behalten. Während Norma auf ihr Taxi wartet, kondoliert ihr Max Lambert, der Inhaber des Friseursalons, in dem Anita arbeitete. Der Salon hat sich ganz den Echthaar-Extentions verschrieben hat, wobei Norma definitiv keine nötig hat, sie hat ja mehr Haare, als sie gebrauchen kann.
Angeblich hat Anita Selbstmord, in dem sie sich auf Bahngleise stürzte, begangen, doch Norma glaubt nicht daran und sie sucht nach Hinweisen auf das, was wirklich geschehen ist. Dabei stößt sie auf verstörende Dokumente und kommt einem global agierenden Clan rund um Haarverlängerung und Leihmutterschaft auf die Spur.
Die Geschichte ist ein wenig ein Krimi, aber so einfach macht uns Sofi Oksanen die Machenschaften rund um die Ausbeutung von Frauen denn doch wieder nicht!
Würdiger Abschluss einer genialen Serie
Armistead Maupin schreibt mit „Die Tage der Anna Madrigal“ (Februar 2017, rororo) leider die letzten Stadtgeschichten seiner legendären Reihe.
Mittelpunkt dieses berührenden neunten Bandes ist Anna Madrigal, die Transgender-Dame und Hausherrin der Barbery Lane 28 in San Francisco. Madrigal ist jetzt schon 92 Jahre alt und wünscht sich nichts mehr als einen ladyliken Abgang, denn das Alter ist wie ein Konflikt und die eigene Vergänglichkeit steht im Raum. Sie hat ein bewegtes Leben hinter sich und lebt nun mit dem fast 60 Jahre jüngeren Jack zusammen. Mit ihrem früheren Mieter Brian und dessen Frau Wren fährt sie nach Winnemucca, wo sie damals noch als 16jähriger Junge Andy Ramsey aus dem Puff ihrer Mutter, der ihr Zuhause war, weggelaufen ist. Auf dieser Reise bringt sie Geheimnisse ans Licht und stellt sich lange verdrängten Konflikten. Ganz am Ende wird auch das Geheimnis um ihren Namen gelüftet – eine dramatische Geschichte.
Wie alle acht Bände davor kann man das Buch nicht aus der Hand legen, wenn auch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit der ersten Teile mit der Zeit abhanden gekommen ist. Diese Reihe ist wie ein guter Freund – wer sie nicht kennt, sollte sich alle Ausgaben besorgen und hat damit für einige Zeit „ausgesorgt“ und weiß, was er lesen wird!
Nichts für Wasserphobiker
… ist der neue Roman „Into the Water“ von Paula Hawkins (Mai 2017, blanvalet), der Autorin des gefeierten Bestsellers „Girl on the Train“ - dreht sich doch alles um Frauen, die ins Wasser gehen oder vielleicht doch gegangen werden. Nel Abbott ist vom Drowning Pool in ihrer heimatlichen Kleinstadt Beckford besessen und arbeitet an einem Buch über die Toten in den Untiefen dieser dunklen Flussschleife.
Eines Tages erhält Jules, eigentlich Julia, die Nachricht, dass sich ihre Schwester Nel im Fluss ertränkt hat. Sie glaubt das keinesfalls, obwohl ihr Verhältnis zu Nel nach einem schwerwiegenden Vorfall seit vielen Jahren zerrüttet ist bzw. sie überhaupt keinen Kontakt mehr hatten, obwohl Nel ihn in ihren letzten Lebenswochen gesucht hatte. Auch die 15-jährige Katie, eine Freundin von Nel’s Tochter Lena, hatte kurz davor im Fluss ihr Leben gelassen.
Jules, die von der Dorfgemeinschaft eigentlich nichts mehr wissen will, muss weit in die Vergangenheit zurück schauen um die Gegenwart auf die Reihe zu bekommen.
Wer sich jetzt ein „Girl on the Train“ erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein, aber Hawkins Roman ist gut - eine dunkle Geschichte über Hass, Psychospielchen, Verfolgte und Menschen ohne Glück im Leben. Vielleicht ist der Stil ein wenig zu vielschichtig, hüpft doch die Autorin in jedem Kapitel zu einem anderen Erzähler - das sollte aber kein Problem für aufmerksame Leser sein!
Dick & tot
Sharon Bolton thematisiert in ihrem eiskalten Thriller „Er liebt sie nicht“ (Oktober 2016, Manhattan) das Phänomen von TodeszellenRomanzen und aufregenden GefängnisBeziehungen von Frauen mit Häftlingen, die grauenvolle Taten begangen haben.
Hamish Wolfe gilt als Serienkiller. Er hat vier junge, als dick geltende Frauen brutal ermordet. Oder doch nicht? Auch nach seiner Verurteilung beteuert er noch immer seine Unschuld. Nun sucht er jemanden, der seinen Fall neu aufrollt. Maggie Rose, erfolgreiche Rechtsanwältin und True-Crime-Autorin, aber zögert, den durchaus charismatischen Mann mit eigenwilliger Groupie- und FanSchar zu vertreten. Insgeheim hat sie aber längst damit begonnen, sich mit dem Fall des ehemaligen KrebsMediziners auseinander zu setzen, dem schon zu Studienzeiten eine Vorliebe für fette Frauen nachgesagt wurde. Sie findet bald Diskrepanzen in den Ermittlungen von Detektive Constable Peter Weston, der Hamish einst eingebuchtet hat. Weston arbeitet mit Maggie zusammen. Obwohl, wenn sie den wahren Täter überführt, dann hat er einen Fehler begangen.
Bolton erzählt die Geschichte in verschiedenen Zeitebenen, aus Sicht von Maggie, Peter und von Hamish. Dazwischen finden sich emails, Briefe und Zeitungsberichte. Das alles verwirrt den Leser ein bisschen, aber jedes Detail ist wichtig bei diesem manipulativen Schreibstil, der bis zum überraschenden Ende voll überzeugt. Die handelnden Personen sind kaltblütig und auf eine gewisse Art irrsinnig. Das zeugt von einer ziemlichen Kaltschnäuzigkeit der brillanten Krimiautorin!
(JT 2017)
Macht und Ohnmacht
Susanne Kliem schreibt mit „Das Scherbenhaus“ (März 2017, carl’s books) einen raffinierten Psychothriller, der in die Abgründe der menschlichen Psyche vordringt. Das fiese Ränkespiel um die Macht des Täters und die Ohnmacht des Opfers ist dramatisch und unheimlich.
Carla Brendel wird von einem Stalker verfolgt, der ihr Fotos mit bedrohlichen Motiven schickt: Haut, die sichtlich mit Messern geritzt und verwundet wurde. Aus Angst vor diesem sichtlich wahnsinnigen Fremden flüchtet sie aus dem sonst eher langweiligen Stade in Norddeutschland zu ihrer Halbschwester, einer Architektin, nach Berlin. In Ellens luxuriöser Wohnanlage "Safe Haven", die mit neuesten Sicherheitssystemen ausgestattet ist, fühlt sie sich beschützt. Doch kurz nach ihrer Ankunft verschwindet Ellen spurlos, ihre Leiche wird wenige Tage später aus der Spree geborgen. Ein tragischer Unfall?
Carla, die
von Ellen alles erben soll, sucht nach der Wahrheit, die die Hausbewohner scheinbar verschleiern und verbergen. Schnell merkt sie, dass im "Safe Haven" ganz eigene Regeln und Gesetze und viele
Ungereimtheiten herrschen. Und zu viele Fragen nicht so gesund sind! Wer sind die Feinde, wer die Freunde bei all den alarmierenden Vorfällen?
Man lernt: Blindes Vertrauen geht gar nicht und Menschen sind ganz leicht zu manipulieren.
Ich bin Du, aber noch lebe ich
Manchmal hat
man ja das Gefühl, dass man nicht allein ist. Man fühlt sich beobachtet. Aber Jane, die Protagonistin von JP Delaney’s schockierendem Buch „The Girl Before“
(April 2017, Penguin Verlag) glaubt, dass das Haus, in dem sie wohnt, sie beobachtet.
Nach einem Schicksalsschlag braucht Jane dringend einen Neuanfang. Daher überlegt sie nicht lange, als sie die Möglichkeit bekommt, in ein hochmodernes Haus in
dem schicken Londoner Viertel Kensington einzuziehen. Vermietet wird es von es von einem charismatischen Architekten, der es ursprünglich für seine eigene Familie geplant hat. Er vermietet das
Haus mit raffinierten technischen Einrichtungen preisgünstig, aber unter speziellen Auflagen. So müssen potentielle Mieter einen Fragenkatalog von über 300 Fragen beantworten.
Er scheint sich zu Jane hingezogen zu fühlen. Doch bald erfährt sie, dass ihre Vormieterin Emma im Haus verstarb – und ihr erschreckend ähnlich sah. Jane will natürlich wissen, was es mit dem
Todesfall auf sich hatte und schwebt in großer Gefahr.
Den undurchsichtigen Thriller – der in kurzen Kapiteln einmal von Emma und einmal von Jane handelt - kann man nicht mehr aus den Händen legen! Was ist Täuschung, was ist Realität? Der Hype um das mit unerwarteten Wendungen versehene Buch war in den USA und England besonders groß und wird es hier genauso sein! Wenn Sie sicher sein wollen, ein superspannendes Buch in Ihren Urlaub mitzunehmen, dann bitte dieses!
Einfach nur magisch Carlos Ruiz Zafón, Autor des Weltbestsellers ‚Der Schatten des Windes‘, eines der besten Bücher ever, ist zurück! „Das Labyrinth der Lichter“ (März 2017, S.Fischer), der vierte Teil der Barcelona-Reihe, ist zwar heiß ersehnt worden, aber damit heißt es auch Abschied nehmen vom Friedhof der Vergessenen Bücher. Meisterlich verknüpft Zafón die Erzählfäden seiner Bücher zu einem spannenden Finale. Zwar könnte man den Roman auch ohne Vorkenntnisse lesen, doch bringt man sich damit um ein großes Vergnügen. Die Protagonisten der Vorgängerromane - insbesondere Fermín und die Familie Sempere - tauchen alle wieder auf. Das Buch begleitet die Hauptperson Alicia Gris, der Mitarbeiterin einer Sondereinheit der Politischen Polizei, bei ihrem Auftrag, in Barcelona das Verschwinden eines Ministers aufzuklären, der ein Emporkömmling des Franco-Regimes ist. Er war einst Gefängnisdirektor und hat einige Gräueltaten auf dem Kerbholz. In seinem Besitz befand sich ein geheimnisvolles Buch aus der Serie „Das Labyrinth der Lichter“, das Alicia in die liebevoll verstaubte Buchhandlung Sempere & Söhne führt. Der Zauber dieses Ortes schlägt sie in seinen Bann, und wie durch einen Nebel steigen Bilder ihrer Kindheit in ihr auf. Doch die Antworten, die Alicia dort findet, bringen sie in allerhöchste Gefahr. Die Brutalität des Franco-Regimes, die Zafón bildgewaltig schildert, ist nichts für schwache Nerven. Menschliche Abgründe tun sich auf. Düster, emotional, verschlungen, großartig!
Ein Liebesdrama
Der abstoßend hässliche, dicke, kühl-abweisende Dichter Gottfried Benn – trotzdem wirkt er auf die Frauenwelt elektrisierend - ist die Obsession im Leben der Mopsa Sternheim und ihrer Mutter Thea. Davon handelt „Die Poesie der Hörigkeit“ von Lea Singer (März 2017, Hoffmann und Campe).
Für Thea, Gattin des Dramatikers Carl Sternheim, und ihre Tochter wird das Jahr 1917 zum Schicksalsjahr. Sie lernen Benn kennen und sind beide fasziniert von ihm. Er wird der Mann ihres Lebens. Mopsa, von ihrem Vater sexuell missbraucht, was die Mutter nicht sehen will, sieht auch am Sterbebett noch in Benn den einzigen Menschen, der für sie je Bedeutung besaß, auch wenn ihm dies völlig egal war und nur sie diese fatale Begierde spürte. Thea und Mopsa sind in der Liebe zu einem Mann und im Kampf um ihn vereint, sie sind Konkurrentinnen, Liebende und Betrogene. Mit allem können die beiden sich abfinden, mit finanziellen Verlusten, Gefährdung, Heimatlosigkeit, Folter und grausigen Familiengeheimnissen, nur mit einem nicht: diesen einen Mann zu verlieren, dem sie wie Süchtige verfallen sind.
Singers Buch ist ein beeindruckendes Liebesdrama über eine lebenslange, hoffnungslos verzweifelte Leidenschaft und Hörigkeit, in dem sich ein halbes Jahrhundert mit all seinen bitteren und dunklen Stunden abbildet. Als Leser muss man sich darauf einlassen und am Ende erkennen, dass Liebesglück nicht immer Geliebtwerden bedeutet.
(JT 2017)
My favourite Books III
Den Welttag des Buches am 23. April nehme ich zum Anlass,
Ihnen wie versprochen wieder Einsicht in mein Kopfkino zu gewähren,
das sofort zum Laufen anfängt,
wenn ich an die Geschichten zwischen meinen LieblingsBuchdeckeln denke.
Es ist sooo wichtig, Bücher zu lesen, mit ihnen zu leben.
Ich hoffe, ich kann Ihre Lesefreude wecken
und Sie tauchen in fremde Welten ein, verlieren sich in den Fantasien der Autoren
und schenken sich selbst Zeit mit Geschichten!
Herzlichst, Ihre Lilly Tampier
Illustration: Andrew Loomis
Ich, der Wächter ist ein Horror-, Psycho- und FantasyThriller, in dem nichts vorhersehbar ist. Vergleichbares habe ich davor und danach nicht gelesen. Wobei es ein Wagnis ist, das KultBuch und Meisterwerk von Charles McLean zu beginnen, zweifelt man doch nicht nur am Verstand des Protagonisten Martin Gregory. Völlig umwerfend ist der Schluss der ohnehin schon abgefahrenen und ziemlich verstörenden Story, deren Spannung genial aufgebaut wird. Martin lebt mit seiner Frau Anna und zwei Hunden außerhalb New Yorks ein sorgenfreies Leben. Die Geschichte beginnt an Annas Geburtstag. Martin will ihr einen schönen Tag machen, aber etwas läuft völlig aus dem Ruder. Es kommt zu einer ziemlich grässlichen Tat. Martins Geisteszustand verfällt immer mehr. Er muss in ärztliche Behandlung und wird bei den Therapiesitzungen auch hypnotisiert. Dabei stellt sich raus, dass er nicht zum ersten Mal lebt. Was wahr ist bzw. nur Martins Wahnkrankheit und seiner Fantasie entspringt, lässt der Autor offen um den Leser zu verunsichern.
Patrick Süskinds Klassiker Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders spielt im achtzehnten Jahrhundert in Frankreich und dreht sich um eine der genialsten und abscheulichsten Gestalten, über die je geschrieben wurde. Der Pariser Massenmörder Jean- Baptiste Grenouille lässt Bilder im Kopf entstehen, von denen man nie geglaubt hat, sie sehen zu müssen. Grenouille selbst ist geruchlos, ihm fehlt jeder Eigenduft, aber er ist mit einem genialen Geruchssinn ausgestattet. Er wird im bestialischen Gestank der Pariser Armenviertel groß, wo er sich, scheinbar vom Teufel besessen, zu einem Ungeheuer entwickelt. Eine Meisterleistung Süskinds, dem es gelingt, ein fürchterlich angsteinflößendes Märchen zu schreiben. Nach dem gruseligen Ende hat man noch lange das Gefühl, Gerüche besonders gut wahrnehmen zu können!